Interview: AYREON - Arjen Anthony Lucassen

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Ursprünglich sollte „Transitus“ ein richtiger Film werden, wo die Sänger auch die Rollen selbst übernehmen. Durch Covid war es schlichtweg nicht möglich.

Wenn Mastermind Arjen Lucassen ein neues Album veröffentlicht und dort auch noch AYREON drauf steht, dann müssen wir natürlich mit ihm höchstselbst darüber sprechen!

Text: Sonata
Veröffentlicht am 21.09.2020

Zuerst muss ich natürlich erfragen, wie die Produktion zu "Transitus" ins Leben gefunden hat. Wir haben ein paar Snippets von Instrumentalisten sowie Sängern bzw. Sängerinnen gesehen, die dein Studio besucht haben. Ich nehme also an, dass es vor der Corona Pandemie aufgenommen wurde? Erzähl uns, wann du mit dem Schreiben begonnen hast, was du mit "Transitus" vorhattest und wie viel Einfluss die Pandemie auf die gesamte Produktion hatte.

Ja, es hat die Produktion definitiv beeinflusst. Ich habe vor drei Jahren angefangen, an diesem Album zu arbeiten und es war glaube ich die längste Zeitspanne, die ich je damit verbracht habe, an einem Werk zu arbeiten. Du hast richtig erkannt, dass die Aufnahmen schon im Kasten waren, bevor Corona ausgebrochen ist, aber in einem Punkt hat es das Album stark beeinflusst. Ursprünglich sollte „Transitus“ ein richtiger Film werden, wo die Sänger auch die Rollen selbst übernehmen. Durch Covid war es schlichtweg nicht möglich, so viele Leute an einen Ort zu bringen, also ging ich zum Label und habe meine Story gepitcht mit der Bitte, ein Comic Buch daraus zu machen. Glücklicherweise kam die Idee gut an und wir haben visuell einen Comic erschaffen, der sich ebenfalls am Aussehen der Sänger orientiert. Der große Plan ist natürlich nachwievor, irgendwann filmisches Material daraus zu machen, aber das kostet eben auch nen Batzen Geld. Normalerweise musst du 100-200 Millionen Euro einplanen und in meinen Dimensionen mit „kleiner“ Produktion kannst du vielleicht von 10 Millionen sprechen.

Man merkt dem Album aber definitiv an, dass es ein Movie Ambiente einfängt, angefangen bei den vielen Instrumenten und „Hopelessly Slipping Away“ hat das Ganze ja auch toll visualisiert als Video. 

Ja, das denke ich auch! 

Der Opener ist ja auch ziemlich ungewöhnlich, hat viele Instrumental Parts und wirkt dadurch ja schon eher wie ein Intro zu einem Film.

Ich hatte zu Beginn nur die Intro Melodie ohne die ganzen parts von Tom Baker und irgendwie setzte es sich dann zu diesem wirren Song zusammen, der sicherlich ein besonderer Brocken zu Beginn ist. Erst später habe ich alle Erzähler Parts geschrieben und habe mir gedacht, dass ich den BESTEN für diesen Job haben möchte. Es hat lange gedauert, aber dann kam ich mit einer Agentur in Kontakt, die Tom Baker managed, habe ihnen ein Angebot unterbreitet und sie haben es angenommen. Dann war nur die Frage, ob Tom es mögen würde und er sagte wortwörtlich „Das ist wie für mich geschrieben!“, was ich natürlich bestätigt habe. (lacht) Ich war immer riesiger Doctor Who Fan und mit ihm in England diese parts aufzuzeichnen war der Wahnsinn. Einer der schönsten Tage meines Lebens! Er hat Doctor Who nicht einfach nur gespielt, er IST diese Person. Absolut atemberaubend.

Ich finde auch, dass es gar nicht möglich ist, seine Stimme NICHT zu mögen auf diesem Album. Er macht den Mund auf und man ist sofort gebannt. Er hat eine unglaublich starke Ausstrahlung und erzählt die Story nicht nur, er lebt sie. Das macht es so besonders.

Er hat manche Sachen auch geändert oder selbst hinzuaddiert, aber da ist er eben auch brilliant. Manche Zeilen wie in „This Human Equation“ sprudeln einfach so aus ihm raus und es ist toll!

Ich habe mich ja gefragt, wer das im Epilog sein soll im Comic Buch. Soll das dich darstellen? Habe da den Zusammenhang nicht ganz ergründen können.

Nee, das ist Henry, der Bruder von Daniel. Bei „Theory Of Everything“ kam der böse Bruder (damals von Marco Hietala verkörpert) davon und hier ist er quasi in der Hölle gelandet. Ist zwar musikalisch nicht auf dem Album gelandet, aber dafür im Comic.

Was war denn die Inspiration, „Transitus“ zu schreiben?

Ich bin großer Horrorfilm Fan, nicht von Splattern oder brutalen Filmen, eher von Filmen wie „Das Omen“ oder auch die alten Halloween Filme, wo mich auch die Musik hier inspiriert hat (spielt kurz das Halloween Theme an). Ich habe bei einer AYREON Produktion nie andere Musik als Inspiration gehört, aber hier habe ich zig Film Soundtracks gehört. Und ich wollte eben ein Horrorszenario schaffen, das auch musikalisch gut wiedergespiegelt wird. Erst hieß das Album glaube ich „Why?“, dann „Two Worlds“, aber am Ende sollte es der Name „Transitus“ werden, auch wenn diese Zwischenwelt nicht die größte Rolle spielt. Ich empfand es als passend.

Was würdest du als Gangart empfehlen, um der Geschichte des Albums zu folgen? Das Album hören, während man den Comic liest oder doch lieber erst die Lyrics? Wie siehst du das?

Puh, schwierig! Am liebsten wäre mir, wenn man ALLES auf einmal konsumieren kann. Also Musik hören, Comic lesen und parallel dazu die Lyrics. Das ist natürlich nicht möglich. 

Die Lyrics sind ja auch sehr wichtig, um die Details zu verstehen, die im Comic dann wieder nur angeschnitten werden. Es ist ein Album, welches als großes Ganzes funktioniert.

Da gebe ich dir absolut recht! Ebenfalls ein Punkt, wieso ich ungern einzelne Songs veröffentlicht habe. Das Label wollte sogar, dass wir vier Videos machen, wogegen ich mich gewehrt habe, weil alles so aus dem Kontext gerissen wäre. Also wollte ich zum Start selbst entscheiden, welche zwei Songs raus kommen und hier zwei Extreme picken. Den Hardrock banger mit Dee Snider und das atmosphärische Stück „Hopelessly Slipping Away“. Zwei Extreme, wo man nicht genau weiß, woran man ist.
Der Song mit Dee Snider als Vater brauchte ja nun mal auch einen mächtigen Song, das hat im gesamten Albumkontext ja alles Sinn und Verstand. „Transitus“ ist ohnehin kein Album, das viel Singlematerial beinhaltet, sondern mehr als Gesamtwerk betrachtet werden möchte.

Das ist absolut richtig!

Natürlich sind auch wieder ein paar Gäste mit dabei, die schon Teil von deinen Projekten waren oder es hiermit geworden sind. Unter anderem zum dritten Mal in Folge Tommy Karevik. Ist er mittlerweile ein fester Bandmember geworden oder wie sieht das aus? (lacht). Hast du mal drüber nachgedacht, mit ihm ein Soloalbum zu schreiben wie damals mit Anneke und THE GENTLE STORM?

Das wäre super spannend, auch wenn ich vorher nie darüber nachdenke, was für ein Album ich mache. Dieses Werk hier war auch nicht als AYREON Album gedacht, sondern eben als Film, aber gleichzeitig hat es ja all die Elemente, die AYREON ausmacht mit vielen verschiedenen Sängern, einem Konzept etc.

Ich muss über Camie Gilbert von OCEANS OF SLUMER sprechen. Eine Band, die ich traurigerweise erst durch ihren Auftritt in deinem Universum kennengelernt habe. Sie ist der Wahnsinn und erzeugt Gänsehaut ohne Ende. Wie kam es dazu, dass du mit ihr arbeiten wolltest bzw. konntest?

Das ist ganz witzig, weil ich dachte, dass sie AYREON wahrscheinlich nicht mal kennen wird oder doof findet. Das Gegenteil war der Fall! Der Drummer (Freund von Camie) wusste sofort bescheid und die Begeisterung war dementsprechend groß! Es war toll mit ihr zu arbeiten. Ich wollte für das Album auch Leute, die dazu in der Lage wären, mit ihrem Charisma die Rollen selbst zu spielen. Da waren Simone Simons und Tommy Karevik sofort in meinem Kopf und irgendwann habe ich ein Bild von Camie auf einem Magazin gesehen und erkannte da massenweise Charisma. 

Einer meiner Favoriten auf dem Album ist "Talk Of The Town" und ich komm nicht drum herum zu bemerken, dass er mich teils stark an "Digital Rain" von STAR ONE erinnert. War das intendiert oder völlig unbeabsichtigt?

Das habe ich schon seeehr oft gelesen und ich muss gestehen, dass es mir selbst NIE bewusst war, dass es an “Digital Rain” erinnert, auch wenn ich auf deine Frage hin natürlich sagen könnte “Ja klar, da gibt es eine Connection!”. Ich hatte diese Melodie als Main Theme für „Transitus“ im Kopf und habe tatsächlich nie an STAR ONE gedacht (lacht).

Vielen Dank für deine Zeit, lieber Arjen. Hoffentlich können wir uns beim nächsten Mal wieder gegenübersitzen!

Das hoffe ich auch, danke Chris!


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