Interview: METALLISIERTE WELT - Moritz Grütz

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Zu sehen, was manche Leute bereit sind, für ihre Leidenschaft zum Metal in Kauf zu nehmen, hat mich nachhaltig beeindruckt.

Ein Buch über die Metalszene in den entlegensten Winkeln dieser Erde? Da mussten wir doch gleich einmal bei Autor Moritz Grütz nachfragen, wieso, warum und überhaupt!

Veröffentlicht am 28.12.2017

„Metallisierte Welt“ startete ja als Online-Serie auf Metal1.info. Wie bist du seinerzeit auf die Idee gekommen, dich mit solch einer Akribie und Hartnäckigkeit an die Fersen des Heavy Metal auf internationaler Ebene zu heften?

Alles fing ganz harmlos mit einer Promo der Band AL-NAMROOD aus Saudi-Arabien an, denen ich im Interview wegen des Herkunftslandes nicht nur "Standard-Fragen" zur Musik stellen wollte. Diese Fragen habe ich dann, weil mich die Antworten beeindruckt hatten, im Hinterkopf behalten und immer wieder mal ausgepackt, wenn es sich aufgrund der Herkunft einer Band angeboten hat - und irgendwann hat sich das dann in Richtung Special kanalisiert und ich habe angefangen, spezifische Interviews zu führen - das Thema hat mich einfach nicht mehr losgelassen, gerade, weil die Antworten aus allen Teilen der Welt teils so unterschiedlich, teils so überraschend übereinstimmend ausfielen.
 

Inzwischen liegt uns „Metallisierte Welt“ ja sogar in Buchform vor – wie kam es denn dazu? Du beschäftigst dich hier ja doch mit einem sehr speziellen Thema.

Als ich dann an die 30 Interviews beisammen hatte, kam mir irgendwann die fixe Idee, das es schon zu weniger spannenden Themen Bücher gegeben hat - warum also nicht auch hierzu? Ich habe dann einfach mal über Amazon nach Metal-Büchern gesucht, Verlage ausfindig gemacht und angeschrieben. Und dann einfach die nötige Portion Glück gehabt, dass der langjährige Jugendkultur-Experte Klaus Farin, Gründer des Archives für Jugendkulturen in Berlin und eben auch des daraus hervorgegangenen Hirnkost-Verlages, sich sofort für das Thema begeistern konnte und meine: Das machen wir. Ohne diese Fügung wäre das Buch-Projekt vielleicht irgendwie und irgendwann, aber sicher nicht so fokussiert und professionell aufgezogen realisiert worden.
 

Stichwort Aufbau: Ich nehme an, es hat einen guten Grund, dass du keine trockenen Abhandlungen verfasst hast, sondern ausschließlich auf die Interviewform setzt?

Pragmatisch gesehen: Ja - weil die Interviews eben da waren. Aber auch rational gesehen hätte ich keinen Sinn darin gesehen, das Material für eine ausufernde Abhandlung aus meiner Feder auszuschlachten. Spannender und näher am Leben als im O-Ton wäre es dadurch eh nicht geworden. Zudem schwingt vieles eher im Subtext der Aussagen der Musiker mit - beim Übersetzen habe ich großes Augenmerk darauf gerichtet, die Aussage dahingehend möglichst detailgetreu zu erhalten. In einem Fließtext wäre das Risiko, etwas zu unterschlagen oder zu übertrieben zu gewichten, viel zu hoch gewesen. Für die wertende Interpretation der Interviews gibt es zudem ja auch noch mein Fazit am Ende des Buches, in dem ich die einzelnen Themenfelder nochmal durchgehe und mit den prägnantesten Zitaten aus den Interviews unterfüttere.
 

Wie schwierig war es teilweise, zu all diesen Leuten in so abgelegenen Winkeln der Welt Kontakt aufzunehmen? Hattest du da irgendwelche Unterstützung, oder hast du alles alleine gestemmt?

Kontakt aufzunehmen ist in der heutigen, digitalen Welt zum Glück kein Problem mehr - zumindest nicht mit Bands, die online schon in Erscheinung getreten sind, was ja für alle Bands gilt, die man über das Internet ausfindig machen kann. Schwieriger war dann schon, diesen Kontakt auch zu einem Ergebnis in Form eines beantworteten Interviews auszubauen: Viele angeschriebene Bands haben gar nicht geantwortet, einige haben mir abgesagt, und bei den Zusagen musste ich mitunter fast ein Jahr hinter den Antworten herlaufen. Am Ende hat es aber alles gut geklappt, und "Metallisierte Welt" bietet ein stimmiges, wenn auch natürlich nicht vollständiges Bild der weltweiten Metal-Szene in den abgeschiedensten Ecken unseres Planeten.
 


NERVECELL aus den Vereinigten Arabischen Emiraten spenden nicht nur das Vorwort zu "Metallisierte Welt", sondern werden 2018 auch in Österreich am Sick Midsummer Festival auftreten.
 

Was war für dich die überraschendste Einsicht, die du durch dieses Projekt gewonnen hast?

Zu sehen, was manche Leute bereit sind, für ihre Leidenschaft zum Metal in Kauf zu nehmen, hat mich nachhaltig beeindruckt - sei es wirklich Gefahr für Leib, Leben und die Angehörigen, oder einfach auch echte soziale Ausgrenzung - Probleme, die man hierzulande zum Glück lange nicht mehr oder, in den extremen Ausprägungen auch noch nie, hatte. Das relativiert dann doch das eine oder andere Problem, mit dem wir hierzulande noch zu kämpfen haben.
 

Welche Band, beziehungsweise welcher Erfahrungsbericht hat dich am meisten beeindruckt?

Die Nachricht von AVESTA aus dem Iran, in der sie mir erklären, warum sie mir bei der derzeitigen Situation in ihrem Land meine Fragen nicht beantworten können, hat mich sehr bewegt. Aber auch das Bild, das Bassem Deaibess von BLAAKYUM aus Beirut über Kriegszeiten malt ("Außerdem kann man auch in einem Kriegsgebiet glücklich sein, wenn du tagelang in einem Versteck sitzt, mit nichts außer einem batteriebetriebenen Kassettenspieler und einer E-Gitarre, die du nirgends einstecken kannst, weil es keinen Strom gibt: Du hörst einfach nur Metal und jammst dazu auf der Gitarre.") hat mich wirklich berührt. Zuletzt wäre dann noch die Einschätzung der Madagassen BEYOND YOUR RITUAL zu nennen, die sehr treffend beschreiben, wie man sich in einem Land, in dem der Metal eine Underground-Sache ist, und das die Metal-Welt nicht wirklich auf dem Schirm hat, als Metalhead fühlt: „Metal in Madagaskar? Das ist wie ein Boot in der Mitte des Ozeans, auf dem du Radioempfang hast, der dir erlaubt, alles aus der restlichen Welt zu empfangen, aber du kannst nichts hinaussenden. Keiner hört dich, keiner weiß, dass du da bist." Ich finde, das bringt das Problem der Abgeschiedenheit trotz Internetanschlusses perfekt auf den Punkt.
 

Ich nehme an, du musstest im Zuge deiner Nachforschungen auch so manche Absage hinnehmen. Welche Länder hättest du persönlich noch gerne mit dabei gehabt?

Tatsächlich habe ich schlussendlich ein Package beisammen gehabt, mit dem ich zufrieden war. Bei den Ländern, die ich unbedingt dabei haben wollte, habe ich entweder bei der Band, mit der ich in Kontakt stand, nicht eher Ruhe gegeben, bis ich hatte, was ich wollte, oder in anderen Fällen auch einfach weitere Bands angefragt, bis ich eine gefunden habe, die mitwirken wollte. Mehr Länder wären sicher noch gegangen, klar - aber irgendwo musste ich dann die Grenze ziehen, um mich nicht in dem Projekt zu verlieren. Im Großen und Ganzen sind die verschiedenen Arten von Abgeschiedenheit, kulturell, religiös oder geographisch abgedeckt, ich habe Bands aus Gebirgsregionen (Nepal), Wüsten (Saudi-Arabien), Inselstaaten (Färöer, Malediven), abgeschiedenen Kontinentalregionen wie Sibirien und Kasachstan dabei - viele Bands aus muslimischen Ländern und eine Black-Metal-Sängerin aus Südamerika (Mexico). Ich denke, die Bandbreite ist, wie sie ist, genau richtig. Ohne, nochmal betont, einen Vollständigkeitsanspruch zu stellen, ergibt sich mit den 34 Interviews im Buch glaube ich ein sehr rundes Bild der "undergroundigsten" Metal-Szenen der Welt.
 

Hast du einige der Länder, die in diesem Buch Erwähnung finden, auch schon einmal selbst bereist um dich vor Ort auf die Suche zu begeben?

Die Interviews im Buch und die dazu nötigen Kontakte sind alle über das Internet zustande gekommen. Privat war ich unlängst zwar drei Wochen im Oman, ein Treffen mit BELOS, der in "Metallisierte Welt" vertretenen Band aus diesem Land, hat sich allerdings leider nicht ergeben. Ansonsten hatte ich bislang leider nicht die Möglichkeit, in den Ländern zu reisen - die meisten sind ja auch keine alltäglichen Reiseziele. Spannend wäre es allemal.
 

Wirst du das Projekt online noch weiter betreiben, suchst du weiter aktiv nach Musikern aus Ländern die noch nicht beleuchtet wurden, oder betrachtest du das Ganze mit der Veröffentlichung des Buches als abgeschlossen?

Es ist aktuell sogar das Gegenteil der Fall: Im Buch finden sich noch einige Interviews, die in der Online-Serie auf Metal1.info nicht enthalten sind und die auch Buch-exklusiv bleiben werden - darüber hinaus sind die Interviews im Buch alle nochmal überarbeitet und vielfach auch nochmal inhaltlich durch weitere Fragen, die im Prozess der Buch-Werdung auftraten, ergänzt worden. Für mich ist das Buch also die perfektionierte Fassung der Serie und deren Krönung. Ich kann nicht ausschließen, dass früher oder später nochmal online einzelne Interviews folgen, und sicherlich werde ich, wenn mir eine Band mit spannender Herkunft über den Weg läuft, auch in normalen Interviews für Metal1.info ein paar Fragen aus dem "Metallisierte Welt"-Katalog aufgreifen. Dann aber einfach aus dem nach wie vor vorhandenen Interesse heraus, nicht im Sinne einer Fortsetzung des Projektes.
 


Starker Wälzer, der in keiner Metalsammlung fehlen sollte. Ab 2. Januar erhältlich!
 

Hast du jemals gezählt wieviel Zeit du in das ganze Projekt gesteckt hast?

Nein. Ich wüsste auch nicht, wo ich da anfangen und aufhören sollte. Von der Recherchearbeit, den endlosen Email- und Facebook-Konversationen mit den Bands (vom Erklären der Projektidee bis zum virtuellen Arschtritt, wenn nach Monaten und unzähligen Nachrichten immer noch keine Antworten vorlagen) angefangen, über das Übersetzen, Sortieren, Lektorieren und Layouten des Manuskripts bis hin zum Pflegen der Facebook-Seite und der Promotion-Arbeit, um das Projekt bekannt zu machen, war das Buch jetzt schon ein mehr oder minder täglicher Begleiter - und damit auch Zeitfresser. So viel Spaß das alles gemacht hat: Jetzt bin ich dann doch froh, wenn das Buch veröffentlicht ist, und Rezensionen und Leserfeedback hoffentlich die Promo übernehmen.
 

Last but not least: Warum sollte jeder Metalhead dieses umfassende Werk unbedingt zuhause stehen haben?

Nun, weil es, glaube ich, die Sichtweise auf unsere geliebte Szene doch nachhaltig beeinflusst und prägt: "Szene-Zusammenhalt" bekommt eine ganz neue Bedeutung, wenn man sieht, was Menschen am anderen Ende der Welt genau dafür tun, oder was sie dafür geben würden, mehr Unterstützung zu erfahren. Wenn die Bands, die schlussendlich im Buch gelandet sind, musikalisch gesehen vielleicht auch nicht alle nach unseren Standards zu überzeugen wissen, macht das Buch doch neugierig - eine Eigenschaft, die man gerade als Mitglied einer so vitalen Szene nie verlieren sollte. Insofern: Kauft das Buch, lasst euch von Metalheads aus allen Winkeln der Welt ihre dortige Szene beschreiben und begebt euch selbst auf die Suche nach spannenden Bands aus aller Herren Länder. Nur durch gegenseitige Unterstützung wächst die weltweite Szene weiter zusammen, nur so können wir diesen Leuten zeigen, dass sie wirklich Teil einer weltweiten Szene sind, die sehr wohl die Signale auch von der kleinsten Insel empfängt, dass sie gehört werden und wir wissen, dass sie da sind.
 

Vilen Dank dass du dir die Zeit für das Interview genommen hast! Wir wünschen dir viel Erfolg mit deinem Buch Moritz!

Vielen Dank für das Interesse und die interessanten Fragen, und vielen Dank an alle, die bis hierher gelesen haben! Wenn euch das Projekt interessiert, unterstützt mich durch den Kauf des Buches (oder ebooks) und unterstützt den weltweiten Underground! Bleibt neugierig!


Mehr Infos zu "Metallisierte Welt" erhaltet ihr in unserem Review zum Buch!


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