Interview: DEEP PURPLE - Don Airey

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Es passiert uns alten Musikern nicht oft, dass wir das Richtige zur rechten Zeit machen, aber diesmal ist es passiert.

Nachdem das neue Album Corona-bedingt bereits einmal verschoben wurde, erscheint "Woosh!" am 07.08.2020. Keyboarder Don Airey spricht über die Musik, seinen Alltag in der erzwungenen Auszeit und zeichnet ein mögliches Bild von der Zukunft der Band.

Veröffentlicht am 08.08.2020

Hallo Don, danke, dass du dir Zeit für unser Gespräch nimmst. Das Offensichtliche zuerst, wie geht es dir angesichts der Covid-Pandemie?

Danke es geht mir gut, man fühlt sich ein wenig eingesperrt, aber hat auch die Gelegenheit abzuschalten und sein Leben zu überdenken.

Lass uns gleich zur Sache kommen: „Now what?!“, „Infinite“ und „Woosh!“ - DEEP PURPLE haben gerade einen unglaublichen Lauf. Wie frustrierend ist es gezwungenermaßen untätig zu sein, anstatt das neue Album zu promoten?
 
Wir behelfen uns momentan mit einer Menge an Telefoninterviews und Ähnlichem, da wir unglücklicher Weise nicht auf Tour gehen können. Die bereits vollständig gebuchte Tour mussten wir auf nächstes Jahr verschieben, bis sich die Lage wieder etwas entspannt hat. Wir versuchen einfach mit so vielen Menschen wie möglich über unsere Musik zu sprechen. - Wir leben derzeit alle in einer veränderten Welt.

„Woosh!“ ist bereits das dritte von Bob Ezrin produzierte Album. Beim letzten Album „Infinite“ habt ihr mit der begleitenden Dokumentation tiefe Einblicke in eure Studioarbeit gegeben. Dabei hat man den Eindruck erhalten, dass DEEP PURPLE ihre Musik im Studio kollektiv erarbeiten. Ist das euer aktueller Zugang?

Ja, ich glaube das war schon immer die Arbeitsweise von PURPLE – ich meine es beginnt mit Ian Paice und seiner Snare-Drum und ab geht die Post. So entstehen unsere Stücke. Bob hat uns zuerst 2 Wochen proben lassen, um in der dritten Woche zu uns zu stoßen und das bisherige Material zu sichten. Wir arbeiten recht gewissenhaft, nehmen alle Ideen auf und leiten sie an Bob weiter. Diese überarbeiten wir immer, immer und immer wieder bis alle glücklich damit sind. Bei der eigentlichen Aufnahmesession mit Bob läuft alles sehr organisiert ab, die Backingtracks waren in etwa 7 Tagen aufgenommen. Lockere Jams sind im Studio eher eine Ausnahme, ich glaube „Uncommon Man“ von „Now what?!“  war ein Jam, das ist der Einzige, der mir einfällt.

 

Könntest du dir vorstellen neue Musik ausschließlich über das Internet zu komponieren anstatt gemeinsam am selben Ort?

Ich hab auf diese Weise schon viele Projekte umgesetzt und arbeite so in meinem Studio seit ca. zehn  Jahren. Leute senden mir ihre Alben, damit ich meine Parts ergänzen kann. Filesharing ist für mich musikalischer Alltag, zuletzt habe ich heute Morgen ein paar Tracks für eine Band aus LA aufgenommen. Das ist aber nicht meine bevorzugte Methode, am liebsten bin ich in einem professionellen Studio mit den Mitmusikern – das macht das Komponieren viel einfacher und  meiner Meinung nach musikalischer. Bei DEEP PURPLE haben wir Filesharing letzte Woche für Promomaterial ausprobiert, aber das hat nicht funktioniert. Ich weiß nicht genau warum, aber es hat den Anschein, dass wir gemeinsam im selben Raum oder auf einer Bühne sein müssen um wirklich arbeiten zu können.

Wie würdest du „Woosh!“ charakterisieren? Gibt es Unterschiede zu den vorangegangenen Werken oder ist es ein logischer Nachfolger?

Für mich ist es ein wenig heavier und direkter. Bobs Herangehensweise war die Tracks möglichst live aufzunehmen. Das Vorbild war „Machine Head“, wo ein paar Takes pro Stück reichen mussten. Ich habe beispielsweise viele meiner Keyboardsoli live bei den Aufnahmen der Backingtracks eingespielt und kaum auf Overdubs zurückgegriffen. Gefühlt haben wir in meiner Erinnerung kaum 15 Minuten für die Keyboardsounds gebraucht und das vielmehr direkt live umgesetzt.

Um zum Album zurückzukommen, was bedeutet der Titel genau?

Das weiß ich nicht (lacht), das ist Gillans Sache. Ich glaube er bezieht sich auf Staub zu Staub, Asche zu Asche – wir sind alle hier aber irgendwann sind wir alle verschwunden. Es geht um Vergänglichkeit und das ist brandaktuell wenn man sich in der Welt umschaut.

Genau das finde ich auch. Ich weiß, dass die Texte nicht dein Spezialgebiet sind, trotzdem, wenn man die Texte liest fällt einem auf, dass diese gespenstisch prophezeiend sind. Beispielsweise „Throw My Bones“ behandelt eine unsichere Zukunft und hat somit scheinbar einen Covid-Bezug oder „Drop The Weapon“ greift der Black Lives Matter-Bewegung vor...

Ian legt immer Wert darauf sich auf aktuelle Ereignisse zu beziehen, maskiert diese Referenzen aber gerne. Die Themen sind für mich auch immer ein Novum, wenn ich ein neues Album erhalte, lese ich immer die gesamten Texte und genieße immer sehr was Ian geschaffen hat. Er ist wirklich ein Poet und hat diesmal den Nagel auf den Kopf getroffen. Es passiert uns alten Musikern nicht oft (lacht), dass wir das Richtige zur rechten Zeit machen, aber diesmal ist es passiert.

Kommen wir von den Texten zur Musik selbst. In meinen Augen enthält „Woosh!“ zahlreiche musikalische Gustostückerl wie beispielsweise die Soloparts in „Nothing at all“ sowie „The Long Way Round“. In der jüngeren Vergangenheit ist die Band mit gesundheitlichen Problemen wie der Arthritis von Steve Morse (Git.) oder dem Schlaganfall von Ian Paice (Drums) offen umgegangen, auf die musikalische Qualität hat das scheinbar keinen Einfluss. Habt ihr mit zunehmendem Alter einen anderen Zugang zur Musik?

Weißt du, ich glaube eine Band braucht Zeit um zu einer Einheit zusammenzuwachsen. Bevor wir Bob Ezrin getroffen haben, war DEEP PURPLE ein wenig verloren, wir waren eine Underground-Band. Kurzzeitig hatten wir nicht einmal einen Plattenvertrag. Damals haben wir zahlreiche Konzerte gespielt, die zu unserer Verwunderung viele junge Besucher angezogen haben. Zwischen 2006 und 2012 haben wir hunderte Shows gespielt und der Großteil des Publikums war jung. Ich glaube, dass diese Leute angesichts der Masse an künstlich erzeugter Musik zu unseren Konzerten gekommen sind um zu sehen, wie eine echte Band funktioniert. Das war für uns eine große Sache, medial fanden wir damals kaum statt, erhielten kaum Promotion, aber trotzdem kamen Leute um uns zu sehen. Der große Wendepunkt war als wir auf Bob Ezrin trafen, der sagte, macht weiter wie bisher und vergesst die Radiostationen. Wir hatten Bob mit einer Show in Toronto beeindruckt und er wollte unbedingt mit uns arbeiten. Letztlich glaube ich, dass alles eine Frage des Selbstbewusstseins ist. Diesmal bei „Woosh!“ gingen wir sehr entspannt an die Sache heran, da wir vom Erfolg überzeugt waren, ließen die Dinge passieren und konnten den Prozess genießen. Ich persönlich hatte eine großartige Zeit.

Im direkten Vergleich finde ich „Woosh!“ etwas komplexer in Bezug auf Arrangements und Orchestrierung, wie ist deine Sicht?

Ja, Bob sagte, er wolle ein langes Werk machen und alle Teile zu einer Suite zusammenfügen, daraus resultierte „Man Alive“. Der Song kam aus dem Nichts und erwies sich als ganz schön beeindruckend. „Man Alive“ hat eine Art würdevolle Ernsthaftigkeit, (lacht) es klingt zumindest so als wüßten wir was wir tun (lacht noch immer).

Welcher Song repräsentiert das Album am besten?

Hm ich weiß nicht genau, „Nothing At All“ ist ziemlich gut, aber mein Lieblingsstück ist „The Power Of The Moon“, das einen wundervollen Text hat und sich musikalisch hin und her windet, sich am Ende aber harmonisch zusammenfügt – dunkel und gespenstisch, das ist einfach meine Art von Musik (lacht wieder).

In meinen Ohren klingt das Album frisch wie das Werk einer jungen Band. Ein schönes Detail ist die Tatsache, dass sich DEEP PURPLE selbst covern und zwar nicht mit irgendeinem beliebigen Lied. Der letzte reguläre Song „And The Address“ war gleichzeitig der erste Track auf dem Debüt „Shades Of Deep Purple“.

Ja, das könnte eine Botschaft sein, ich weiß aber noch nicht ob wir dabei bleiben. Wird es ein neues PURPLE-Album geben? Ich bezweifle das sehr, also ist das Ganze so eine Art simultane Begrüßung und Abschied, aber nagle mich hier nicht fest. Es ist schon eine Art Kreislauf, aber es ist nicht so, dass wir das großartig herausarbeiten wollten, wir haben „And The Address“ spontan und ohne viel Vorbereitung aufgenommen – keine große Sache.

Ich würde hier auch nicht auf das Ende von DEEP PURPLE wetten, denn für mich wirkte „Infinite“ bereits sehr final – sowohl Titel als auch Artwork – alles deutete auf das Ende hin. War „Woosh!“ geplant oder eine Fortsetzung des Momentums der letzten Tour?

Manche Dinge sind größer als ihre Einzelteile und haben ein Eigenleben. Als Musiker bist du ein Teil von etwas, das man nie ganz verstehen kann. Beim Komponieren entsteht dann eine Art Eigendynamik von Stück zu Stück und das Macht die Musik aus, da ist etwas Zusätzliches, das man nicht genau benennen kann, das aber letztendlich den ganzen Aufwand rechtfertigt.

Liegt dein Fokus ausschließlich auf der Musik oder bringt ihr euch auch in visuelle Konzepte wie das Artwork ein?

Weißt du, unser Label ist sehr kreativ, wir geben zwar den Titel vor, lassen sie machen und das Ergebnis ist dann meist spektakulär. Wir selbst sind gut darin Musik zu erschaffen, aber wir sind keine guten Cover-Designer oder Ähnliches (lacht). Verstehst du was ich meine? Um als Band erfolgreich zu sein, sind viele Puzzleteile nötig und manchmal muss man auf andere hören und ihre Vorschläge annehmen, besonders bei Tourneen und Veröffentlichungen ist es besser gelegentlich zuzuhören.

Letzten Dezember konnte ich euch live in Klagenfurt erleben, was wenn ich mich richtig erinnere, sogar der Tourauftakt war. Mir gefiel besonders wir ihr gemeinsam auf einer Ebene ohne Rampen, Podeste etc. eure Musik zelebriert habt.

Ja, das machen wir schon seit Längerem. Ich kann mich erinnern wie ich zu Paicey sagte, dass wir live nicht unseren wahren Sound präsentieren. Warum klingen wir nicht mehr wie auf „Made In Japan“? Paicey meinte, dass wir damals alle auf einer Ebene gespielt hätten und daraufhin entfernten wir die Drum- und Keyboard-Riser, um wieder wirklich auf der gleichen Bühne zu sein. Ich weiß nicht warum, aber das hatte einen Rieseneinfluss auf unseren Sound. Wenn du auf einer Plattform spielst, bist du von deiner Umwelt entkoppelt und als Ian und ich auf den Boden wechselten, änderte das unseren Klang grundlegend.

Wo liegt dein Fokus heute – Studioarbeit oder Live-Auftritte – eine angesichts der Pandemie zugegeben hypothetische Frage?

Momentan baue ich Tomaten an (lacht), schneide die Blätter und gieße die Pflanzen. Nein ernsthaft, der Lockdown hat für uns alle das Leben komplett verändert. Wenn du fast 40 Jahre ununterbrochen auf Tour warst, ist es wie ein Schock plötzlich so viel Zeit zu Hause zu verbringen. Meine Frau hat zu mir gesagt, dass die letzte Zeit die längste Spanne ist, die wir jemals ununterbrochen gemeinsam verbracht haben. Mir hat das gefallen, im Gegensatz zu ihr (lacht wieder), sie ist einfach einen anderen Alltag gewöhnt. Spaß beiseite, Gott schütze sie, ich wüsste nicht was ich ohne sie täte.

Wenn du dich für einen Auftritt vorbereitest, was sind die größten Herausforderungen? Egal wie halsbrecherisch deine Soli gerade sind, du scheinst immer absolut Herr der Lage zu sein.

Nun es ist irgendwie nervenaufreibend bei PURPLE zu spielen, die Band agiert immer auf Messers Schneide und dessen sind wir uns zu jeder Zeit bewusst. Als Keyboarder habe ich einen sehr anstrengenden Job, da sind so viele Soloteile oder auch der Beginn von „Lazy“. Neben der Spieltechnik sind Keyboards gleichzeitig technisch fordernde Instrumente. Ich benutzte nicht nur die Hammond, sondern verwende 6-7 miteinander gekoppelte Synthesizer, das ist Beschäftigung genug. Die Band ist insgesamt sehr pflichtbewusst und ich bin immer persönlich beim Soundcheck um mich abzusichern. Paicey ist auch oft dabei und wir jammen ein bisschen.

Nach mehr als 50 Jahren im Business muss man sich mit Blick auf die Realität auch die Frage nach dem Ende stellen. Gibt es einen konkreten Plan den Stecker zu ziehen oder habt ihr einen Punkt erreicht an dem alles passieren kann?

Unlängst habe ich mit jemandem gesprochen, der meinte, wir sollten zu PURPLE's letztem Gig Glenn Hughes, Ritchie und alle jemals Beteiligten einladen. Ich kann mir dabei aber kein funktionierendes Szenario, sondern nur ein schreckliches Chaos vorstellen. PURPLE's letzter Auftritt wird ein Unerwarteter sein, wir werden irgendwo auftreten und das wird das Ende sein. Das Leben selbst wird dabei seinen Anteil haben, du weißt nie was jemandem passieren wird. Ich glaube, dass ein solcher Abschluss natürlich für eine Liveband ist – sieht man vom großen Namen DEEP PURPLE und dem damit einhergehenden legendären, ikonischen Status ab, sind wir unter dem Strich nur eine Band. Wir sind fünf Musiker und eine Crew, die loslegen, um die Leute zu unterhalten, so einfach ist das. Egal wie viele Alben wir verkauft haben, letztlich bist du nur so gut wie dein letzter Gig. Wie gut bist du als Musiker? So gut wie du heute Abend gespielt hast. Wenn du nicht gut warst, dann bist du nicht sehr gut, das ist der Druck, der auf dir lastet.

Aktuell befinden wir uns in einer entschleunigten Phase, die viele Menschen über das Leben nachdenken lässt. Abschließend möchte ich dich fragen, ob du rückblickend bestimmte Entscheidungen während deiner Karriere bereust oder anders handeln würdest?

Ja alles (lacht), da ist eine ganze Menge. Wenn du ununterbrochen auf Tour bist, bist du irgendwann frustriert und triffst übereilte Entscheidungen. Ich bereue heute, dass ich nicht etwas länger bei RAINBOW geblieben bin. Ich hätte gegen Ende meinen Frieden mit Ritchie machen und mich auf die Musik konzentrieren sollen. Ich glaube, dass das Ritchie mehrmals in seiner Karriere passiert ist, denn der Umgang mit ihm war manchmal schwierig. Weiters bereue ich meine Beziehung mit Gary Moore, wir hatten großen Erfolg mit „Still Got The Blues“ und rückblickend wünschte ich, wir wären öfter in Kontakt gewesen. Ich war am Boden zerstört als er starb, er war ein unglaublicher Typ und auf seine Art ein guter Freund – (lacht) puh das war jetzt ein wenig düster.

Danke für diesen intimen Einblick und das umfangreiche Interview. Ich freue mich schon auf euer nächstes Konzert in Österreich auf Burg Clam.

Phantastisch, eine meiner Lieblingslocations, ich hoffe dich dort zu sehen. Vielen Dank für das Gespräch.


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