Interview: ANIMO AEGER - Gråsjäl

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Um jetzt mal in der Grabbelkiste halbwegs intimer Geständnisse zu fingern, muss ich zugeben, dass ich damals mehr oder weniger aus Berlin, und sogar Deutschland, geflüchtet bin, um mir selber den Arsch zu retten! Wenn also in den Texten davon die Rede ist, sich tage- und nächtelang in Blut und Kotze zu winden, dann ist das kein Szenario, welches ich irgendeinem bolivianischen Avant-Garde-Film entlehnt habe.

Sänger und Gitarrist Gråsjäl gibt auf direkte, ehrliche und häufig amüsante Art Einblick in die Hintergründe von ANIMO AEGER, kreative Prozesse, Blut und Kotze.

Veröffentlicht am 18.10.2018

Grüß dich, Gråsjäl! Es freut mich, dass du dir Zeit für dieses Interview nimmst. Traditionell möchte ich mit etwas Bandgeschichte beginnen, auch wenn du bis auf die Drums alles in Eigenregie machst.
Wo liegen die Anfänge von ANIMO AEGER und wie würdest du die Entwicklung dieses Projekts im Laufe der Zeit charakterisieren?

Tach!
Irgendwann 2003 haben der Greis (M.Greis, Schlagzeuger; Anm. d. A.) und ich beschlossen, trotz unseres eklatanten Unvermögens an den auserkorenen Instrumenten eine Band zu gründen.
Ein krudes Gemisch aus BM, Punk und Grind sollte zusammengepanscht werden und entsprechend allen Erwartungen hörte sich das ziemlich scheiße an.
Im Laufe der Jahre durchliefen wir teils recht häufige Besetzungswechsel, wobei das Kern-Duo allerdings immer bestehen blieb, bevor wir uns dann 2008 endgültig dafür entschieden, es bei der bewährten Zwei-Mann-Kombo zu belassen, auf Live-Auftritte zu scheißen und uns völlig auf Aufnahmen zu konzentrieren. Glücklicherweise hat sich auch die musikalische Marschrichtung geändert, sodass wir inzwischen in künstlerischen Gefilden unterwegs sind, die oft für Avantgarde-Black Metal mit Punk-Attitüde befunden werden.
Im Übrigen will ich dir bezüglich deiner „Eigenregie“-Formulierung widersprechen, weil es sonst so klingen könnte, als handelte es sich um ein Solo-Projekt plus Drummer, was grober Schwachsinn ist. Wir haben von Anfang an so ziemlich alles miteinander abgesprochen; so sehr das auch nach Plenum-Hippies klingen mag, ich entscheid' da also nüscht alleine. Wenn dem Greis ein Riff nich' gefällt, fliegt's raus, wenn mir ein Takt nicht zusagt, dann trau' ich mich mitunter ebenfalls, Einspruch zu erheben.

Das hört sich ja nach einem recht klassischen Bandbeginn an. Abgesehen davon warst du dann ja trotz "eklatanten Unvermögens" recht früh bei einigen Projekten involviert und bist auch nach wie vor recht umtriebig unterwegs.
ANIMO AEGER scheint aber sowas wie dein Hauptding zu sein, wenn ich das richtig sehe. Und in den letzten Jahren ist dabei die Produktivität - zumindest den VÖs nach - gestiegen, denn nach der "Storchenwahrheit/-wirklichkeit" von 2014 folgte recht flott die von mir sehr geschätzte "KotzeAdel" (Rezension hier), und nun ist zuletzt eine weitere EP namens "Ab-Fakt" erschienen. Hat sich das Ganze zuletzt etwas intensiviert? Und wie handhabst du das mit der räumlichen Trennung zum zweiten Mitglied?

ANIMO AEGER ist letztendlich ja das Projekt, mit dem unsere ganze musikalische Pseudo-Karriere begann, weswegen das natürlich durchaus eine persönliche Sonderstellung innehat.
Nach der „Storchenwahrheit“, die zwar 2014 veröffentlicht, allerdings schon Ende 2009 eingespielt wurde, haben wir noch weiterhin diversen Kram aufgenommen, teils über's Netz, teils bei gegenseitigen Besuchen in Deutschland und Schweden, wenngleich dieses Material, zumindest aufnahmetechnisch, nicht mal unseren persönlichen Ansprüchen genügen konnte ... der Sound ist mitunter so dermaßen merkwürdig, dass selbst ein geneigter Hörer eine bewusste Provokation vermuten könnte.
Die Arbeiten an „KotzeAdel“ waren dann seit langer Zeit mal wieder eine ernstzunehmende Anstrengung, die wir unternommen haben. In der Umsetzung sah das so aus, dass ich nach Deutschland gefahren bin, wir ganze fünfmal geprobt haben und dann wieder ins „Hidden Planet“-Studio in Berlin geeiert sind, um den Rotz einzutrümmern.
Mit dem Ergebnis waren wir ausgesprochen zufrieden, besonders in Hinsicht auf die Weiterentwicklung seit der letzten offiziellen Veröffentlichung, ist das Material doch ungleich brachialer, düsterer und packender als noch das schwächliche Gezirpe auf der „Storchenwahrheit“.
Meistens schreibe ich einen Großteil der Riffs zuhause in Schweden und entwickle ein grobes Gerüst für die Songs, welches aber meist innerhalb der ersten gemeinsamen Probe eingerissen wird.
Häufigere Proben als für die „KotzeAdel“ werden es selten, für die „Ab-Fakt“-EP haben wir tatsächlich nicht ein einziges Mal geprobt, vielmehr haben wir sogar zur selben Zeit bereits an den Aufnahmen für das neue Album „Den Zahnlosen ein Prophet“ gearbeitet. Die erhöhte Produktivität ist vermutlich nur meiner Möglichkeit zuzuschreiben, die letzten Monate öfter in Deutschland gewesen sein zu können ... dann kommt jetzt eben gleich ein großer Schwall kreativer Gülle auf einmal, bevor wieder 'ne Weile Ruhe herrscht.

Dann muss ich rein aus Eigeninteresse wohl hoffen, dass du weiterhin häufig die Möglichkeit haben wirst, nach Berlin zu fahren! Diese Einschätzung der „KotzeAdel“ im Vergleich zur „Storchenwahrheit“ teile ich übrigens, wenngleich ich auf letzterer z.B. das Lied „Wirrungen befreien und erheben“ echt mitreißend fand. „KotzeAdel“ hat dann wieder mehr von der Intensität der „Fieber“, wenn auch noch etwas düsterer, fieser.
Wie weit sind denn die Arbeiten am neuen Album? Und wenn du dieses in den Kontext der bisherigen Veröffentlichungen einordnen müsstest, wie würdest du das tun?

Ick würd' mich jetz' mal spontan weigern, hier in irgendeiner Form schon im Vorfeld Werbung für unsere, ach so geilen, Ergüsse zu machen.
Die Neue is' bald fertig und klingt wie die „KotzeAdel“, nur anders!
Es wird gepöbelt werden!

Okay, damit werde ich wohl leben müssen.
Was sind denn im Wesentlichen deine Inspirationen für die Musik von AA? Denn weder textlich noch musikalisch kommt mir dabei Schweden in den Sinn. Dieses "Abgefuckte" passt ja doch weitaus besser zum "Dicken B".

Gut beobachtet!
Auf naturvertonender oder schwarz-romantischer Ästhetik liegt der Fokus bei uns nicht unbedingt, schon gar nicht in den Texten. Vielmehr liefert uns das „dicke B“, womit du höchstwahrscheinlich Berlin meinst bzw. die Abgründe, die man sich im urbanen Kontext zum Teil selbst schafft, alle Inspiration, die vonnöten ist, um jenen „zeitgenössischen Ab-Fuck“ (ein selbstersonnener Neologismus) hinzurotzen.
Um jetzt mal in der Grabbelkiste halbwegs intimer Geständnisse zu fingern, muss ich zugeben, dass ich damals mehr oder weniger aus Berlin, und sogar Deutschland, geflüchtet bin, um mir selber den Arsch zu retten! Wenn also in den Texten davon die Rede ist, sich tage- und nächtelang in Blut und Kotze zu winden, dann ist das kein Szenario, welches ich irgendeinem bolivianischen Avant-Garde-Film entlehnt habe. Allerdings beschränkt sich unser lyrisches Sortiment nicht nur auf selbstmitleidiges Geflenne ob der Labilität unserer vom Selbstzweifel gepeitschten Psyche, das wäre als Gesamtpaket ja nahezu unoriginell.
Auch die, mitunter kaum zu bewältigende, obligatorische Verachtung für Mensch und Menschheit, die wohl jedem Individuum mit einem IQ über 42 zu eigen ist, findet natürlich ihren Weg in unsere gekeiften Kreationen. Klingt jetzt zugegebenermaßen auch nicht sonderlich innovativ, ist aber nun mal unser Antrieb...

Danke für diese Einblicke! Einst wurde ja auch, wenn ich mich recht entsinne, in einem Interview von „vertontem Wahnsinn“ gesprochen, was deiner Beschreibung nach ja teilweise durchaus zutrifft. Allerdings hatte ich bei einigen Texten bzw. Textstellen der „KotzeAdel“ den Eindruck, es habe sich eine gewisse sozusagen philosophisch-sozialkritische Komponente eingeschlichen. Gibt es da unter Umständen einen gewissen Wandel von Ausdruck um des Ausdruckes willen hin zu Ausdruck mit (an den Hörer gerichteter) Intention oder ist dies lediglich den Umständen zuzuschreiben, welche den Schaffensmoment begleiteten?

Tatsächlich besteht ein gewisser Unterschied zwischen den Texten für die neuen Lieder und dem Kram, den ich früher ausgekotzt habe. Damals habe ich nahezu pausenlos irgendwas in meine unzähligen Texthefte und -bücher geschmiert, egal ob nüchtern, druff oder dicht, der Scheiß kam geradeso aus mir herausgeschossen. Das war mein Ventil. Demnach machten diese Ergüsse auch nahezu immer einen ausgesprochen wirren Eindruck ... war ja letztendlich auch das reine Gift.
Inzwischen setz' ich mich eigentlich immer ran, mit dem festen Vorsatz, die diversen Gedanken, Bilder und teilweise auch nur sinnspruchartigen Satzfetzen auf dem Papier in eine verwertbare Form zu bringen und fühl mich dabei, zugegebenermaßen, äußerst erwachsen.
Die Resultate lesen sich natürlich für Außenstehende immer noch wie das pseudo-poetische Äquivalent zu Bierschiss, gerade, weil ich mich mitunter sogar noch der gleichen Metaphern wie damals bediene, sie sind aber durchaus eher angewiderte Kopfgeburten, im Gegensatz zu den Ergebnissen meiner damaligen Versuche, die Schmerzen irgendwie erträglicher zu machen.

Das hört sich in der Tat nach einem sehr intensiven Entstehungsprozess an, das kann man ja auch irgendwie hören. Denn letztlich ist ja der Gesang äußerst facettenreich, auch im klaren und gesprochenen Bereich. An letzterem scheiden sich ja ein wenig die Geister.
Inwiefern sind denn die unterschiedlichen Gesangsstile mit dem Entstehungsrahmen der Textfragmente verbunden? Oder richtet sich das gänzlich nach der Musik? Und ist der teilweise Stimmenwirrwarr auch irgendwie ein Versuch, die „Schmerzen erträglicher zu machen“ bzw. den inneren Sturm etwas abzuschwächen?

Was da am Mikro abgeht, sobald die Aufnahme läuft, ist tatsächlich weitgehend ungeplant. Inzwischen hab' ich zwar schon immer recht klare Vorstellungen davon, auf welche Parts gesungen werden soll, aber in welcher Form das dann geschieht, entscheidet sich nahezu immer im entsprechenden Augenblick, zumindest was die Hauptstimme anbelangt. Wenn wir mit der dann einigermaßen zufrieden sind, werden da mitunter dann noch verstärkend eine oder mehrere zusätzliche Stimmen ruffgepackt. Alles also recht spontan...
Ein Novum ist nur, dass inzwischen das Greislein ja auch noch seinen „vokalen“ Senf dazugibt, das sind dann meistens die hohen Kreischstimmen, bisher am eindrucksvollsten zu hören auf der „KotzeAdel“.

Habt ihr vielleicht dennoch mal vor, in der nächsten Zeit (oder gar erst irgendwann) live aufzutreten? Immerhin wurde ja mit „Prismenknast“ zusammen mit CRUDA SORTE zumindest mal ein Lied live aufgeführt. Aber sonst stelle ich mir die Umsetzung schwer vor, oder?

Live-Auftritte wird es vermutlich wirklich nie geben, was wohl hauptsächlich im Zeitmangel begründet liegt. Wir müssten in einem solchen Fall ziemlich viel Zeit darauf verwenden, die älteren Lieder zu rekonstruieren und bühnentauglich zu machen, die Instrumentation also auf Schlagzeug, Bass, höchstens zwei Gitarren, eventuell ein Klavier und eben eine Hauptstimme zu reduzieren.
Wenn wir ab und zu den „Prismenknast“ auf einem CRUDA-SORTE-Gig darbieten, fühlt sich das wirklich geil an, nach zwölf Jahren mal wieder mit ANIMO-AEGER-Material auf der Bühne zu stehen, aber einen kompletten Gig muss man sich jetz' davon nich' aufdrücken...

Ich danke Dir vielmals für dieses Interview! Ich bin dann mal gespannt auf das neue Material.
Hast Du noch irgendwelche abschließenden Worte?

Lieber nich'!


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