Interview: SPIRITUAL FRONT - Simone Salvatori

Artikel-Bild

Ich musste Dinge klarstellen, die ich nie gesagt oder gedacht hatte, das war dämlich, hätte ich nicht tun sollen. Wenn du nichts zu verbergen hast, wieso solltest du dann etwas klarstellen, und gegenüber wem?

Simone Salvatori spricht hier, so offen und direkt wie immer, unter anderem über das neue Album "Amour Braque", persönliche Erfahrungen mit Religion, angebliche politische Verstrickungen im Neofolk, falsche Rechtfertigungen und einiges mehr.

Veröffentlicht am 05.04.2018

Unlängst hatte ich die Ehre, Simone Salvatori von SPIRITUAL FRONT einen kleinen Fragenkatalog zukommen zu lassen. Dabei geht es natürlich auch um das neue Album „Amour Braque", welches kürzlich erschienen ist, aber Themen wie Inspirationen, Song-Writing-Prozesse, gesellschaftskritische Aspekte, Religion, falsche Rechtfertigungen und das oft als problematisch angesehene, angebliche politische Spannungsfeld im Neofolk dürfen dabei auch nicht fehlen.

 

Ciao Simone! Danke für die Möglichkeit dieses Interviews! Ich hoffe, dass die finalen Stadien von „Amour Braque“ gut gelaufen sind. Das neue Album wird die Läden am 23.03.2018 erreichen. Was kannst du uns über dieses Album sagen, das von so vielen erwartet wird? Was sind die Hauptthemen?

Ciao… Danke für deine Einladung! Ohne jeden Zweifel kann ich sagen, dass „Amour Braque” unsere bisher beste Veröffentlichung ist, fast die kompletteste. Es ist eine Art Suicide-Pop-Manifest.

Gibt es irgendeinen Bezug zum Film mit demselben Namen?

Der Film hat eine große Rolle gespielt, aber ich kann nicht sagen, dass das Album direkt von Zulawskis Film inspiriert ist. Es gibt einige gemeinsame Themen. „Amour Braque“ drückt in seiner Gesamtheit aus, was wir uns erdachten, was wir erlebten, was wir erschaffen haben. Es ist eine Art „State of Mind“.

Nach „Armageddon Gigolo“ und „Rotten Roma Casino“ sind die Erwartungen sehr hoch, vor allem, da schon acht Jahre seit dem letzten Full-Length-Album vergangen sind und ihr daran schon seit längerer Zeit gearbeitet habt. Wie lief der ganze Prozess ab und was waren die Hauptinspirationen?

Ehrlich gesagt habe ich nie aufgehört Songs zu schreiben, zu komponieren. Nach dem letzten Album habe ich am Doppelalbum „Open Wounds“, an „Black Hearts in Black Suits“ und an der Split mit LYDIA LUNCH „Twin Horses“ gearbeitet. Das ist so ein konstantes Bedürfnis, etwas zu erschaffen, eine Geschichte zu erzählen, und in diesem speziellen Fall hatte ich das Bedürfnis, mich komplett nackt zu machen. Die Inspiration ist einfach das Leid, das von dem tragischen Mienenspiel verborgen wird, das unser Leben ist. Eine Maskerade; eine gefällige, gewöhnliche und falsche Maskerade. Versuch darüber nachzudenken: Es ist so schwer zu sagen, wer und was du bist, was du fühlst, da jede Handlung, jeder Gedanke zwangsläufig und vor-konstruiert ist: Denk, wie du denken sollst, stirb, wie du zu sterben hast, wünsche, was du wünschen darfst, rebelliere, wie du rebellieren darfst. Oder etwa nicht?

Hast du wieder mit dem Morricone Orchestra und Jack und Sten Puri kooperiert?

Mit Sten ja, er hat die Streicher-Arrangements auf „Amour Braque“ beigesteuert. Mmm, mit den anderen nicht, hab die Chance, mit ihnen zu arbeiten, nicht erneut ergriffen, aber vielleicht nächstes Mal.

Die Instrumentierung auf den letzten Alben war sehr komplex. Daher würde mich interessieren, wie der Song-Writing- und Aufnahmeprozess normalerweise so aussieht. Kannst du dafür ein Beispiel geben?

Das ist eigentlich recht einfach: Ich habe eine Melodie im Ohr, baue darauf Gitarre und Vocals auf, oft vor allem die Hauptthemen. Dann teile ich den Jungs mit, wonach ich suche, und dann machen wir zusammen weiter. Bezüglich Streichern und Klavier vertraue ich Sten, da ich weiß, wie er arbeitet, und er weiß, was ich möchte. Zudem gibt uns die Zusammenarbeit mit Fabio Colucci, unserem Produzenten, immer die Möglichkeit, die ursprünglichen Ideen umzuarbeiten, und seine Beiträge sind zudem auch sehr wertvoll.

Allgemein gab es bei SPIRITUAL FRONT (in der Folge meist abgekürzt SF, Anm. d. Red.) von Album zu Album recht große Unterschiede. Wie würdest du die Entwicklung von SF im Laufe der letzten fast 20 Jahre beschreiben?

Ehrlich gesagt würde ich SF erst nach „Satyriasis“ als richtige Band betrachten. Vorher war das eher ein Solo-Projekt, aus den eigenen vier Wänden. Wahrscheinlich habe ich mich erst nach „Armageddon Gigolo“ ernsthaft dazu entschlossen, wirklich an SF zu arbeiten. Ich empfinde nicht, dass so viele Jahre vergangen sind… Für mich fühlt es sich eher wie zwei Wochen an, die seitdem vergangen sind. Man kann immer etwas anders machen, besser machen, und es gibt immer neue Anregungen.

Die meisten deiner Texte wirken sehr aufrichtig und persönlich, auch die, die Homosexualität thematisieren. Ich schätze, dass diese auch auf eigenen Erfahrungen beruhen?

Ich habe nie über Dinge gesungen, die ich nicht gelebt habe.

In einem Interview hast du gesagt, dass du häufig von Leuten missverstanden wurdest, was sicher auch an teilweise doppeldeutigen Texten und sensiblen Themen liegt, schätze ich. Weiterhin meintest du, dass du vielleicht in der Vergangenheit auch ein paar Fehler gemacht hättest und ein paar Sachen unter Umständen hättest klarstellen sollen. Was sind die zentralen Aspekte deiner Kunst, die du nicht missverstanden wissen willst?

Wir leben in einer schrecklich politisch korrekten Welt, dieses System will, dass wir auf eine „richtige“ Art und Weise denken und uns verhalten sollen, du sollst nicht aus der Reihe tanzen, mit deinem eigenen Kopf denken, was einfach verrückt ist. Und wenn du eine Meinung äußerst, die diese Grenzen übertritt, dann, *bang*, bist du weg, draußen oder, nett gesagt, „missverstanden“. Klarstellen? Ich musste Dinge klarstellen, die ich nie gesagt oder gedacht hatte, das war dämlich, hätte ich nicht tun sollen. Wenn du nichts zu verbergen hast, wieso solltest du dann etwas klarstellen, und gegenüber wem? Und aus welchem Grund? Wer entscheidet denn, was gesagt und getan werden darf?

Am Ende einer Live-Performance in Moskau im Jahr 2012 hast du dich bekreuzigt. Viele deiner Tattoos haben ja auch einen religiösen Bezug, wie in einem anderen Interview erwähnt wurde. Was also genau ist dein Bezug zur Religion?

Religion hat, bewusst oder unbewusst, eine große Rolle in meinem Leben gespielt. Ich habe als Kind längere Zeit eine katholische Schule besucht. Ich war ein unruhiges Kind und damit automatisch eine Art natürliches Ventil für diese frustrierten Nonnen, ich wurde häufig mit Stunden von Glaubenslehre oder Isolation bestraft, vor den anderen Kindern gedemütigt. Das war das beste Rezept, das unsere Schule hatte. Später hatte ich dann die Gelegenheit, etliche homosexuelle Priester kennenzulernen, was mir die Möglichkeit gab, zu analysieren, wie Religion und Sexualität in einer tödlichen Umarmung koexistieren können. Es sind viele Aspekte, die Religion für mich so vieldeutig und anziehend gemacht haben.

Und wie passt das mit der nihilistisch-hedonistischen Attitüde zusammen, die du auch darstellst?

Ich betrachte Nihilismus immer als Verweigerung gegenüber den Scheinwahrheiten, die unser System uns vorschlägt. Hedonismus? Haha, darüber habe ich nie nachgedacht.

Teilweise wird deine Musik weiterhin als Neofolk eingestuft. Stimmst du dem zu? SF kommen ursprünglich sicherlich daher und du erwähnst ja auch Douglas Pearce von DEATH IN JUNE als einen der wichtigsten Einflüsse. Was ist dein Bezug zu Neofolk allgemein und den häufig unterstellten politischen Implikationen dieses Genres, die gelegentlich für SF problematisch waren bzw. sind?

Hirnlose Leute lieben es anscheinend, Neofolk mit rechten Bewegungen zu verbinden, was absolut sinnfrei ist. Runen zu verwenden oder Kriegsszenerien heraufzubeschwören heißt ja nicht, dass du ein Nazi bist. Ich habe nie einen militanten Nazi getroffen, der Neofolk hörte, und ich habe nie Neofolk-Künstler getroffen, die in rechten politischen Parteien aktiv waren. Leider müssen diejenigen, die sich selber als „Antifa“ bezeichnen, in den meisten Fällen wohl ihren Mangel an politischem Verständnis und starken, wirklichen Zielen rechtfertigen. DEATH IN JUNE waren ein wesentlicher Einfluss, als ich zu spielen begann, und ich schulde ihm (Douglas Pearce, Anm. d. Red.) als Musiker und Mensch eine Menge.

Was ist dein Bezug zur Black-Metal-Szene und dem Genre? Gerüchten zufolge gab es einst eine Beteiligung bei ABORYM…

Zur damaligen Zeit waren wir gute Freunde, Davide spielte bei uns mit, aber jetzt ist von den ursprünglichen Mitgliedern nur noch Fabban übrig und sie haben ihren Stil radikal geändert. Ich habe noch mehr oder weniger mit allen von ihnen zu tun, sie haben unterschiedliche Wege eingeschlagen, es gab Spannungen zwischen den Mitgliedern, aber ich habe immer noch Kontakt.

Was ist deine Meinung zur italienischen Metal/Rock-Szene? Hast du irgendwelche Empfehlungen oder persönliche Verbindungen?

Es gibt eine Menge cooler Bands, besonders im Metalbereich: DOOMRAISER, THE FORESHADOWING, FORGOTTEN TOMB, NUCLEAR DETONATION, ECHNEPHIAS, CARONTE…

Neben SF sind meine Liebslingsbands aus Italien IN TORMENTAT QUIETE, KLIMT 1918, MALNÀTT und NOVEMBRE. Mit zumindest zwei von denen scheinst du befreundet zu sein. Darf man da in Zukunft auf weitere Zusammenarbeiten hoffen?

Oh ja, wir sind gute Freunde! Marco, der Sänger von KLIMT, macht unser Cover-Artwork und ist auch ein cooler Fotograf. Ich war kürzlich auf einem ihrer Lieder zu hören.

Wie waren deine Eindrücke von Österreich? Besteht eine Chance, SF hier bald mal zu sehen?

Ich liebe Österreich, wir hatten hier letztes Mal viel Spaß, ich hab mich wirklich in dieses Land verliebt. Die Leute sind nett, die Orte klasse und das Essen ist großartig. Am liebsten würde ich jedes Wochenende hochfahren!

Irgendwelche letzten Worte, etwas, das du noch allgemein sagen oder erklären würdest?

Das würde nur missverstanden werden, hahaha

Ich danke dir sehr für dieses Interview!

Vielen Dank für deine Unterstützung von SF und deine Hilfe. Da schätzen wir wirklich sehr. Einen dicken Kuss


WERBUNG: Hard
ANZEIGE
ANZEIGE