Interview: In Extremo - Florian "Specki" Speckhardt

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Wenn man die Nachrichten anschaut und ein Horrorfilm ein Witz dagegen ist, dann stimmt da was nicht. Es ist einfach nicht mehr tragbar, nicht das Maul aufzumachen.

Rechtzeitig zum neuen Album "Quid Pro Quo" steht Drummer Specki Rede und Antwort. Überaschend ehrlich und politisch.

Veröffentlicht am 23.06.2016

Härter, lauter und mit mehr Mittelalter zeigen sich IN EXTREMO auf ihrem neuen Album "Quid Pro Quo". Nicht nur das, es findet sich auch der eine oder andere politische Song auf der neuen Platte. Das ist dann doch ungewöhnlich für eine Band, die von sich selbst behauptet, unpolitisch zu sein. Was die Tochter vom Produzenten damit zu tun hat und wieso Essen ein Hobby ist, könnt ihr hier lesen:

Vielen Dank, dass du dir Zeit für dieses Interview nimmst. Bei „Quid Pro Quo“ geht es wieder deutlich härter zur Sache. Man hört auch, dass ihr wohl den einen oder anderen Blick in eure Vergangenheit gewagt habt und Einflüsse von damals wieder aufleben lasst. Wie kam es dazu, dass ihr auf diesem Album wieder mehr vom alten IN EXTREMO zeigt?

Wir haben uns ein bisschen Gedanken darüber gemacht, was IN EXTREMO auszeichnet und wo wir diese „Brand“ herhaben, sag ich mal. Also eine Band zu sein, die nicht nur diese Musikrichtung erfunden hat, sondern auch stetig vorangetrieben hat. Wir wollten uns einfach auf die alten Stärken berufen, die diese „Brand“ auch kreiert haben. Dazu gehören eben Sachen wie diese ziemlich bretthart ausgefallene Rhythmusgruppe, also für unsere Verhältnisse eigentlich ziemlich deftig. Und dann eben diesen Flavour, den all diese Mittelalterinstrumente bringen, bei denen man das Mittelalter ja schon fast riechen kann - mit seinem ganzen Gestank und der ganzen Kälte, die da abgegangen ist. Und natürlich mit unserem Sänger, der mit seiner Reibeisenstimme eine ganze besondere Stimmung auf dem Album erzeugt - besonders durch die Mehrsprachigkeit.

Du sprichst von alten Stärken. Merkst du, oder auch ihr, live einen Unterschied zwischen neuen und älteren Nummern? Reagieren die Fans anders?

Ja klar. Aber das hat ja nicht nur mit der Band IN EXTREMO zu tun, die es inzwischen ja auch schon 21 Jahre lang gibt. Frag doch einen Angus Young was der sagt, wenn er „Back in Black“ aus dem Jahre 1980 spielt. Da gibt es natürlich eine andere Publikumsreaktion als bei „Rock or Bust“. Natürlich sind die alten Hits bei Bands, die es schon so lange gibt, nicht wegzudenken und wir haben alle überhaupt kein Problem damit immer wieder diese älteren Songs zu spielen, die auf keinem IN EXTREMO Konzert fehlen dürfen. Das geile bei diesen neuen Songs ist, dass die sich auch neu anfühlen. Wir haben sie eben noch nicht 3000 mal gespielt. Die Songs von „Quid Pro Quo“ fühlen sich vom Songwritting her eher an wie die Songs von früher. Man spielt also neue Songs, aber es fühlt sich an als wäre alles mehr als beim Alten.

Was besonders überrascht ist der Song „Lieb Vaterland, magst ruhig sein“. Ich kann mich erinnern Michael mal in einem Interview sagen gehört zu haben, dass In Extremo total unpolitisch sei. Nun, die politische Botschaft hinter diesem Song lässt sich kaum verstecken. Wolltet ihr damit bewusst ein Statement abgeben?

Ja ganz bewusst. Ich kann dir auch erklären warum es jetzt mal an der Zeit war etwas politisches zu bringen: Weil einfach die Gesamtsituation unglaublich ist. Wenn man die Nachrichten anschaut und ein Horrorfilm ein Witz dagegen ist, dann stimmt da was nicht.  Es ist einfach nicht mehr tragbar nicht das Maul aufzumachen. Man muss einfach seine Meinung sagen, besonders wenn Terror nicht mehr irgendwo im nahen Osten stattfindet oder in Amerika, sondern in Frankreich, wo im Moment die Fußball EM läuft. Da ist man so nah dran als Mitteleuropäer, dass auch eine Band, die sich zwar nicht unbedingt gewehrt hat politisch zu sein, aber einfach gesagt hat:“ Wir sind dafür da, um die Leute zu unterhalten und die Menschen an der Hand zu nehmen und vielleicht nicht in eine bessere, aber in eine andere Welt zu entführen.“ Und das ist nach wie vor das, was IN EXTREMO darstellt. Wir werden unsere Wurzeln als unpolitische Band auch nicht verlassen. Aber wenn da jetzt zwei von elf Songs eine gesellschaftskritische  Botschaft haben, nämlich „Lieb Vaterland, magst ruhig sein“ und der Titelsong „Quid Pro Quo“ , dann sind immerhin noch neun Songs auf der Platte, die wieder reinrassiges IN EXTREMO sind. Aber diese zwei Songs konnten wir uns nicht mehr verkneifen, weil man einfach nicht mehr hinschauen kann und da muss man manchmal auch was sagen.

Bleiben wir doch bei „Lieb Vaterland, magst ruhig sein“. Was den Inhalt noch dramatischer macht sind definitiv die beiden Kinderstimmen, die dort zu hören sind. Von wem wurden die eingesungen?

Schön, dass dir das auffällt. Die Nummer ist mein heimlicher Lieblingssong auf der Platte, nicht nur musikalisch, sondern auch textlich. Bei dieser Stelle mit den Kindern stellt es mir immer noch die Haare am Unterarm auf , weil es ja wirklich ergreifen ist. Das sind zwei Kindern, die im Studio anwesend waren. Die Tochter von unserem Produzenten Jörg Umbreit - Mala – und deren Cousine, die zu besuch war. Die beiden Mädels sind einfach geschnappt worden vom Papi als die Band noch ihren Rausch ausgeschlafen hat. Als ich dann irgendwann zu mir gekommen bin und runtergeschaut habe in die Regie war es dann schon fast ganz aufgenommen. Es war natürlich auch unser Wunsch, dass Jörg da was mit seiner Tochter macht, weil wir echt schon jahrelang im Studio sind und wir Mala kennen seit sie ein Baby war. Inzwischen ist sie sieben oder acht und die Cousine ist denke ich elf. Mir gefällt es nach wie vor.

Als Bonustrack gibt’s mit „Palästinalied 2“ quasi eine Neuauflage eines der Stücke von „Weckt die Toten!“, einem Album das immerhin schon 18 Jahre alt ist. Gibt es irgendeinen besonderen Grund wieso ihr euch für das Palästinalied entschieden habt? Standen auch andere Songs zur Auswahl?

Palästina ist ja auch wieder so ne Sache, dass wir 18 Jahre später wieder mit dieser althochdeutschen Thematik kommen, die wir auf „Weckt die Toten!“ schon draufhatten. Für uns ist es ein Statement, dass die Welt sich weiterdreht, aber oft die Probleme und die Angriffspunkte die gleichen bleiben. Deswegen haben wir gesagt, wir suchen uns das Palästinalied raus. Wir haben uns in 21 Jahren entwickelt, aber wir sind IN EXTREMO geblieben und das zeigt das „Palästinalied 2“.

Kann man jetzt vielleicht auch hoffen, dass man das „Palästinalied 2“ auch live zu hören bekommt?

Ganz sicher. Die genaue Setlist ist noch nicht geschrieben, aber wir wissen im Großen und Ganzen schon was wir so spielen wollen. Wir werden auf jeden Fall die nächsten zweieinhalb bis drei Jahre mit diesem Album touren und mit Sicherheit wird es Konzerte geben bei denen auch das „Palästinalied 2“ erklingen wird.

IN EXTREMO gibt es nun schließlich doch schon einige Jahre. Kommt es vor, dass einer von euch mal sagt: „Hey Leute ich will eigentlich nicht schon wieder ein Album aufnehmen oder auf Tour gehen“?

Ja das ist ne super Frage und die stellt sich natürlich und mit zunehmenden Alter immer öfter. Komischerweise habe ich als Jüngster auf jeden Fall einen großen Tatendrang. Ich kann es aber auch verstehen, wenn meine älteren Bandkollegen etwas Ruhe brauchen. Die Loreley hat uns durch den großen Erfolg aber einen riesigen Arschtritt verpasst und wir haben diese Energie mitgenommen und ins neue Album gesteckt. Ich bin wirklich nicht abergläubisch, aber ich denke der Grund, dass dieses Album so gut geworden ist, hat was damit zu tun, dass die Loreley so ein großer Abschnitt für uns war. Und man merkt an der Energie der Platte, dass sich da irgendwas getan hat.

Du bist jetzt doch schon seit sechs Jahren dabei. Fühlst du dich vollkommen eingelebt, oder merkst du immer noch, dass du mit Abstand das jüngste Mitglied bist.

Da muss ich wieder einen berühmten Musiker erwähnen, und zwar Brian Johnson, der mal gesagt hat: „Ich spiele jetzt schon 30 Jahre bei AC/DC und bin trotzdem noch der Neue. Was mache ich falsch“? Ich meine, halte erst mal 30 Jahre mit ner Band überhaupt durch. Ganz so wie ihm geht’s mir natürlich nicht, weil wir auch nicht ganz so erfolgreich sind, wie AC/DC haha. Meine Bandkollegen haben mir von Anfang an das Gefühl gegeben, dass ich zur Familie gehöre und das ist wirklich nicht übertrieben. Wir sehen uns 100 bis 150 Tage im Jahr und 24 Stunden am Tag. IN EXTREMO gibt es immerhin schon seit 21 Jahren und es gab nur zwei Besetzungswechsel. Das ist wirklich krass. Meinen Bandkollegen war es am allerwichtigsten, dass ich auch da reinpasse. Natürlich musste ich Schlagzeugspielen können, aber viel wichtiger war es, dass ich einfach zum Team und zur Familie gehöre und dieses Gefühl haben mir alle – auch die Crew, die zum Teil schon seit 21 Jahren mit dabei ist – von Anfang an gegeben.

Wie war es, „Quid pro Quo“ aufzunehmen? Hat sich bei euch schon längst die Routine eingeschlichen und ihr setzt euch einfach hin und spielt die Songs ein, oder ward ihr vielleicht sogar noch ein wenig aufgeregt?

Aufregung ist übertrieben, ich meine das ist jetzt unser zwölftes Album. Aufregend wird es dann, wenn die Platte rauskommt. Während der langen Produktionszeit – wir sind ja meistens so drei Monate lang im Studio – ist es nicht so, dass wir groß aufgeregt sind. Unsere Produzenten sind ja auch schon längst Teil der großen Familie und man wohnt dort in den Principal Studios wie in einem Hotel. Jeder hat sein eigenes Zimmer und kann sich zurückziehen, wenn er will. Das ist eine Produktionsweise, wie es damals die großen Rockbands in der 60ern und 70ern gemacht haben. Sowas gibt es ja heute nicht mehr und die Produktionsweise ist ja viel einfacher geworden, aber heute wird auch viel getrickst und beschissen. Bei uns gibt es sowas ganz sicher nicht und das braucht eben Zeit. Das ist ein ziemlicher Luxus, so produzieren zu können und das ist ein sehr sehr geiles Gefühl.

Leider musstet ihr euren Auftritt beim Rock in Vienna frühzeitig absagen. Wie ist das, wenn man auf einmal von der Bühne geholt wird?

Das war das erste Mal in 21 Jahren Bandgeschichte, dass die Band einen Auftritt absagen musste. Es hat ja schon Unfälle gegeben, aber da ging es dann irgendwie weiter. Es gibt da so ne Geschichte, bei der unser Gitarrist während dem Konzert im Krankenhaus war und bei den Zugaben ist er dann wieder auf der Bühne gestanden.

In Wien war es wegen dem Unwetter nicht möglich weiterzumachen. Man hat ja am Wochenende davor bei Rock am Ring erlebt was passieren kann. Der Veranstalter hat uns einfach von der Bühne geholt und wir spielen nächstes Jahr wieder. Diesem Ruf folgen wir, weil wir wollen natürlich nicht dass irgendwas passiert.

Ich sitze ja als Schlagzeuger recht weit hinten und ich habe gemerkt, dass der Backdrop, also der große Banner auf dem IN EXTREMO draufsteht, extrem zu flattern anfing und da dachte ich mir schon, dass das gefährlich werden könnte. Der Veranstalter hat zum Glück rechtzeitig reagiert. Das war das erste Mal, dass sowas passiert ist und es tut uns wahnsinnig leid. Aber es würde uns noch viel mehr leid tun, wenn wirklich was passiert wäre.

Gibt es etwas das du als Ausgleich zu IN EXTREMO machst? Also etwas, um möglichem Touringstress etc. zu entkommen?

Also ich esse sehr gerne und koche sehr viel. Ich interessiere mich für Wein und ganz besonders auch für die eine oder andere Spirituose, aber nicht, weil ich mich ins Koma saufen will. Mein Hobby ist also schon ein bisschen die kulinarische Sache.

Es ist für mich auch gar kein Problem mich zum Beispiel im Studio in die Küche zu stellen und für die ganze Band zu kochen, die dann abgekämpft nach einem langen Tag vom Aufnehmen kommt und dann steht ein schönes Abendessen mit ordentlichen Wein da – das ist Balsam für die Seele.

Da passiert auch ganz viel, wenn wir da so zusammensitzen mit unseren Produzenten und so und die Instrumente sind ganz weit weg. Da quatschen wir einfach mal und das ist ganz wichtig. So erfährt man wie der andere über die Musik denkt und sie fühlt. So kann ein Prozess eingeleitet werden und das geht beim Essen und gemeinsamen am Tisch sitzen sehr gut. Von dem her ist es nicht nur mein Hobby, sondern auch meine Passion die Leute an den Tisch zu bekommen.

Vielen Dank für das tolle interview.

Gerne, machs gut.

 


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