Interview: MYRATH - Zaher Zorgati und Kevin Codfert

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Am Anfang waren die Songs noch gar nicht Metal, sondern einfach nur Musik. Metal wurde daraus, weil wir es so aufgenommen haben...

Der Wüstenwind "Shehili" bringt nicht nur das gleichnamige Album der tunesischen Oriental-Metaller im Mai auf den Markt, sondern auch Sänger Zaher Zorgati und Produzent Kevin Codfert nach Hamburg, wo sie ein wenig Zeit hatten, um über Album, Geschichten und magische Shows zu plaudern.

Veröffentlicht am 01.04.2019

Nach der letzten erfolgreichen Scheibe "Legacy", einer Tour in internationalen Gewässern und ebensolcher (verdienter) Aufmerksamkeit und schließlich einer mysteriösen Attacke von Sultan Omar erfasst nun "Shehili", der Wüstenwind aus der Sahara, die tunesischen Prog-Metaller von MYRATH und wirbelt ordentlich Staub auf. Nachdem meinereiner die hohe Ehre hatte, vorab in ein - meines Erachtens - kritiklos großartiges Album hineinzuhören, wurde es nun höchste Zeit, MYRATH auf den Zahn zu fühlen und ein ernstes Wörtchen (mehr oder weniger) mit Sänger Zaher Zorgati und dem Produzenten und Freund der Band Kevin Codfert zu sprechen. 

 

Zuerst einmal: Gratulation zum neuen Album! Ich hatte die Zeit, es mir ausführlich anzuhören und ich habe versucht, kritisch zu sein. Aber ich habe nichts gefunden, an dem man Kritik üben könnte. Für mich persönlich ist "Shehili" ein Meisterwerk. 

Zaher: Vielen Dank! Das überrascht mich!

Wirklich? Aber es ist ein tolles Album!

Zaher: Naja, du weißt, ein Künstler sagt nicht, dass sein eigenes Werk ein Meisterwerk ist. Wir wissen zwar, dass wir etwas Neues auf die Beine gestellt haben, aber wir haben trotzdem immer Angst vor den Reaktionen der Leute. Das ist manchmal fast schon frustrierend. 

Weil wir schon beim Album sind: Was war die Idee hinter dem Album? Zum Beispiel "Dance" mit seinem sehr ernsten Hintergrund: welche Geschichten bringt "Shehili" noch an die Zuhörer heran? 

Zaher: Es gibt sehr viele sehr persönliche Geschichten, wie zum Beispiel "Monster in My Closet". In diesem Song erzählt der Junge von seinem inneren Zwiespalt, einem inneren Krieg. Wir verwenden für die Lyrics eine sehr indirekte Sprache. Wir haben versucht, reale Probleme aufzugreifen und diese dann indirekt zu beschreiben. Wie zum Beispiel bei "Dance". Wir verwenden nicht die tatsächliche Story von der syrischen Tänzerin, die vom IS bedroht wurde... Wir sind einfach nur eine Gruppe junger Menschen, die sich um ein paar Bier oder Kaffee zusammensetzt und über die ganzen Probleme, Vorkommnisse und Missstände in der Welt diskutiert. Wie über Trump, über Erdogan, über den Krieg in Syrien und im Jemen. All diese Probleme. Und in unseren Lyrics versuchen wir diese Probleme indirekt aufzugreifen und anzusprechen. Das ist ziemlich wichtig, denn auf diese Weise haben wir sowas wie eine Green Card, sodass wir über alles sprechen und schreiben können, worüber wir wollen, aber eben in einem bestimmten philosophischen Rahmen. 

Also bringt ihr alles auf eine Art Fantasy-Level, so wie auch Sultan Omar, der auf diesem Level so etwas wie den fiktiven Charakter des Bösen verkörpert, aber im Endeffekt ein recht realistischer Charakter ist. 

Zaher: Genauso ist es. 
Übrigens, was das Video angeht: Am Freitag wird das nächste Musikvideo veröffentlicht (Release von "No Holding Back" war am 1.3. - hier könnt ihr es euch zu Gemüte führen). Einen Monat später werden wir das nächste Video veröffentlichen, aber das wird eine Szene aus der neu erscheinenden DVD sein. Und gleichzeitig die Fortsetzung der Story nach der Trilogie in der Fantasy-Welt. Der letzte Schritt wird also die Fortsetzung in der realen Welt sein, nicht in der Fantasy-Welt mit den Avataren von uns. Es geht in der realen Welt ins römische Amphitheater in Karthago, wo wir das letzte Konzert am 19. Juli vor 7000 Leuten gespielt haben. Bald wird es dazu auch den DVD-Release geben. Und das nächste Video wird eben ein Teil aus dieser DVD sein. 

Nebenbei: Wer hatte die Idee für die Storyline, für die Videos, die Avatare und Sultan Omar? 

Kevin: Ich erinnere mich nicht ganz genau, wann wir die Idee dazu hatten, vielleicht...
Zaher: Es war auf jeden Fall ein großes Sammeln von Sketchen, Ideen, Zusammensuchen und Zusammenfügen unserer Gedanken...
Kevin: Die Hauptidee war, eine passende Story aufzubauen. Die Jungs von VeryCords meinten, dass "Believer" vielleicht der Anfang einer solchen guten Story sein könnte. Warum also nicht die Leute mit ein, zwei, drei Videos mit einer zusammenhängenden, guten Story versorgen? Also haben wir angefangen, an einer Story zu arbeiten, die natürlich auch zu den Lyrics passt. Wir begannen zuerst, am Szenario zu schreiben, was ungefähr zwei Monate gedauert hat. Danach lieferten wir alles an ICODE-Team Production in Belgrad, Serbien, die für die Post-Production zuständig waren. Sie haben uns dann geholfen, das alles professionell zu verwirklichen. 
Zaher: Sie arbeiteten drei Monate lang an der Post-Production, aber wir haben die ganzen Szenen für beide Videos innerhalb von vier Tagen geshootet. 

Was, außer Promotion-Sachen, macht ihr im Moment eigentlich in Hamburg?

Zaher: Gestern hatten wir hier in den Chameleon Studios in Hamburg einiges zu tun. In Japan ist es ja immer erwünscht, dass es etwas Spezielles gibt, einen Bonus-Track auf dem Album. Wir hatten nicht genug Zeit, um noch einen weiteren Track zu komponieren, keinen, der so gut war wie die anderen Tracks auf dem Album. Als ich damals die Vocals für "Monsters In My Closet" aufgenommen habe, kam mir die Idee, dass die Melodie des Songs auch auf Japanisch gesungen werden könnte. Das sagte ich auch Kevin. Die Melodie ist wirklich schön und eingängig und ziemlich nahe an der japanischen, an der asiatischen Tonleiter. Da ich kein fließendes Japanisch kann, hab ich einfach in "Fantasie-Japanisch" dazu gesungen, aber wir haben die Idee erst einmal verworfen. Nachdem das Album fertig aufgenommen war und es dann an einen möglichen Bonus-Track ging, habe ich Kevin wieder daran erinnert. Kevin schlug den Leuten vom Studio diese Idee vor. Sie mochten die Idee zwar, waren aber noch skeptisch. Es war eher wie: "Kriegt ihr das hin?" Also haben wir eine Freundin in Tokio kontaktiert. Sie hat dann die Texte nicht übersetzt, aber passend und sehr poetisch ins Japanische transkribiert. Das war wirklich toll. Also habe ich die japanischen Lyrics gelernt und gestern wurde dann im Studio alles aufgenommen. Mit dabei war auch einer der Sound-Engineers, der auf dem Album richtig gute Arbeit geleistet hat. Zusammen mit Kevin und Jens Bogren. Also drei Sound-Engineers auf einem Album. Ein Freund, einer aus Deutschland und einer aus Schweden. Drei verschiedene Geschmäcker, aber eine Vision. 
Als wir dann den Song aufgenommen hatten, liebten sie ihn. Also gibt es einen japanischen Song auf dem japanischen Markt. Und warum nicht für jeden in der Welt?

Wie habt ihr die Songs geschrieben und entschieden, was auf das Album soll? 

Kevin: Wir haben etwas anderes ausprobiert als auf "Legacy". Wir haben die Lieder nach unserer alten Methode geschrieben. Wir haben uns in einem kleinen Hotel in Sousse/Tunesien versammelt. Unser Hauptziel war es nicht, mit Riffs zu beginnen, sondern einfach nur eine Gitarre oder ein Klavier zu nehmen und darüber Lyrics zu legen und dabei das Maximum an Emotionalität herauszuholen. Erst danach haben wir Metal-Elemente darüber kreiert. Also waren die Songs am Anfang noch gar nicht Metal, sondern einfach nur Musik. Metal wurde daraus, weil wir es so aufgenommen haben, nicht weil wir es so komponierten. 

Das scheint ja ziemlich gut geklappt zu haben!

Zaher: Hoffentlich. Wie ich schon gesagt habe, versuchen wir immer, recht spontan mit unserer Musik zu sein. Wenn die Leute das Album und unsere Songs hören oder uns live sehen, werden sie fühlen, ob wir spontan und ehrlich mit unserer Musik und zu den Fans sind. Und das ist das Wichtigste. Wenn du etwas Kalkuliertes machen möchtest, das wie Mathematik aufgebaut ist, werden die Leute ebenfalls merken, dass es vorhersehbar und berechenbar ist wie bei einer Maschine. 

Dass ihr spontan seid und damit eure eigene Art von Magie kreiert, hat man auch bei den letzten Live-Shows gesehen. Beispielsweise bist du bei "Duat" von der Bühne gesprungen und hast das Lied wie ein Geschichtenerzähler in der Mitte der Leute gesungen. 

Zaher: Ich liebe das, weil ich es liebe, die Leute zu involvieren und an meinen Emotionen teilhaben zu lassen. Darum bin ich von der Bühne herunter gekommen. Das wollte ich auch beim Download Festival Madrid machen, aber der Promoter hatte Angst, dass die Leute nicht mehr zu kontrollieren wären. Aber das war, wie ich gerade gesagt habe, vollkommen spontan. Ich habe das einmal ausprobiert, es fühlte sich richtig und echt an, also habe ich es immer und immer wieder wiederholt. 

Es gibt einen Song auf dem Album, der mit arabischem Gesang beginnt und es ist nicht deine Stimme. Wer singt da? 

Zaher: Ja, der Song heißt "Mersal". Der Sänger ist ein berühmter tunesischer Sänger, sowas wie ein Superstar in Tunesien und im Mittleren Osten. Er ist sowas wie der Frank Sinatra der arabischen Welt. Wir wollten ihn gern auf dem Album haben und er wollte direkt und ohne irgendeine Frage an diesem Projekt teilhaben. 

Jetzt zu eurem tollen Cover-Artwork. Es wirkt sehr symbolisch. Kannst du uns etwas über die Bedeutung dahinter erzählen? 

Kevin: Als wir mit dem Design angefangen haben, arbeiteten drei Leute am Design der Fibula...
Zaher: Das ist ein tunesisch-jüdisches Symbol. Es dient als Brosche, mit Silber oder Gold, und Frauen tragen es immer noch als Accessoire. Es ist aber sehr traditionell und sehr alt. Und natürlich sehr symbolisch. 

Mit Sicherheit haben wir nach dem Album-Release eine tolle Tour zu erwarten. Können wir uns auf etwas Besonderes in der Show freuen? 

Kevin: Normalerweise - aber das kann ich erst mit Sicherheit sagen, wenn es fixiert ist - beginnen wir die Tour in Paris im Sommer diesen Jahres. Wir planen ganz bestimmt etwas Besonderes, weil ja auch schon die Videos besonders sind. Da haben wir die Pflicht, den Leuten live etwas Besonderes zu liefern. Wahrscheinlich zum ersten Mal in der Geschichte des Metal versuchen wir, richtige Magie auf die Bühne zu bringen. Ganz genau wissen wir es noch nicht, weil wir gerade erst angefangen haben, mit einem Magier zu arbeiten, aber wir könnten vielleicht Zaher verschwinden und wieder auftauchen lassen. 

Oh, aber bringt ihn wieder zurück! 

Kevin: Ist eigentlich logisch. Das ist wirkliche Magie. 
Zaher: Sagen wir, Illusion. Neben Bauchtänzern, Feuerwerk, Licht und so weiter. Wir wollen eine große Show, in dem Sinn, wie große Band sie normalerweise aufziehen. 

Das macht wirklich Lust, euch wieder live zu sehen! Eine Frage an dich persönlich, Zaher. Welcher Song auf dem Album ist für dich persönlich der beste? 

Zaher: Die sind alle toll, sehr gefühlvoll und gut. Aber es gibt eine Ballade auf dem Album, die mit einem Piano beginnt, das Kevin Codfert spielt. Der Song ist sehr besonders, er heißt "Stardust". 

Jetzt noch eine Frage, ein bisschen weg von der Band: Auf dem letzten Album von AYREON hattest du eine sehr kleine Singrolle. Wird es auf dem nächsten Album einen größeren Part für dich geben?

Zaher: Ich habe mit Arjen Lucassen letztes Mal gesprochen und er meinte: "Auch wenn es letztes Mal nur eine kleine Rolle war, nächstes Mal wird es für dich eine große Rolle geben." Ich denke, er wird vielleicht auch positiv überrascht vom neuen Album sein. Er ist ein guter Freund von mir und ich denke, er mag was wir machen, wie ich singe und so weiter. Also wirst du mich vielleicht auf dem nächsten Album mit einer größeren Gesangsrolle wiederfinden. 

Vielen Dank für die Zeit und die interessanten Antworten! Alles Gute weiterhin für Myrath!


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