Interview: ALMANAC - Victor Smolski

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Ich kann nicht einfach irgendeine Musik fabrizieren, nur weil sie mir mehr Kohle bringen würde, das mach ich nicht. Das hat was damit zu tun, wie man ein Produkt verpackt, damit es mehr Geld generiert, aber mit Kunst an sich und damit eben auch mit der Musik, hat das rein gar nichts mehr zu tun.

Nach seinem Ende bei RAGE war der Aufschrei relativ groß, doch wer Victor Smolski kennt, der weiß, dass seine Trennung von RAGE A) gute Gründe hatte und B) nur den Neuanfang für ein weiteres Projekt bedeuten würde! Dieses Projekt erhält mit ALMANAC nun Einzug!

Text: Sonata
Veröffentlicht am 16.03.2016

Mit deinem Ende bei RAGE geht ja eine große musikalische Ära bei dir zuende, die du extrem stark geprägt hast. Kam das Aus für dich überraschend oder hast du es kommen sehen. Ich hatte vor einem Jahr schon Peavy am Hörer und er meinte du wärst sehr gefasst gewesen und hast es geahnt. Wie geht es dir nach dem Kapitel RAGE und wie blickst du auf diese großartige Zeit zurück?

Ich hab das nicht nur geahnt, ich hab das so kommuniziert! In einem Gespräch habe ich geäußert, dass ich nicht mehr will und aufhöre bei RAGE. Peavy meinte da noch, dass wir nochmal gucken, wie es weiter geht, aber ich hab ganz klar gesagt, dass es für mich definitiv nicht weiter geht bei RAGE. Man hat Peavy förmlich angemerkt, dass er gar keine Lust mehr hat, da war einfach nicht mehr viel vorhanden und das ist überhaupt nicht meins. Ich will Spaß haben, will beim Spielen grinsen können und das war bei RAGE schon länger nicht mehr der Fall. Wir haben auch kaum noch geprobt, z.B. für die Jubiläumtstour, da war nicht mehr viel. Das war einfach nix…Und was wir so an Musik fabrizieren, war dann auch irgendwie egal. Ich saß teilweise alleine im Studio und keine Sau hat es interessiert, was wir da eigentlich machen. Am Anfang mit Mike war das noch anders, da war die totale Lust vorhanden, viel proben, viele Konzerte und viele Experimente. Da hat’s mir total viel Spaß gemacht. Alles war sehr musikalisch und zwischen uns Dreien hatte es zu dem Zeitpunkt perfekt gepasst. Das hat sich aber einfach verändert über die Jahre und mir verging der Spaß, der völlig auf der Strecke blieb. Ich konnte mir das auch nicht mehr anhören, was Peavy da gemacht hat…Immer dieselbe Oktave gesungen, das hat mir nicht gefallen. Es hilft mir dann auch nicht, wenn wir ganz trocken unsere Planung besprechen nach dem Motto „Jetzt Punkt 5 auf Seite 3!“. Ich will über Phrasierungen sprechen, über Melodien, über die detaillierte Arbeit mit den Instrumenten! Ich lebe für diesen Beruf! Ich kann Peavy zwar dahingehend verstehen, dass er an seine Rente denken muss, aber ich will Spaß haben und Musik machen, die ich geil finde. Wir waren ja auch privat NIE auf einer Ebene. Während ich immer viel an die Musik gedacht habe oder Sport betrieben habe, hat Peavy irgendwelche Knochen präpariert oder so…Das war überhaupt nicht meins und dementsprechend gab es da privat nie viel zu besprechen. Die Harmonie war über die letzten Jahre hinweg einfach nicht mehr vorhanden.

Abschied bedeutet gleichzeitig immer Neuanfang und mit ALMANAC hast du eine neue Truppe am Start, die im März ihr Debüt "Tsar" (zum ALBUMREVIEW) veröffentlichen wird. Prinzipiell ist es die konsequente Weiterführung von dem, was du mit LMO bereits gestartet hast und die wichtigen Leute hast du ebenfalls für dich gewinnen können. Wie hast du es denn bewerkstelligen können, solche Größen wie David Readman und Andy B. Franck dafür gewinnen zu können? Das Ganze soll ja keine Eintagsfliege bleiben, sondern euch ist es schon ernst mit ALMANAC.

Ich wollte dieses Lineup schon immer so haben! Hab schon damals mit Andy und David telefoniert, ob sie Bock hätten, zusammen was zu machen und sie hatten sofort Lust! Dazu natürlich noch Jeanette und somit haben wir ein tolles Dreigespann. Ich arbeite gern mit mehreren Sängern zusammen und das ergibt eine wunderbare Dynamik. Die Stimmen müssen da auch einfach aufeinander passen, so das es eben dynamisch klingt. Ich glaube, dass wir da fast schon was ganz Neues geschaffen haben und darauf bin ich stolz! Andy und David sind der Wahnsinn und das passt wie die Faust aufs Auge. Beide waren auch total engagiert in der Produktion vom Album. Das ging alles so schnell, weil alle musikalisch so begabt sind und total Bock hatten.

Ich habe die Platte bereits einige Male gehört und muss gestehen, dass deine Musik frischer denn je klingt. Es wirkt fast schon befreiend, als hätte es dir extrem gut getan, dich von RAGE nun lösen zu können. „Tsar“ ist ein sehr vielfältiges Album geworden, das trotzdem zu 100% nach Victor Smolski klingt. Was bedeutet diese Scheibe für dich und wie hat sich die Arbeit an diesem großartigen Werk gestaltet?

Ich habe mittlerweile ja produktionstechnisch mehr Erfahrung und kenne natürlich auch einige Leute. Nach der Frankfurter Musikmesse haben wir ungefähr angefangen zu komponieren und ich habe überlegt, was für ein Konzept ich mit diesem Album verfolgen möchte. Ich fand ja schon immer historische Sachen interessant und hab dann rumgeguckt, was noch nicht wirklich großartig behandelt wurde im musikalischen Bereich. Gerade der 1. und 2. Weltkrieg wurden ja schon mehrfach durchgekaut und da kam mir in den Sinn, dass ja z.B. viele Iwan den Schrecklichen kennen, aber nicht die ganze Geschichte dahinter. Darauf habe ich aufgebaut und dieses Konzept entwickelt. Anschließend habe ich Andy und David das Konzept vorgestellt und sie haben dann die Texte dazu geschrieben. Mit diesen Gedanken habe ich dann auch angefangen zu komponieren, was mir witzigerweise total leicht gefallen ist von Beginn an. Es war das ERSTE mal seit langer Zeit, wo ich mal total kompromisslos komponieren konnte, denn bei RAGE hatte ich in den letzten Jahren schon einige Grenzen, die ich nicht überwinden konnte oder durfte. Peavy war da nicht so flexibel, er hat quasi nur eine Oktave und da darf kein Ton mal höher oder tiefer sein, der ihn als Instrument beim Gesang begleitet. Das hat mich immer gestört, denn ich bin kein Fan von solchen Grenzen. Dann haben wir einfach drauf los komponiert und im Proberaum rumgejammt, ich glaube im Sommer dann verschiedene Arrangements ausprobiert. Es waren alle total enthusiastisch und haben sehr viele Ideen mitgebracht. Musikalisch waren alle sehr fit und man muss nur ausprobieren, es ging dann alles extrem schnell. Ende August haben wir dann schon mit den Aufnahmen begonnen, was wir dann auch fast ein halbes Jahr lang durchgezogen haben. Das war definitiv die fetteste und größte Produktion, die ich bisher gemacht habe und wir haben z.B. in acht verschiedenen Studios aufgenommen. Es gibt viele Bands, die alles in einem Studio machen, aber es gibt meiner Meinung nach Instrumente, die in bestimmten Studios einfach besser klingen, weil das Studio teilweise darauf ausgelegt ist. Genau davon wollte ich diesmal Gebrauch machen. Und ich will jetzt nicht Werbung machen oder angeben, aber das ist meiner Meinung nach auch auf jeden Fall die beste Platte, die ich bisher gemacht habe. Kompromisslos ohne Ende!

Produziert hat das neue Werk der gute Sebastien Leevermann, der unter anderem auch Sänger bei ORDEN OGAN ist. Wie kamst du auf ihn und überzeugt dich das Resultat? Meiner Ansicht nach ist er einer der besten modernen Produzenten, die aktuell da draußen rumlaufen.

Ja! Ich habe mir da schon speziell jemanden rausgesucht, denn ich selbst möchte mich auf die Musik konzentrieren, den technischen Kram soll wer erledigen, der wirklich Ahnung davon hat. Ich war mit Charlie Bauerfeind zwar sehr zufrieden, aber ich wollte mal was neues probieren. Da habe ich mir unter anderem Sachen angehört, die Seeb so gemacht hat und das hat mir gefallen. Was ALMANAC angeht, kamen wir da total schnell auf einen Nenner und ich bin mit dem Endresultat SEHR zufrieden!

Was dürfen wir livetechnisch noch von euch erwarten? Wird es eventuell eine fette Show mit Orchester geben, die eventuell sogar aufgezeichnet wird? Im gleichen Zuge würde mich interessieren, ob du nach wie vor RAGE oder LMO Songs spielen darfst? Du hast ja ohnehin SEHR viel Musik für RAGE komponiert, daher gehe ich mal davon aus, dass das klargeht.

Auf jeden Fall! Wir haben jetzt geguckt, was wir so machen können und wollen da als Band auch definitiv was auf die Beine stellen. Wir werden einige Festivals spielen, unter anderem Summer Breeze und Metalfest. Wir schauen also gerade noch, wir wollen als Band einige Konzerte spielen, aber natürlich auch mit Orchester im Rücken, das soll und wird es definitiv geben!

Wenn du auf deine lange Karriere bei RAGE zurückblickst, gibt es da im nachhinein DInge, die du jetzt komplett anders angehen würdest oder bist du glücklich darüber, wie alles gelaufen ist?

Ich bin total glücklich wie alles gelaufen ist, denn ich habe nie Kompromisse gemacht in meinem Leben! Ich habe immer das gemacht, was ich machen wollte. Ich war immer ehrlich zu mir selbst, aber auch zu den Fans. Es war ja auch wirklich eine tolle Zeit und ich möchte da nichts in meinem Leben ändern. Und trotzdem war der Zeitpunkt dann ja auch richtig, wo ich das Gespräch mit Peavy gesucht habe zwecks der Trennung, denn er wollte lieber z.B. ein Album wie damals machen, weil das total erfolgreich war und wir das in Zukunft dann genauso handhaben müssten. Und genau sowas kann ich nicht. Ich kann nicht einfach irgendeine Musik fabrizieren, nur weil sie mir mehr Kohle bringen würde, das mach ich nicht. Das hat was damit zu tun, wie man ein Produkt verpackt, damit es mehr Geld generiert, aber mit Kunst an sich und damit eben auch mit der Musik, hat das rein gar nichts mehr zu tun.

Als du mit ALMANAC ein neues Projekt angegangen bist, hast du da einen gewissen Druck gespürt oder war da nur Vorfreude vorhanden?

Ich habe mir da überhaupt kein Druck gemacht, hab erstmal ein bisschen Urlaub gemacht, weil die letzten Jahre ja doch relativ anstrengend waren. (lacht) Aus dem Urlaub ist dann eh nichts geworden, weil sich aus ALMANAC so schnell was entwickelt hat und wir dann teilweise sofort gespielt haben. Es hat einfach unfassbar viel Spaß gemacht, wodurch diese Arbeit auch so schnell entstehen konnte. Keiner wird jetzt anfangen, da zu pushen und Druck zu erzeugen. Wir sind alle glücklich und am Ende des Tages soll es uns allen auch Spaß bereiten.

Du hast in einem Making of Video zu „Tsar“ verraten, dass deine Gitarrensoli immer total spontan und ungeplant entstehen. Ist es für dich wichtig, deine aktuelle Gefühlslage einzufangen und quasi das nach außen fließen zu lassen, was gerade so in dir vorgeht?

Absolut! Das habe ich immer so gemacht und das ist auch total interessant. Du hast genau das, was du gerade fühlst und überträgst es auf die Musik. Ich lasse einfach den bis dahin entstandenen Song auf mich einfließen und fühle, was für eine Energie er versprüht. Da kommen dann total viele Ideen in mir hoch. Mit diesem Jamgefühl kann man sich natürlich auch jederzeit den Instrumenten anpassen, ob das jetzt die Drums oder auch das Orchester sind. Das entsteht total echt und dynamisch.

Zu guter letzt noch eine spezielle Frage, die in eine andere Richtung geht. Du bist hin und wieder im Motorsport unterwegs und nimmst sogar an Rennen teil. Gibt dir das nochmal einen ganz anderen Kick, als auf der Bühne zu stehen oder ist es in gewisser Form sogar vergleichbar?

Das kann man sehr gut vergleichen! Motorsport besteht auch total aus einem Team, ohne das nichts funktionieren würde. Das ist in der Musik genauso, alleine kannst du keine tolle Platte kreieren. Und im Motorsport ist es halt dasselbe! Du kannst der beste Fahrer sein, aber das nützt dir nichts, wenn der Mechaniker im Endeffekt Scheiße baut. Gleichzeitig ist Motorsport aber auch ein Resetknopf für mich, denn zugegeben platzt mein Kopf relativ oft, wenn er so vollgestopft ist mit Ideen. Ich komponiere quasi den lieben langen Tag lang und wenn ich im Urlaub am Strand liege, dann komponiere ich da halt weiter! (lacht) Und der Rennsport gibt mir da die Möglichkeit, mal vollständig abzuschalten, wenn ich Vollgas gebe. Du darfst KEINE Sekunde über etwas anderes nachdenken, sonst machst du einen Fehler und das war’s. Es hält mich natürlich auch fit und ich mag Sport. Ich treibe privat viel Sport, Ausdauer insbesondere, von diesem ganzen Bodybuilding Kram halte ich nicht viel. Es macht mir einfach Spaß, an meine Grenzen zu gehen und der Rennsport bietet mir diese Möglichkeit wohl besser als jede andere Sportart!

Dann bleibt mir am Ende nur noch, dir viel Erfolg zu wünschen, sowohl im Motorsport als auch mit deiner neuen Truppe ALMANAC! Das Album ist grandios geworden. Herzlichen Dank für deine Zeit, es war super interessant!

Gerne! Und vielen Dank für den Support! Ich hoffe, dass man sich live bald sieht!

 

 


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