Interview: SONATA ARCTICA - Tony Kakko

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Ich hatte seit 15 Jahren keine Pause mehr von diesem Scheiß, es war mal an der Zeit!

Acht Alben haben die Finnen bereits rausgehauen und mit "The Ninth Hour" folgt nun, wie der Titel bereits verrät, der neunte Streich. Sänger Tony Kakko stand uns in einem Interview Rede und Antwort!

Text: Sonata
Veröffentlicht am 07.10.2016

Hi Tony! Erstmal bedanke ich mich für deine Zeit! Zwei Jahre sind nun vergangen, seitdem ihr “Pariah’s Child” und das “Ecliptica” Remake veröffentlicht habt. Nun erwartet uns „The Ninth Hour“, was, wie der Name schon verrät, die neunte Platte eurer Diskografie verkörpert. Ich erinnere mich daran, wie du seinerzeit von der „Unia“ Session als die bisher beste Recording Session berichtet hast. Wie stellte sich das mit dem neuen Album raus?

Das war hier definitiv nicht der Fall! (lacht) Lass uns das Ganze mit “Pariah’s Child” vergleichen, wo wir alle Songs vorher schon geprobt hatten, bevor wir ins Studio gingen, zusammen Demos aufgenommen haben etc.. Vergangenes Jahr im späten August habe ich entschieden, dass ich mir mal Zeit für Dinge fernab von SONATA ARCTICA nehme. Ich war viel unterwegs, hatte u.a. Shows mit unserem finnischen Projekt RASKASTA JOULUA oder stand mit NIGHTWISH beim Rock in Rio auf der Bühne. Anfang Januar diesen Jahres fragte das Label dann bei mir an, ob wir schon die Songs für das neue Album geprobt hätten und ich meinte nur, dass ich noch nicht mal angefangen habe, was zu schreiben! Sie wirkten sehr überrascht, aber ich sagte ihnen nochmal, dass ich ein halbes Jahr Pause gemacht habe. Ich hatte seit 15 Jahren keine Pause mehr von diesem Scheiß, es war mal an der Zeit! Es war keine klassische Pause, wie du dir denken kannst, denn genug zu tun hatte ich so oder so…Naja, dann begann ich damit, erste Ideen für die neue Platte zu sammeln und meinen Motor wieder zu starten, doch es war alles andere als einfach…Im Februar waren wir dann mit NIGHTWISH auf Tour und ich hatte diese brillante Idee, dass ich während dieser Tour ganz viel Material schreiben könnte, obwohl ich wusste, dass das sowieso nicht passiert…und so war es natürlich auch. Ich hatte das ganze Equipment also quasi ohne Grund mit. (lacht) Als wir wieder zuhause waren, spielte ich den Jungs den einzigen bis dato ordentlichen Song vor, was gleichzeitig die einzige Idee war, die der Truppe verdeutlichte, was da auf sie zukommt. Das war „We Are What We Are“ und darüber war ich auch sehr froh, weil es diese Flötenklänge nutzt. Natürlich spielte ich es Troy (NIGHTWISH) vor und fragte ihn, ob er diese Parts aufnehmen könnte. Er war einverstanden, was ich wirklich fantastisch finde! Wenn wir aber nochmal zum Entstehungsprozess der Platte zurückkommen…Nach der Winter Tour habe ich mich dran gesetzt, das Material zu schreiben, während ich mich vom Jetlag erholte. Die Jungs fingen bereits mit der Pre-Production an, was sich vor allem auf Drums usw. bezieht. Für mich war es wirklich ein Haufen voller harter Arbeit, dieses Album fertig zu bekommen…Ich war quasi tot als wir endlich fertig waren. Man sollte so nicht arbeiten, auch wenn ich mit dem Resultat sehr zufrieden bin. Dennoch fühlte es sich an wie der Gang durch die Hölle. Songs schreiben, sofort in den Mix gehen und gleichzeitig recorden. Das Ganze dann sofort ins Mastering geben, obwohl du denkst, dass du noch gar nicht fertig bist. Einen Song exakt eine Woche vor dem Mastering komplett neu zu schreiben sagt schon einiges aus…Ich hab da diese Methode: ich stelle den Timer von meinem Telefon auf 20 Minuten und wenn das Teil mich anschreit, muss der Song fertig sein. So habe ich dann gearbeitet und der Song war tatsächlich fertig! Das waren dann natürlich nur die Grundsachen wie Melodie, Struktur etc., die Lyrics waren natürlich kein Teil dieser 20-minütigen Session. (lacht) Das war alles in allem der schnellste Songwriting Prozess vom Beginn bis hin zum Mastering, den ich je erlebt habe. Es war durchaus etwas, dass ich genossen habe, aber ich MUSSTE es ja auch machen, was dann wiederum weniger angenehm war. Selbst nach dem Mastering habe ich noch manche Gesangsspuren neu aufgenommen, sodass diese wieder remastered werden mussten. Stell dir das Ganze wie ein digitales Foto vor, das im großen und Ganzen wunderschön aussieht. Wenn du allerdings heranzoomst, siehst du Pixel und so erging es mir mit diesem Album. Ich war den Songs so nahe, dass ich jeden noch so kleinen Fehler herausgehört habe. Es waren Dinge, die keine Sau gehört hat außer mir, aber sie waren da. Es fühlte sich fast so an, als sei ich autistisch oder so…Ich war sicherlich ziemlich anstrengend für die Jungs.

Würdest du denn behaupten, dass das Album vielleicht gerade deswegen so stark geworden ist, weil es unter einem gewissen Druck entstanden ist?

Nein, das würde ich so nicht sagen. Es ist immer besser, wenn du die Möglichkeit hast, die Songs auch mal anders auf dich wirken zu lassen. Wenn du fertige Songs z.B. für eine Woche liegen lassen kannst und sie dann erst wieder hörst, um eine andere Wirkung zu entfalten. Nur so erkennst du Fehler, die du ausbessern kannst. Diese Option war hier ja kaum bis gar nicht vorhanden. Ich habe ja noch vieles ausgebessert, nachdem die Platte bereits gemastered wurde…

Kann ich denn davon ausgehen, dass ich hier als Promo wirklich das fertige Album erhalten habe oder ist das noch eine veraltete Version?

Das ist durchaus eine berechtigte Angst…Ich hatte ab einem gewissen Punkt wirklich selber Angst, dass ich die falschen Dateien gelöscht habe und die unfertigen ans Label geschickt habe, aber du solltest definitiv das fertige Album vorliegen haben. (lacht)

“The Ninth Hour” hat sehr viel mit uns als Menschen zu tun, die diesen Planeten zu dem machen, was er jetzt ist. Viele von uns kümmern sich nicht wirklich darum, wie unser Planet in 50 oder 100 Jahren aussehen wird, obwohl der Planet im Endeffekt nicht uns gehört. Was hat dich inspiriert, dich mit diesem Thema musikalisch auseinanderzusetzen?

Naja, öffne deine Augen, mach den TV an, hör zu…Man nimmt so vieles mit, was auf diesem Planeten passiert. Deine eigenen Kinder zu haben, verändert die Sicht sowieso nochmal. Wenn du merkst, dass du sterblich bist, dann sind deine Kinder quasi die Ewigkeit. Nur durch deine Kinder lebst du quasi ewig wenn du so willst. Du siehst, wie sich die Welt verändert, siehst all das in Gefahr. Allein auch durch klimatische Veränderungen etc.. Es sind die menschlichen Elemente, die diesem Planeten Schaden zufügen. Wir vergiften uns und unsere Kinder, weißt du? Ich habe aber nicht versucht, die Dinge so darzustellen, wie sie richtig sein müssten. Ich sehe mich eher als Beobachter, der alles nur aus seiner Sicht schildert.

Musikalisch ist es gar nicht so einfach, das neue Album zu umschreiben. Ich denke, dass es sich progressiver zeigt als sein Vorgänger. Es erinnert mich irgendwie an „The Days Of Grays“ ohne die orchestralen Elemente, bietet aber erneut moderne als auch oldschool Elemente. Wo würdest du das neue Album einordnen?

So habe ich darüber noch gar nicht nachgedacht, aber du triffst es eigentlich wirklich gut mit dieser Aussage! Es ist quasi aus einem ähnlichen Set entstanden, wenn man so will! Ja…(denkt nach) Ja!

Als ich die Platte das erste Mal gehört habe, kam mir wirklich als erstes „The Days Of Grays“ in den Kopf. Die Songs haben eine ähnliche Struktur, bauen sich langsam auf, setzen den Chorus vielleicht nur zwei mal ein, bauen dafür aber einen anderen zusätzlichen Part ein, der den Chorus ersetzt.

Ja, das kommt schon ganz gut hin! Das ist jetzt mein viertes Interview heute und ich sammle die Eindrücke von allen Personen und bringe diese mit meinen zusammen. Immer eine sehr interessante Erfahrung! Ich hatte mir diesmal auch vorgenommen, dass die Songs alle in etwa um die vier Minuten gehen. Nach dem Mastering ist mir aufgefallen, dass das nicht wirklich gut funktioniert hat…Aber wie gesagt, ich sehe auch Parallelen zu „The Days Of Grays“. „Closer To An Animal“ könnte von der Stimmung her z.B. ein Nachfolger von “The Last Amazing Grays” sein.

„Closer To An Animal“ verkörpert die erste Single, die ihr ausgekoppelt hat, aber für mich persönlich fühlt es sich gar nicht an wie eine klassische Single. Nicht, weil der Song schlecht ist, eher, weil er sich nicht so leicht erschließt. Als ich das Album hörte, dachte ich daran, dass „Life“ eine sehr gute Wahl als Single sei. Wie betrachtest du das?

Es war schwierig für uns, festzulegen, welcher Song sich als Single eignet, aber “Closer To An Animal” war einer davon. Natürlich kommt auch noch eine Single mit Video und das wird tatsächlich „Life“ sein, wozu das Video auch bereits abgedreht ist. Wir haben unsere Liste an Nuclear Blast geschickt und nachgefragt, ob das so passt oder ob sie sich andere Songs als Single vorstellen könnten. Man war sich dort aber relativ einig, dass „Life“ der „Hit Song“ sein würde. Somit haben wir „Closer To An Animal“ als guten Aufbau und „Life“ als Single, die vielleicht sogar mal im Radio laufen wird! (lacht) Das ist Business!

Tja, es geht am Ende des Tages ums Geld!

Naja, nicht nur! Aufmerksamkeit ist alles! Ich meine…wir haben ca. 1 Millionen Facebook Likes, aber passt das zusammen mit unseren Albumverkäufen? Ich denke nicht…Ich würde es mir aber wünschen! (lacht) Naja, es bringt Leute dazu, auf uns aufmerksam zu werden und Shows zu besuchen. Es ist wie ein Spiel! Nicht mein Spiel, eher vom Label…Deswegen sind wir bei einem Label.

Ich denke, dass das Artwork zum neuen Album grandios geworden ist und die Thematik sehr gut bildlich darstellt. Wie betrachtest du das Artwork selbst?

Ja, absolut! Es zeichnet sich dadurch sehr gut ab, was für ein Gesamtbild dieses Album verkörpert. Das ist extrem gut gelungen!

Soweit ich das aufsaugen konnte, beschäftigt sich die Platte nicht nur mit unserem Planeten, sondern greift auch ganz andere Geschichten auf. Da fiel mir vor allem „Till Death’s Done Us Apart“ ins Auge, das einen gewissen „Juliet“ oder „Caleb“ Vibe innehat. Definitiv einer meiner Favoriten Auf dem Album. Was kannst du uns dazu verraten?

Ja, es ist definitiv in einer ähnlichen Machart entstanden. Erinnert stark an die Geschichte um Caleb. Musikalisch ist es „Juliet“ durchaus sehr ähnlich vom Stil her. Es hat sehr harte, aber auch komplexe Momente. Mit Sicherheit auch einer meiner Favoriten, der mir im Songwriting Prozess am meisten Spaß bereitet hat. Er gibt dir die Chance, dich komplett zu entfalten ohne irgendwelche Grenzen. Es wirkt dadurch fast wie eine Art Schauspiel.

Mit “White Pearl, Black Oceans Part 2” präsentierst du uns einen zweiten Part zu einem eurer Klassiker. War der Song als solches schon fertig, als die Idee entstand, ihn als zweiten Part zu inszenieren oder wie stellte sich diese Geschichte dar?

Nein, der Song war noch nicht fertig, als die Idee entstand. Ich habe mich mit diesem Song einfach gepusht, wollte ihn unbedingt endlich machen. Ich wollte diese Geschichte fortsetzen, die mit dem Tod endete. Ja, es war ein abgeschlossenes Ende, doch ich hatte das Gefühl, dass auch noch mehr dahinter stecken könnte. Ich wollte es „richtig“ machen, wenn man das so ausdrücken kann, aber ob die Geschichte dadurch lahm wird, kann ich dir nicht sagen. (lacht) Es ist wie Titanic, nur das am Ende jeder lebt! Der erste Part ist einer der besten Songs, die wir bisher geschrieben haben, umfasst einen sehr engen Rahmen, den ich da auch bedienen wollte. Es war mir z.B. wichtig, dass erneut orchestrale Elemente Einzug erhalten. Die Lyrics sind die eine Sache, aber musikalisch ist der zweite Part einfach „schöner“ auf eine gewisse Art und Weise. Der erste Teil war natürlich auch schön, aber hier fällt es auch mehr in den Zusammehang mit einem positiveren Ende der Geschichte.

Zum Schluss habe ich mehr oder weniger zwei Fanboy Fragen für dich auf Lager, die ich versuchen werde, zu kombinieren. In eurer kleinen Finnland Tour habt ihr „The Power Of One“ live gespielt, was mich ziemlich geärgert hat…Viele Fans würden den Song natürlich auch gern außerhalb von dieser kleinen Tour mal wieder live sehen, weil es ein großartiges Stück verkörpert!

Keine Sorge! Ich kann dich beruhigen! Schon bei den Proben lief es grandios mit dem Song und wir haben uns allein durch die Resonanz dafür entschieden, den Song auch für die kommende Tour in der Setlist zu behalten!

Das freut mich auf jeden Fall sehr! Zu guter letzt: Wie bereits angesprochen, habt ihr 2014 ein Remake zu „Ecliptica“ veröffentlicht, das in meinen Augen auch sehr gut gelungen ist. Besteht die Möglichkeit, dass ähnliches „Silence“ widerfahren wird?

Geplant ist in der Hinsicht nichts bis hierhin. Das war damals eine Geschichte, die wir zum Dank an unser japanisches Label machen wollten, die das Ganze auch stark supported haben. Es war als Dankeschön an das Label und die japanischen Fans gedacht, doch Nuclear Blast bekam Interesse und wollte die Idee größer aufziehen für einen weltweiten Release. So kam es, dass das Remake weltweit erschienen ist, es war tatsächlich für einen kleineren Rahmen gedacht. Ich bin auch ganz zufrieden, aber das Original toppt man sowieso nie. Ich glaube also eher nicht, dass wir so eine Geschichte nochmal in Angriff nehmen werden.

Alles klar Tony! Dann sind wir am Ende angelangt. Ich bedanke mich nochmals recht herzlich für deine Zeit und wünsche euch alles erdenklich gute mit eurer neuen Scheibe „The Ninth Hour“, die in meinen Augen wirklich super geworden ist! Man sieht sich auf Tour!

Vielen Dank Christian! Hat mir sehr viel Spaß bereitet!


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