Interview: VERSENGOLD - Florian Janoske und Malte Hoyer

Artikel-Bild

Ehrlichkeit in der Kommunikation ist halt auch so eine Sache.

Vor dem Konzert am 04.11.22 in Leipzig konnte ich den Sänger und Geiger von VERSENGOLD interviewen. Die Tour lief bis dahin sehr chaotisch.

Veröffentlicht am 11.11.2022

Am 04.11.2022 konnte die Tour von VERSENGOLD nach einer kurzen Corona-Pause endlich weitergeführt werden. Umso mehr habe ich mich auf das Interview mit Flo und Malte zur "Was kost die Welt"-Tour gefreut. Im Haus Auensee in Leipzig saßen wir zusammen und redeten etwas über die Strapazen der Tour und die generelle Lage in der Musikbranche.

Ihr seid heute nicht vollzählig, wie ich auf Instagram gelesen habe, ist das richtig?

Flo: Genau, Eike und Sean haben noch mit der Genesung zu tun und mit zwei Ersatzleuten ist das gerade schon spannend. Aber es hat gut geklappt. Die Gastmusiker müssen sich ja zwei Stunden Programm reinziehen und das ist schon viel verlangt, selbst bei so absoluten Profis, wie die es sind. Sich das in so kurzer Zeit anzueignen – da habe ich extremen Respekt.

Habt ihr schon von vornherein Ersatzleute eingeplant, weil jetzt die Wintersaison kommt und viele krank werden?

Malte: Ja, da gibt es so eine eiserne Regel auf Tour im Herbst: Die erste Woche ist immer einer im Bus krank und in der nächsten Woche sind dann irgendwie alle krank. [lacht] Weil sich das alles so im Bus verteilt. Aber sagen wir es so vor der Pandemie ist man anders damit umgegangen. Da hat man sich notfalls ein paar Aspirin reingeworfen und stand mit Fieber auf der Bühne. Aber die Tour konnte weiterlaufen und das gehört ja so ein bisschen zum Business dazu. Jetzt sind alle natürlich viel sensibler geworden. Wir haben auch das Gefühl, dass andere Krankheiten einen besseren Zugang finden. Es ist schon heftig, was dieses Jahr los ist.

Vor allem habt ihr ja schon genug Strapazen bei der Tour und in den letzten Jahren gehabt. Erst konnte ewig nichts stattfinden, dann gab es ein schönes Ereignis mit der Geburt von Flos Tochter, dann Corona, jetzt sind wieder welche krank. Irgendwie fällt immer jemand aus. Wie geht ihr damit um?

Flo: Manchmal haben wir das Gefühl, es liegt ein Fluch auf dieser Tour, ständig ist irgendwas. Aber wir kriegen es trotzdem irgendwie hin. 

Malte: Wir sind natürlich extrem dankbar, dass wir überhaupt losfahren können und genug Ticketverkäufe haben, auch wenn die bei uns eingebrochen sind. Dass es sich noch wirtschaftlich lohnt und wir alle bezahlen können, die mitfahren. Dementsprechend haben wir da eher ein Luxusproblem. Aber man muss schon sagen, bei dieser Tour jetzt gab es nicht einen Termin, wo wir ohne Ersatz waren oder irgendwas Essenzielles gefehlt hat. Das ist für die Show jetzt nicht unbedingt ein Problem. Das zu kompensieren ist aber trotzdem traurig.

Flo: Das ist so eine Mischung aus sehr intensiven Gefühlen, weil wir zwei Jahre nicht mehr auf Albumtour waren, jetzt geht es wieder los und es ist krass - wir haben es alle mega vermisst – und dann wird die Euphorie so ein bisschen gebremst, weil dies und jenes passiert. In meinem Fall ist es ja nicht so wild. Ich bin ja am ersten Tourwochenende belohnt worden, das war es mehr als wert. Aber wir wollen jetzt mal sehen, dass wir die letzten Tourtermine wieder in mehr Originalbesetzung spielen. Aber Sean wird vermutlich weiterhin ausfallen, da müssen wir mal gucken. Er hat noch mit der Genesung zutun und das ist dann so eine Sache mit Belastung, gerade als Schlagzeuger. Das ist ja ein sehr körperlicher Job. Da sind wir lieber vorsichtig, das ist jetzt die bessere Entscheidung.

Ihr geht da auch mit gutem Beispiel voran. Viele lassen sich ja gar nicht mehr testen.

Flo: Das ist ja auch nur eine Lösung für ein Wochenende, aber spätestens in der Woche drauf fallen dann alle Shows aus. Wenn ein oder zwei Leute aus irgendeinem Grund ausfallen, können einige Bands gar nicht mehr auftreten.

Malte: Abgesehen davon haben wir ja noch ein Leben neben der Tour und wenn man bei seinen Eltern in unmittelbarer Nähe wohnt und die ja auch schon ein paar Jahre älter sind, muss man da seine Lieben auch kein Risiko aussetzen. Wir sind immer noch in der Pandemie. Wir stellen uns mit 1500 Leuten heute in den Saal rein und das ist klar, dass was passieren kann. Das Risiko gehen wir ein, aber man muss es dann ja nicht mit nach Hause nehmen. 

Flo: Manchmal hat man auch gar keine Symptome, aber zwei Striche auf dem Test, so war die Dramaturgie bei mir.

Wie ist das bei dir jetzt, Flo: Du bist jetzt hier, dann seid ihr in Dortmund, dann die Nacht der Balladen-Tour – wann bist du zu Hause und nimmst dir Zeit für deine Tochter?

Flo: Ich find das gar nicht so dramatisch ehrlich gesagt. Selbst jetzt, wenn wir so heftig touren, ja da bin ich drei Tage die Woche weg – das ist natürlich blöd – aber ich bin auch vier Tage zu Hause. Und das Tag und Nacht. Und wenn du das mal in Stunden ausrechnest, dann mach ich jetzt auch nicht viel mehr als der Typ oder die Frau, die ihre 40 Stunden in der Woche arbeitet. Mit dem Unterschied, dass ich nach der Tour auch noch Pausen hab. Ich meine, es fällt auch Arbeit zu Hause an, wir müssen das nächste Album und Songs produzieren, aber ich habe schon sehr viel Zeit mit meiner Tochter.

Anderes Thema: Annie Hurdy Gurdy ist jetzt demnächst mit ELUVEITIE unterwegs, wie ist das dann bei euch. Ist sie da komplett raus? Weil sie vorher ja auch mehrere Projekte parallel hatte.

Malte: Das ist natürlich ein längerer Prozess, wenn da jemand in eine Band mit einsteigt und das wurde schon Monate vorher geklärt. Wir sind da nicht unvorbereitet. Ab nächster Woche ist sie mit denen auf Tour und bei uns raus. Wir haben natürlich auch da einen Ersatz. [lacht] 

Habt ihr zu Weihnachten oder Silvester in diesem Jahr eigentlich auch etwas für die Fans geplant? Während Corona gab es ja die Online-Konzerte, gibt es dieses Jahr auch so was?

Flo: Dieses Jahr haben wir uns Weihnachten freigenommen. Zumindest konzertmäßig wird da nichts passieren. Wir wollen jetzt alle mal ein bisschen mehr Zeit mit unseren Familien haben, Silvester und Weihnachten zu Hause feiern.

Malte. Außerdem sind wir am 17.12. noch auf dem Phantastischen-Lichter-Weihnachtsmarkt in Dortmund.

Flo: Genau und dann kommt ja schon die Nacht der Balladen und wir und Dan haben ja noch die KNASTERBART-Abschiedstour. Also der Kalender ist schon ziemlich voll. Da tut es auch mal gut, zwischendurch ein paar Wochen zum Luft holen zu haben. An so einer Tour hängt ja auch eine Menge dran. Man fängt ja schon Monate vorher an, die Probearbeit so zu machen, so dass man zum Tourstart gut vorbereitet ist. Das heißt mit KNASTERBART steht da auch schon wieder einiges auf dem Zettel. Ich bin auch sehr gespannt, wie es in Dortmund wird.

Alles klar. Aber ich bin jetzt schon etwas überrascht, weil ihr von schlechten Ticketverkäufen sprecht. Das Album "Was kost die Welt" lief doch gut. Wieso die Tour nicht?

Flo: Das Album lief super ja und die Verkäufe sind auch gut. Bei der Tour ist das schon so, dass es sich – ich sag mal – branchenübergreifend bemerkbar macht, dass die Pandemie noch über allem hängt. Wir sind jetzt erstmal superglücklich und froh, dass wir noch spielen können. Viele Bands mussten ihre Touren ja einfach komplett streichen. In unserem Fall lässt sich das alles noch rechnen und funktioniert. Aber unter normalen Bedingungen wären auf jeden Fall noch mehr Leute gekommen. Das muss man so sagen.

Malte: Wir sind ja gerade überall im Wachstum und das sieht man normalerweise vor allem an Tourzahlen besonders deutlich. Aber es ist ja klar: Die Leute sind komplett verunsichert. Erst hatten sie die Pandemie und dann die Energiekrise – wir sehen es ja bei uns zu Hause, die Gasrechnung hat sich irgendwie verdoppelt. Da hat man dann für so Sachen die Freude bringen, auch wenn man daran vielleicht nicht sparen sollte, eher weniger übrig. Die Leute müssen sich erstmal um essenzielle Dinge kümmern und auch der Krieg verunsichert viele Leute. Das hängt ja unmittelbar mit der Energiekrise zusammen und das sind halt so viele Faktoren – das führt dann einfach dazu, dass die ganze Branche weiter darunter leidet. Man sieht es an allen Ecken und Enden. Das führt dazu, dass auch namhafte Bands ihre Tour komplett absagen, wie z.B. EISBRECHER.

Ich habe das unter anderem bei den KAPEIKEN und KNORKATOR gesehen, dass diese dann Werbung machen für die übrigen Tickets. Also ja, man bekommt es mit.

Malte: Aber es ist gut, dass sie es trotzdem durchziehen. Wir ziehen es ja auch durch. Wir könnten auch den Kopf in den Sand stecken. Aber wir haben ja eher Luxusprobleme, denn wir ziehen ja noch 1600 Leute, aber hier passen auch 2000 rein. Das merkt man in einigen Städten mehr als in anderen. Wir hatten ja auch einige Termine ausverkauft auf der Tour, unter anderem Köln und Berlin. Wir haben gesagt, solange wir die Leute bezahlen können, machen wir das. Allein, um auch Vertrauen zu schaffen in die Veranstaltungsszene. Mit Absagen kommt eher das Gefühl bei der nächsten Tour, dass man mit dem Ticketkauf lieber warten sollte, ob noch abgesagt wird. Deswegen ist es wichtig, dass jede Band, die gerade auf Tour ist, zeigt: Ja, man kann auf die Bühne gehen.

Flo: Und Ehrlichkeit in der Kommunikation ist halt auch so eine Sache. Man muss dazu sagen, für Bands ist so eine Tour eigentlich so das Kernstück der Karriere. An den Tourbesuchen entscheidet sich – da kann man mal ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern – wie gut die Gagen für das nächste Jahr ausfallen. Viele Musiker haben das einfach so in ihrer DNA drin, dass sie nach außen das Bild vermitteln müssen, der heiße Scheiß zu sein, bei denen alles "sold out" ist. Da fällt das denen ganz schwer, eine Tour abzusagen und offen zuzugeben: "Wir haben einfach nicht die Verkäufe, die wir bräuchten, um diese Tour zu rechnen." Das heißt, da fallen ihnen sonst was für Ausreden ein. Die sind dann manchmal auch sehr kontraproduktiv und ein Bärendienst für die ganze Branche, wenn man im Herbst sagt, das geht nicht wegen Corona. Weil man im Grunde sagt: "Ihr braucht auch keine Tickets für andere Bands zu kaufen, weil das wird ja alles eh nichts." Ich habe da so ein paar Sachen gelesen, da habe ich mich sehr drüber geärgert, wenn man intern schon weiß, wo da die Gründe liegen.

Malte: Absolut komplett ausgedachte Sachen, in denen sie was von auferlegten Regularien erzählen. Das ist wirklich asozial gegenüber alle anderen Künstlern, die die Fahnen hochhalten und dafür sorgen, dass das Vertrauen da bleibt –wovon die am Ende auch wieder profitieren werden.

Flo: Ich war echt dankbar und habe auch größten Respekt vor jeder Band, die das offen kommuniziert hat. Ich habe es zum Beispiel letztens von TOCOTRONIC gelesen. Die haben ihre Tour abgesagt und ganz klar gesagt: "Das waren jetzt einfach nicht genügend Tickets." Dann verstehen die Leute das auch: "Ok krass, wir müssen einfach mal wieder raus gehen und dann kommen unsere Bands auch wieder." Wir haben da ja wirklich so krass loyale Fans, die uns schon durch die Pandemie getragen haben und jetzt sind auch alle wieder am Start. Das fühlt sich megacool an.

Eine letzte Frage noch: Ihr seid ja jetzt zum zweiten Mal in diesem Jahr hier. Mögt ihr die Location oder ist das einfach Zufall?

Flo: Ja, ist das nicht geil, es ist mega. So ein geiler Laden.

Malte: Ich finde, wenn man da drin steht – durch die Stuck-Arbeiten an der Decke – hat man so ein bisschen das Gefühl, dass man in einer großen Torte spielt. [lachen beide]

Flo: Ok, da habe ich noch nie drüber nachgedacht. 

Malte: Ist wahrscheinlich auch nicht das letzte Mal, dass wir hier sind. 

Flo: Aber zur Nacht der Balladen sind wir in Dresden. Wir haben immer Leipzig und Dresden im Wechsel. Damit sind wir ganz gut gefahren, weil auch viele Leipziger nach Dresden kommen und umgekehrt. Und den alten Schlachthof, den liebe ich auch. Also ich würde das jetzt gar nicht so gegeneinander aufwiegen wollen.

Malte: Ist aber leider keine Torte.

Flo: Ja, ist leider keine Torte. Also was hier supergeil ist, ist das mit den Rängen. Wir haben halt gemerkt, es gibt auch zunehmend Leute, die gerne einen Sitzplatz für sich haben, auch wenn sie dann am Ende stehen während der Show und rocken. Sie wollen einfach einen Platz für sich und für ihre Tasche und Jacke. Es gibt Leute, denen bedeutet das was, deswegen schauen wir auch nach Hallen, in denen es Sitzplätze gibt. Das ist hier sehr gut.

Malte: Ja, ist ein super Konzertsaal hier.

Dann waren das auch schon alle Fragen. Danke für das Interview!

Wer die Band gerne sehen möchte, kann sich online für den kleinen Preis die Show in Bochum anschauen. Diese findet am 12.11. 2022 statt und ist danach noch eine Woche lang auf der Plattform verfügbar. Hier geht es zu den Tickets. Den Livereport zum Konzert in Leipzig gibt es hier.


ANZEIGE
ANZEIGE