Interview: MIST OF MISERY - Mortuz & Phlegathon

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Black Metal ist nicht die Art Musik, die die Leute schnell wieder vergessen. Das ist Musik, die dir für immer bleibt.

Im Oktober hatte ich die Ehre, mir ein paar lokale Black Metal Bands im Stockholmer “Göta Källare”-Club reinzublasen. Unter anderem waren da die sehr nachhaltigen MIST OF MISERY zugange, die mich mit ihrem symphonischen und doch irgendwie rudimentären Black Metal unweigerlich in den Bann zogen.

Veröffentlicht am 20.01.2017

Im Oktober hatte ich die Ehre, mir ein paar lokale Black Metal Bands im Stockholmer “Göta Källare”-Club reinzublasen. Unter anderem waren da die sehr nachhaltigen MIST OF MISERY zugange, die mich mit ihrem symphonischen und doch irgendwie rudimentären Black Metal unweigerlich in den Bann zogen. Grund genug, mir Trommler Mortus und den Gitarristen Phlegathon zu schnappen und mit Fragen zu malträtieren.

Euer zweites Full Length Teil “Absence” kam 2016 raus. Erzählt mit zuerst mal, gibt’s da ein Konzept hinter dem Album und wovon handeln die Songs?

Mortuz: Die Songs unterscheiden sich natürlich zueinander, aber die meisten handeln von Einsamkeit, Leiden und Selbsthass, zumindest auf irgendeine Weise.

Phlegathon: “Absence” ist zuerst mal kein Konzeptalbum. Obwohl natürlich manche Lyrik-Themen da und dort in den Songs des Öfteren immer wieder auftauchen, aber das war bei MIST OF MISERY eigentlich schon immer so, seit Beginn an. Die Themen drehen sich üblicherweise um stark negative oder melancholische Emotionen und um das Reflektieren der eigenen Existenz. Der Song “Epitaph Of Penitence” handelt zum Beispiel davon, dass man stirbt und eigentlich nichts erreicht hat im Leben, und von der Reue die man in so einem Moment verspüren muss. Lyrisch am meisten herausragen dürfte aber “Paragon Of Perdition”, da geht es um den Antagonisten Morgoth aus Tolkien’s “Silmarillion”.

Stimmt es, dass der Aufnahmeprozess für “Absence” sich sehr lange hingezogen hat, grundlegend über fast die letzten fünf Jahre ?

Mortuz: Ja, wir haben “Absence” im Grunde über die letzten fünf Jahre hinweg aufgenommen. Das hat aber prinzipiell damit zu tun, dass ich währenddessen unser Studio aufgebaut habe und auf diesem Wege kam immer auch irgendwie neues Equipment rein. Das resultierte dann darin, dass wir die Songs oft wieder und wieder aufnahmen, mit besserem Equipment und weil wir einfach die Möglichkeit hatten, die Songs insgesamt besser zu machen.

Also habt ihr mit dem Songwriting bereits kurz nach “Bleak Autumn” (Full Length) begonnen, oder gar schon davor ?

Mortuz: Manche Songs sind in Wahrheit bereits lange vor “Bleak Autumn” entstanden, wie etwa “Serenity In Nothingness”. Diesen Track habe ich bereits 2008 geschrieben, zwei Jahre bevor wir MIST OF MISERY gründeten. Und die beiden Songs “Mist Of Misery” und “Epitaph Of Penitence” wurden auch noch 2010 geschrieben, bevor unser erster Longplayer “Bleak Autumn” rauskam.

Phlegathon: Ja, und der Rest der Songs wurde auch schon lange vor der “Bleak Autumn”-EP geschrieben.

Verglichen mit anderen Black Metal Bands kommt ihr im Ganzen doch relativ “traditionell” rüber. Das Artwork ist sehr reduziert, oft nur schwarz-weiss, ihr posiert in Wäldern …

Mortuz: Denkst du? Also ich würde dir da definitiv nicht zustimmen. Unsere älteren Sachen mögen vielleicht mehr traditioneller Black Metal sein, aber seit ”Temple Of Stilled Voices” ist das sicher nicht mehr so. Aber da ist jeder berechtigt, seine eigene Meinung drüber zu haben.

Phlegathon: Also das Image der älteren MIST OF MISERY hat sicher viel mehr gemeinsam mit dem ganzen “Lo-Fi-Black Metal”-Stil, wenn es das ist, worauf du anspielst. Ich glaube aber, in den letzten paar Jahren sind MIST OF MISERY ein wenig von diesem Zeug abgerückt. Wenn ich persönlich an “traditionellen” Black Metal denke, dann denke ich an Lyrics und Bilder mit einem ernsthaft religiösen Konzept dahinter, und das ist bei MIST OF MISERY mit Sicherheit nicht der Fall.

Ok, also keine Religion. Aber wie viel Einfluss hat beispielsweise die Natur immer noch in eurer Spielart des Black Metal?

Mortuz: Wir nutzen die Natur als Background sehr intensiv, würde ich sagen, speziell wenn es um Ambiente geht – mit Wind, Regen, Donner und all den Dingen. Das ist etwas, was igendwie auch “unser Ding” ist, wir haben das immer verwendet und werden es wahrscheinlich auch immer wieder verwenden.

Im Detail also: wieviel davon ist Image, und wieviel davon geht bis in eure Privatleben rein?

Mortuz: Viel davon ist aus meinem privaten Leben genommen, ich versuche da soviel als möglich miteinzuarbeiten, um es in irgend einer Weise “realer” zu machen.

Phlegathon: In meinem Fall spiegeln die Dinge einen gewissen Teil meines Lebens wider. Wir haben alle eine düstere Seite an uns, aber ich würde nicht so weit gehen und sagen, ich wäre etwa eine depressive Person, eher das Gegenteil. Die Lyrics, die ich beisteuere, spiegeln sehr das wider, was ich fühle und denke. Das Gleiche gilt auch für die anderen in der Band, denn es ist die einzige Art, wie man Lyrics schreiben sollte: sie sollten authentisch sein.

Wie wichtig ist es also in der Szene immer noch, ein Image zu erschaffen? Als für wie wichtig würdet ihr zum Beispiel Corpsepainting erachten?

Mortuz: Ich weiss nicht, wie wichtig das für andere Bands sein mag, aber wir verwenden es immer noch, weil es eine Möglichkeit ist, uns auf der Bühne zu maskieren, um eine andere Person zu werden, um der Kälte und dem Hass in unserer Musik quasi ein Gesicht zu geben.

Phlegathon: Ich glaube, die meisten Bands verwenden es heutzutage eher nicht mehr, aber in unserem Fall passt es eben perfekt zur Musik, und wie Mortuz schon gesagt hat, ist es eine gute Möglichkeit, ein bestimmtes Gesicht aufzusetzen und die Emotionen zu porträtieren, die wir in unseren Live-Performances rüberbringen wollen.

Offiziell repräsentiert ihr beiden die Band, spielt aber live zu viert oder zu fünft. Wer sind die anderen Typen bei MYST OF MISERY?

Mortuz: Das stimmt so nicht ganz. Offiziell sind wir zu dritt, ich, Phlegathon und Livsnekaren. Die anderen beiden sind Damian (Urban, Bass; Anm.) und Joel (Hagroth, Guitar; Anm).

Phlegathon: Joel und Damian, oder “Urban” wie er sich gerne nennt, sind Freunde von uns, die uns bei den Live-Performances aushelfen. Manchmal hilft uns Joel auch bei anderen Sachen, wie etwa den Visuals und solchem Zeugs.

Ihr beschreibt euch selbst – unter anderem – als “Symphonic Black Metal”, und euer letztes Album klingt auch tatsächlich sehr symphonisch, mit massig Keyboards und so Dingen. Live hatte ich jedoch den Eindruck, ihr klingt ein wenig mehr wie der Black Metal in den Neunzigern: reduziert, melodisch, mit einer kalten Aura drum herum…

Mortuz: Wir spielen live mit Backing Tracks. Also ist jeder Ton vom Album auch live zu hören. Warum der Sound minimaler klingt, kann damit zusammenhängen, dass es eben live ist, und es immer auch damit zusammen hängt, wie die Verhältnisse auf der Bühne sind. Um unsere Musik ordentlich aufführen zu können, benötigen wir eigentlich eine grosse Bühne mit guten Verstärkern und einem fett klingenden Drumkit. Aber man muss halt mit dem arbeiten, was man gerade hat.

Ok, ich hatte nur den Eindruck, ihr würdet die Keyboard-Spuren live etwas reduzieren…

Mortuz: Nein, wie ich bereits sagte, die Keyboards oder die Keyboard-Spuren sind die selben wie auf der Platte.
 

Ihr verwendet im Zusammenhang mit eurer Musik oft die Begriffe “todessehnsüchtig” und “depressiv”. Alles in allem seid ihr aber recht lebensfrohe Gesellen, und nicht gerade diejenigen, die man sich so einsam und betrübt duch die schwedischen Wälder wandelnd vorstellt…

Mortuz: Ich glaube das ist irgendwie beknackt, wenn du das so sagst, denn du kennst uns ja nicht wirklich, und man muss ja nicht durch den Wald wandeln, wenn man depressiv ist…

Phlegathon: Richtig, und wie ich schon sagte: wir haben alle eine traurige, düstere Seite an uns. Bei einigen ist das vielleicht etwas offensichtlicher, bei anderen weilt und gärt diese Stimmung in den dunklen Ecken der Seele. Ich denke, jeder kann sich in Emotionen wie Verzweiflung, Einsamkeit oder Hoffnungslosigkeit in der ein oder anderen Weise hineinversetzen, und viele dieser Emotionen kommen in unserer Musik zum Ausdruck. Das hat weniger mit unserer Herkunft zu tun, sondern mit der Tatsache, dass wir Menschen sind. Das alles sind menschliche Emotionen.

Wurden auch persönliche Tragödien auf “Absence” verarbeitet?

Mortuz: Ja, es sind durchaus persönliche Tragödien und Verluste in den Lyrics von “Absence” present.
 

Mortuz, die Band wurde von dir zusammen mit Hellstorm (Simon Sjölander) 2010 gegründet. Was wurde aus ihm?

Mortuz: Ja das stimmt. Aber nach einer Auseinandersetzung zwischen mir und Hellstorm entschieden wir, dass es besser wäre für ihn zu gehen.

Es scheint in Stockholm und Umgebung einen regen Musiker-Austausch zwischen den Bands zu geben, zum Beispiel die Jungs von MIDVINTERBLOT, die euch auch schon live ausgeholfen haben, oder die Musiker von HYPERION und EUFORI, euren Side-Projects…

Mortuz: Stimmt, ein paar Leute von MIDVINTERBLOT waren auch MIST OF MISERY-Mitglieder in den frühen Tagen. EUFORI entstanden lang vor MIST OF MISERY, und sie bestehen heute eigentlich nur noch aus mir und Livsnekaren. Aber es stimmt, dass uns einige der HYPERION-Jungs in der Vergangenheit auch schon live unterstützt haben.

Seid ihr – ausser bei HYPERION und EUFORI – momentan auch noch irgendwo anders involviert ?

Mortuz: Ich spiele nebenbei noch Schlagzeug in einer Death-Doom-Band namens SOLILOQUIUM.

Phlegathon: Nein, MIST OF MISERY und HYPERION sind meine beiden Baustellen im Moment. Ich mache nebenbei manchmal ein wenig experimentelles Electronic-Zeug, wenn mir danach ist, das würde ich aber nicht unbedingt als “Band” bezeichnen.

Glaubt ihr es ist besser, wenn man die Szene eher klein, dafür aber kreativ hält? Ist “musikalischer Inzest” irgendwie notwendig?

Mortuz: Nein, ich denke nicht.

Phlegathon: Die wichtigste Zutat für eine blühende Szene ist, dass die Musik Potential hat. Eine kleine Szene könnte natürlich in manchen Fällen gesünder sein, aber es gibt am Ende keine Formel, um eine qualitativ hochwertige Szene zu erschaffen. Es sind rund um den Erdball im Laufe der Zeit so viele verschieden Szenen entstanden, unter allen möglichen vorstellbaren Bedingungen – ich denke es ist einfach das Zusammenspiel von vielen Zufällen, die zu einer musikalischen Evolution führen, und in manchen Fällen auch zu einer Revolution.

Wie seht ihr die schwedische Black Metal-Szene heute?

Phlegathon: Es ist nicht so schlimm, wie das manche Leute vielleicht glauben mögen. Es gibt immer noch Bands, die qualitativ hochwertigen Black Metal raushauen. Natürlich, jede Szene wächst und nabelt sich irgendwann vielleicht mal von ihren Wurzeln ab, was sich in guten und schlechten Bands niederschlägt. Wenn man nach der Hingabe der Fans zur Szene geht, dann ist der Black Metal hier heute stärker als je zuvor. Das ist nicht die Art Musik, die die Leute schnell wieder vergessen. Das ist Musik, die dir für immer bleibt.

Die erste Generation von Black Metal-Bands und -Musikern ist schon Vergangenheit, oder sie sind in andere Gebiete abgewandert. Einige alte Haudegen wie MARDUK, ENSLAVED, WATAIN, EMPEROR oder DARK FUNERAL sind immer noch da und haben sich teilweise zu etwas gänzlich neuem, originellem entwickelt. Wo denkt ihr führt der Weg des Black Metal in der Zukunft hin?

Phlegathon: Ich weiss nicht, wieviel in punkto Extreme noch so geht, aber in Anbetracht der musikalischen Qualität ist da noch viel Platz für Innovationen. Ich galube, da kommen noch interessante Zeiten auf uns zu!

Was denkt ihr, fliesst die Kreativität in der Black Metal-Szene nur in eine Richtung, von den alten zu den neuen Bands? Oder ist es heute durchaus auch schon umgekehrt?

Phlegathon: Ich bin mir nicht sicher ob ich dir da jetzt folgen kann. Jede Generation an Künstlern hat ihre bestimmte Art und Weise, an die Dinge heranzugehen, das gilt mit Sicherheit auch für die Black Metal-Szene. Die alten Bands hatten ihre eigene Art, die neuen Bands haben ebenfalls eigene Ansätze, gewisse Dinge zu tun. Viele Bands haben halt gemeinsame Wurzeln oder sind sonst irgendwie “verwandt” wenn du so willst.

Was haltet ihr von diversen neuen Sub-Genres, wie etwa dem amerikanischen “Cascadian Black Metal”, wie ihn WOLVES IN THE THRONE ROOM oder ALDA spielen, die sich selbst ja gerne als “öko” und naturverbunden sehen?

Phlegathon: Ich bin mit dieser Art Szene jetzt nicht unbedingt vertraut. Aber von den amerikanischen Bands gefallen mir etwa CALADAN BROOD (Atmospheric Black Metal-Band aus Salt Lake City; Anm.) sehr gut, und auch diese polnische Band namens BATUSHKA. Gerade BATUSHKA haben echt was neues und erfrischendes kreiert.

Seid ihr da mehr Traditionalisten oder ist es gut, viele Sub-Genres im Black Metal zu haben?

Phlegathon: Ich hab mich früher echt an diesen ganzen Schubladen gestossen, aber heute stören mich all diese verschiedenen Geisteshaltungen eigentlich nicht mehr. Musik wird sich immer in irgend eine Richtung entwickeln, manche Bands tragen das Ganze eine Stufe höher, andere wiederum nicht. Im Falle von Black Metal ist es mittlerweile für mich eine gute Sache, dass es Bands gibt, die experimentieren und hart arbeiten, um der Musik neue Höhen und vor allem Tiefe zu veleihen.

Welche Bands hört ihr so? Was beeinflusst euch momentan?

Mortuz: COLDWORLD, LIFELOVER, THY LIGHT, DIMMU BORGIR, EMPEROR, DISSECTION und vieles mehr.

Phlegathon: Wir lassen uns auch viel von Film- und Gaming-Soundtracks beeinflussen, genau so wie von klassischer Musik. Alles, was unser Ohr so aufschnappt.

Spielt ihr momentan viele Live-Shows?

Mortuz: Ja, im Moment spielen wir in der Tat sehr viele Shows.

Phlegathon: Und es werden noch viele folgen, da könnt ihr sicher sein!

Bevorzugt ihr da eher so kleine Clubs wie den kuscheligen “Göta Kellare”?

Mortuz: Das hängt von der Musik ab. Wenn wir selber spielen: absolut nein, je grösser, desto besser für unsere Musik!

Besteht die Chance, euch auch mal bei uns in Österreich live zu sehen?

Phlegathon: Man kann die Zukunft nicht vorhersagen, aber wir hoffen es. Wenn ein lokaler Promoter Interesse an uns hat und die Nachfrage da ist, wird sich da sicher was machen lassen. (Also, lokaler Promoter: du weisst, was zu tun ist! Anm. d.Verf.]

OK Gentlemen, danke fürs Gespräch. Noch ein letztes Wort für unsere Leser?

Phlegathon: Danke für’s Lesen des Interviews und hört mal in unser letztes Album “Absence” rein!

 

MIST OF MISERY Logo by Christophe Szpajdel.

All pictures (c) Joel Hagroth.


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