Interview: THE VOODOO GODZ - Gerd, Oli & Enrico

Artikel-Bild

Die Frage ist eher, ab wann haben die Leute Angst, sich den Rechten entgegenzustellen?

Ein deutscher Kriminalfall: Was geschah mit Dr. Carlo Wespe? Zeitzeugen berichten.

Veröffentlicht am 05.11.2018

Was geschah am 23. Februr 2007? Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern verständigen sich in Hannover grundsätzlich auf ein Rauchverbot in Gaststätten und öffentlichen Gebäuden? Wir wissen auch nicht mehr, läuten aber die offiziellen Punkrock-Wochen wieder ein. Heute mit Gerd, Oli und Enrico von der Frankfurter Punk-Band THE VOODOO GODZ.



Üben schon mal den Sitzstreik: Gerd (Gesang und Gitarre), Oli (Bass) und Enrico (Schlagzeug)


Punkrock scheint auf der einen Seite in Deutschland immer überall zu sein, wenn man sich bei Freunden nach ihrem Musikgeschmack erkundigt. Da kann schon mal ein eingeschworener Kanye West-Fan ein paar weniger bekannte Punk-Bands nennen. Auf der anderen Seite spielt Punk im Mainstream so gut wie keine Rolle. Müsste dieses Genre nicht entgegen dem Wunsch nach Nähe zum Underground viel kommerzieller sein?

Gerd: Punk sollte ja auch niemals Mainstream sein, also ist das völlig in Ordnung so. Ich finde es sehr befriedigend, dass die SEX PISTOLS, Klassiker hin oder her, niemals im Dudelfunk-Radio gespielt werden, auch auf MTV (Kennt das noch jemand?) haben sie sich nie getraut, was von denen zu senden.

Oli: Meiner Meinung nach schließen sich Punk und Kommerz ein Stück weit aus. Guck' dir den Scheiß an, der kommerziell als Punk verkauft wird (GREEN DAY, BLINK 182, DIE TOTEN HOSEN etc.), da kräuseln sich mir die Zehennägel!

Enrico: Was du sagst, stimmt. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass etliche biedere Leute eine Punkrock-Vergangenheit haben. Aber eben nur eine Vergangenheit.

VOODOO GODZ-Member kommen dann auch noch aus Frankfurt am Main, der kleinsten Metropole der Welt, welche keine Szene außer der Drogenszene aufzuweisen scheint. Die Frankfurter Rundschau kommentierte Anfang 2017 den Verlust großer Techno-Veranstaltungen mit "Welthauptstadt war gestern". Sind wir jetzt nur noch eine ewige Baustelle?

Gerd: Also, wenn Frankfurt ein, zwei bekannte Punk-Bands vorzuweisen hätte, würde ich mich freuen. Auch über ein, zwei bekannte Rock-Acts würde ich mich freuen. Man fühlt sich doch etwas isoliert. Naja, zumindest gibt es die RODGAU MONOTONES, aber da könnte noch mehr gehen. Hip Hop zählt nicht wirklich.

Oli: Techno (in Frankfurt) hätte mir wunderbar am Arsch vorbeigehen können, wenn es nicht so unglaublich viel kaputt gemacht hätte… In den 90ern gab es kaum noch Clubs, wo man als lokale Band hätte spielen können. Also wenn sich „Welthauptstadt“ durch Kackmusik und faschistoide Türsteherpolitik definiert, dann kann ich gerne darauf verzichten! Grundsätzlich stimmt die implizierte Behauptung aber auch nicht: Frankfurt hat eine sehr lebendige und vielseitige Musikszene! Punkrock – zugegeben – fristet hier ein gewisses Nischendasein, das hängt aber an verdammt vielen Faktoren – die aufzudröseln würde hier den Rahmen sprengen!

Enrico: Ich sehe das wie Oli. Punk hat hier keine Lobby. Doch Musik gibt es hier genug. Wenn auch nicht wirklich gute.

Auch ohne Miteinbeziehung der Berufspendler können Frankfurter für sich zumindest beanspruchen, Multikulti zu sein. Warum verschwenden sie diese Ressource? Gerade im musikalischen Bereich entsteht zu wenig.

Gerd: Im Gangsta Rap und Hip Hop sicher nicht…

Oli: Nein, das stimmt nicht! Es entsteht verdammt viel! Gerade auch im multi- und interkulturellen Bereich. Geh' mal auf die Stadtteilfeste, im Gallus zum Beispiel. Viel problematischer ist, dass alle auf Berlin und Hamburg gucken und gar nicht zu würdigen wissen, was vor ihrer Haustür passiert. Eben weil es nicht primär kommerziell aufgezogen wird, glauben die Leute, dass es deswegen schlechter oder weniger wert sei.

Enrico: Es gibt viele Multikultimusikprojekte und auch solche mit Menschen mit Behinderung. Das Bild, das du mit deinen Fragen von Frankfurt zeichnest, scheint ein ziemlich blasiertes und voreingenommenes zu sein – vielleicht, weil du die Stadt gar nicht kennst.

Versteht die vorangegangene Frage nicht als Kritik, da mir klar ist, dass die Berufe, mit denen ihr euren Lebensunterhalt bestreitet, und euer Familienleben einen großen Teil eures Alltags einnehmen, aber auf viele VOODOO GODZ-Releases stößt man bei Recherche nicht. Dürstet es euch nicht nach neuen Kompositionen? (Eure Fans mit Sicherheit!)

Gerd: Nun, neue Aufnahmen sind schon länger in Planung, allerdings hat es mich seit Juli unter der Woche nach Göppingen (bei Stuttgart) verschlagen, also kann es noch etwas dauern… wir sind aber dran.

Oli: Grundsätzlich: Doch, natürlich! Wobei es nicht grundsätzlich an neuen Kompositionen mangelt, die würden sicherlich für ein neues Album reichen. Studio ist eine langwierige, nervige und arbeitsintensive Angelegenheit und wenn man kein Label im Nacken hat, eine teure dazu! Der Plan ist da, der Wille auch, kann sich also nur noch um Jahre handeln...

Enrico: Wozu?

Während ihr beiden standhaft geblieben seid, räumte Dr. Carlo Wespe seinen Platz am Schlagzeug und wurde von Enrico ersetzt. Jetzt ist er ja schon länger bei VOODOO GODZ beschäftigt, aber man hätte annehmen können, dass eine neue Konstellation zumindest eine kleine EP entstehen lassen könnte – ihr merkt, ich möchte euch ein wenig animieren!

Gerd: Dr. Carlo Wespe hat uns sein Alter Ego Enrico überlassen, und der ist mindestens genauso gut. Uns gibt es in dieser Besetzung übrigens seit exakt zehn Jahren.

Oli: Schlecht recherchiert! Tatsächlich bin ich als letzter (vor immerhin zehn Jahren) in die Band gekommen. Tja, was die EP angeht: s.o.

Enrico: Ich wusste gar nicht, dass ich mindestens genauso gut wie Dr. Carlo Wespe bin. Ich dachte, ich wäre viel, viel, viel, viel, viel, viel, viel, viel besser. Der arme, arme Dr. Carlo Wespe. Der war immer ich. Dr. Carlo Wespe ist ein Anagramm aus CROWDPLEASER, der Vorgängerband.

In der Vergangenheit habt ihr gerne Horrorfilm-Ästhetik metaphorisch in einen gesellschaftskritischen Kontext gesetzt. Den letzten Schritt zu dreckigem Horrorpunk habt ihr dabei aber nie vollzogen. Könntet ihr euch vorstellen, diesem Untergenre näher zu rücken?

Gerd: Nein, Horror-Punk ist nur ein Sub Genre. Ich hab schon öfters überlegt, mit den GODZ mal was anderes zu bringen, z.B. haben wir uns mal an einer grungigen Ballade versucht. Kam aber nicht gut an. Also bleiben wir beim melodischen Punk, mal härter und schneller, mal etwas gefälliger. Wir haben ein neues Stück, „Life of Luxury“, das ist ziemlich gefällig-melodisch. Bin gespannt, wie es ankommt! (Lacht)

Oli: Ganz klar nein! Das Horrorpunk-Korsett ist in jedem Fall zu eng für uns. Und es geht ja eben, wie du selber sagst, um Metaphorik. Genau wie es ja auch Romero um eine Gesellschafts- und Konsumkritik ging und nicht primär um Blut und Gedärm. Horror um des Horrors willen ist mir persönlich zu blöd!

Enrico: Nee. Obwohl, so wie Gerd aussieht, bräuchte er gar keine Maske. Oli ... auch. Und mich sieht eh keiner hinterm Schlagzeug.

Apropos Gesellschaftskritik: Globale politische Veränderungen ungeahnten Ausmaßes lassen uns von Zeiten des Umbruchs, von Verschiebung der Machtmonopole und einer neuen Ära sprechen. Bei Moralvorstellungen waren wir uns wenigstens immer sicher, dass sie nicht unveränderbar in Stein gemeißelt sind. Wenn der große, noch abstrakt wirkende Wandel vollzogen ist, wird zwangsläufig auch die Gesellschaftskritik neue Themenbereiche erschließen. Ist die Vorstellung, dass ein sogenannter Rechtsruck in der Kunst in absehbarer Zeit so weit voranschreiten könnte, dass seine Legitimation von der großen Masse nicht mehr in Frage gestellt würde?

Gerd: Das glaube ich nicht. Soviele Hirnis wird es kein zweites Mal geben. Die Frage ist eher, ab wann haben die Leute Angst, sich den Rechten entgegenzustellen?

Oli: Alter! Wir machen Punkrock, keine Soziologie! Nein ernsthaft: Du sprichst ein verdammt großes und wichtiges Thema an, dass mit Sicherheit mehrere Dissertationen füllen würde… Ich hoffe natürlich, dass es soweit nicht kommen wird und ich persönlich tue meinen Teil, dass es nicht so weit kommt!

Enrico: Die Frage war mir zu lang.

Beschleicht euch auch manchmal die Ahnung, dass es nachhaltig zum Problem werden könnte, seine Jugend in Gänze zu verschwenden?

Gerd: Wenn Du Deine Jugend mit Punk verschwendet hast, so wie wir, hast Du sie gerne gegeben und denkst mit einem Lächeln an damals bis in die Gegenwart. Denn sie ist immer noch präsent. Ich denke, ich hab da alles richtig gemacht. Außerdem habe ich nicht meine Gesundheit verschwendet, nicht ganz unwichtig in meinem Alter (52)…

Oli: Du weißt schon, dass du ein Interview mit einer Punkrock-Band führst?! Ehrlich, ich weiß nicht worauf die Frage abzielt… Das sind nicht die 70/80er, wir nicht DAF und außerdem keine 20 mehr! Was bedeutet Verschwendung? Wenn ich mir heute junge Menschen angucke, die den lieben langen Tag mit Konsumismus und Karriereplanung beschäftigt sind, denke ich mir schon: Kinder, schmeißt die Handies weg, geht an den nächsten Baggersee, nehmt spontan 'ne Gitarre, 'ne Kiste Bier und macht ein Lagerfeuer. Leuchtet euch einen rein, vögelt wie die Schweine und ihr habt wahrscheinlich den besten Abend eures Lebens! Zumindest einen, von dem ihr euren Enkeln erzählt, wenn ihr euch traut! Und was das Allerallergroßartigste ist: es hat, außer der Kiste Bier, nix gekostet!

Enrico: Ich war nie Punk.

Vielleicht verhilft auch ein neuer fokussierter Kunstkonsum zur Entwicklung eines Bewusstseins für die Umwelt und die Verantwortung, die ein jeder für die Zukunft trägt. Und deshalb dürft ihr uns jetzt verraten, wo man nach einem Konzert von VOODOO GODZ noch ein kühles Bierchen mit euch trinken kann.

Gerd: Im Frankfurter „New Backstage“ oder im „Feinstaub“ oder im „Dreikönigskeller“. Und natürlich in der „Au“. Darf's auch ein Apfelwein sein?

Oli: Wenn wir nicht auswärts spielen und sofort weg müssen, immer dort wo wir gespielt haben. Ich mische mich in den allermeisten Fällen direkt nach dem Abbau unters Publikum.

Enrico: Das stimmt. Oli ist der mitteilungsbedürftigste von uns. Aber er kann es ja auch. Ich bin's der immer so schnell wie möglich heim will... obwohl mich da jeder kennt.

In jedem STORMBRINGER-Artikel geben wir Tipps zu Rettung der Welt – ihr habt es sicherlich schon gemerkt. Da wir das hinter uns gebracht haben, jetzt noch ein kleines Voting, an dem sich bitte alle VOODOO GODZ beteiligen müssen! Hier kommt die Frage! Schmeckt der Fiese Friesengeist A: Nach Ambrosia oder B: Nach Benzin?

Gerd: Nie gehört oder geschlabbert. Dann lieber „Hamburger Saurer“, auch als „WC-Ente“ bekannt.

Oli: (Lacht) Ganz klar: A.

Enrico: Ich trinke nicht.

Die WC-Ente haben wir übrigens „Toter Schlumpf“ getauft. So, wir werten jetzt die Ergebnisse in der Zentrale aus! Gibt es von eurer Seite noch etwas Wichtiges zu sagen?

Gerd: Auf meinem Grabstein soll mal stehen: „Er lebte für den Punk“. Das meine ich so. Ich höre privat viele Arten von Musik, aber Punk ist für mich einfach die weltbeste Art, das Rock´n´Roll-Feeling rüberzubringen. Punk wirkt nie antiquiert, ist immer frisch und tagesaktuell auf die Zwölf. Ach, und noch was: Sid Vicious KONNTE Bass spielen, hört Euch das letzte Konzert in San Francisco, Winterland, an. Vielleicht drucke ich mir das mal auf ein T-Shirt! (Lacht). Gut, ein Talent war er vielleicht nicht, aber für 'nen Punk-Bass war es OK. Jippie, ich habe gerade ein Punk-Trauma aus der Welt geschafft.

Oli: Vermutlich werde ich altersmilde, aber ganz klar: Love, Peace and Anarchy!

Enrico: Oli kann Bass spielen wie Sid Vicious. Was immer das jetzt heißt.

Vielen Dank für eure Zeit! Wir hören / sehen uns bei Konzerten und lesen uns bei STORMBRINGER – The Austrian Punkzine!


ANZEIGE
ANZEIGE