Interview: STIMMGEWITTER AUGUSTIN - Mario Lang

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Das Stimmgewitter Augustin war schon irgendwie eine Traumfabrik

Wir unterhielten uns mit STIMMGEWITTER AUGUSTIN „Chorleiter“ Mario Lang über alte und neue Helden, Ende und: Anfang.

Text: Andi Appel
Veröffentlicht am 08.01.2023

Seit 1995 bereichert die Straßenzeitung „Augustin“ die heimische Medienlandschaft und „hilft Menschen, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind (Obdachlose, Langzeitarbeitslose, Asylwerber u.a.), ihre Not zu lindern, da sie die Hälfte des Verkaufspreises erhalten“. Im Jahr 2000 gründete sich gar ein eigener Chor, auch „die an Lebensjahren älteste Punkband der Welt“ genannt, der nun aber, über zwei abenteuerliche und erfolgreiche Dekaden später, in verdiente Pension geht.

Vorher präsentiert man noch das ebenso schön illustrierte wie betitelte Album „Die Reste gibt´s zum Schluss“ (Konkord) und ein letztes großes Konzert im März. Wir unterhielten uns mit „Chorleiter“ Mario Lang über alte und neue Helden, Ende und: Anfang.  

Eigentlich wollte ich Fotograf werden, auf Wunsch meiner Eltern machte ich jedoch die Optiker Lehre und übte diesen Beruf lange aus, lernte aber nebenbei Fotografieren. Als dann diese wunderbare Straßenzeitung erschien, ging ich einfach hin und fragte, ob sie einen Fotograf brauchen. „Jo, fotografier!“. „Super, danke. Und wos?“. „Wos´d siechst“. Das tat ich fünf Jahre parallel zum Optiker-Job, dann wurde die Erscheinungsweise von monatlich auf zweiwöchentlich umgestellt und die Redaktion aufgestockt. Da pfiff ich auf die von den Eltern gewünschte Sicherheit und wechselte beruflich fix zum Augustin. Was ich bis heute nicht bereut habe.

Beim Volksstimmenfest 2000 saß ich mit Riki Parzer, Sozialarbeiterin und Augustin-Mitbegründerin, und ein paar anderen noch länger zusammen.  Wir begannen, schon brav im Öl, gemeinsam zu singen, von Karel Gotts „Biene Maja“ bis zur „Internationalen“. Dabei gebar Riki, die privat in einem Gesangsverein war, die Idee, einen solchen mit Augustin Verkäufern zu gründen.

Am nächsten Tag konnte sie sich gottlob noch daran erinnern und hing im Augustin Büro, wo sich die Verkäufer ihre Zeitungen abholen, ein Plakat auf: „Wer Lust zu singen hat, wir treffen uns am Donnerstag um 16 Uhr in der Hirter Stuben“, ein Wirtshaus im vierten Bezirk, dort mieteten wir das Extrazimmer. Es kamen so an die 20 Leute, zumal es pro Person zwei Freigetränke gab. Riki kopierte für alle das Liedermapperl von ihrem Verein, „Wahre Freundschaft“, „Capri Fischer“… Ab dann trafen wir uns jede Woche.

 


Stimmgewitter 2022 © Mario Lang

 

Es kam Weihnachten – und ihr ins Radio.

Der Augustin hat eine Sendung auf Radio Orange und bat uns um ein Weihnachtslied. Das war unsere erste offizielle Aufnahme, haha, „Leise rieselt der Schnee“. Von nun an traten wir auch live auf, zur Behübschung auf Augustin-Festen, zum Spaß, mit Verkleidungen. „Ich will  keine Schokolade“ wurde natürlich von Männern in Frauenkleidern gesungen, mit Orangen im BH. Der Andreas „Schmidl“ Schmid meinte: „Ihr seid kein Gesangverein, ihr seid ein richtiges Gewitter!“. Schon hatten wir einen Namen.

Der bald in aller Munde und Ohren war.

Klar, ein „Sandler Chor“, der Schlager und Revolutionslieder zum, naja, Besten gibt, das sprach sich herum. Eines Tages riefen mich die „Jungen Lions“ vom Lions Club (Wohltätigkeitsorganisation, Anm.) an. Die alten Spenden-Punschhütten waren ihnen zu fad, sie wollten was frisches organisieren – und eine CD von uns herausbringen. Der Erlös geht ans VinziDorf Graz. „Passt, moch ma“. Sie legten uns ein tolles Konzept vor, hätten gerne Stargäste dabei, Die Seer oder sowas. Sehr gerne, hab ich geantwortet, nur wollen wir uns die musikalischen Partner bitte selbst aussuchen.

Gesagt, getan, David Müller von Die Strottern hat produziert, als Gäste waren Wilfried, Roland Neuwirth oder Adi Hirschal dabei. Und mein großer Held, Hansi Lang. Beim Stimmgewitter bin ich der Jüngste, die anderen sind zum Teil viel älter, die kannten ihn nicht, hörten ganz andere Musik. Aber der Hansi kam zur ersten Probe, und sie haben ihn geliebt. Er war auch bei der Live-Präsentation der CD dabei, „Stimmgewitter & friends“, 2003 im bummvollen Metropol.

Wie und wieso bist du zum „Kapellenmeister“ geworden?

Ich bin da einfach reingerutscht. Zu Beginn war ich nur Sänger im Chor, irgendwann gehörte mir alles, von der Organisation bis zur Pressearbeit. Leute kamen und gingen, es bildete sich ein harter Kern von etwa zehn Leuten. Keiner von uns hat eine musikalische Ausbildung, wir können nicht mal Noten lesen. Aber ich war immer schon Musikliebhaber, meine erste Platte bestellte ich beim Donauland, „Kiss Alive!“, das ganz arge Zeug. Ich liebte AC/DC, war großer Nena Fan, dann kam der Punk in mein Leben. Sex Pistols! Drahdiwaberl mochte ich auch sehr.

Jetzt ist das Organisieren einer „normalen“ Rockband nicht immer die leichteste Aufgabe, wie stellt sich das mit Obdach- und Arbeitslosen dar?

Anfangs nicht immer einfach, kaum einer hatte ein Handy, geschweige denn Internet. Einer schlief in einem Zelt auf der Donauinsel, einer unter der Floridsdorfer Brücke. Aber am Donnerstag um 16 Uhr war Probe - und sie waren dort.

Einer unserer ersten Auftritte war in Dornbirn. Wir sind alle schön gemeinsam mit dem Zug hingefahren und am Bahnhof ausgestiegen. Jetzt musste einer aber dringend aufs Klo, der andere holte sich ein Semmerl, und schon stand ich alleine dort. Das war mir eine Lehre, ab dann checkten wir uns immer ein großes Mietauto, da habe ich den ganzen Haufen im Blick. Unsere erste Deutschland Tour war super, Chaoten on the road, aber tatsächlich schlich sich bald eine Disziplin und Struktur ein. Nicht wenige Veranstalter meinten, wir sind organisierter als so manche Profis. Wenn es etwa heißt, Soundcheck um 18 Uhr, dann stehen wir alle um 18 Uhr dort.   

Auf der selben Tour kam aber auch einer unserer Sänger ganz aufgeregt zu mir, „Mario, Mario, Hilfe, ich finde meinen Hotelzimmer-Schlüssel nicht mehr, aber ich habe da so eine komische Karte…“. Klar, er kannte noch keine Schlüsselkarte, woher auch?

Ihr solltet ein Roadmovie veröffentlichen. Apropos veröffentlichen, es gibt viele Platten und CDs von euch mit zahlreichen Gästen, welche Koops lagen dir da, neben Hansi Lang, besonders am Herzen?

Uns waren nie große Stars wichtig, wir wollten uns nicht mit Namen schmücken, sondern uns austauschen, von einander lernen. Klar waren Die Sterne als eine meiner Lieblingsbands toll für mich, Texta, Ja Panik, da entstanden auch schöne Freundschaften. Das Kollegium Kalksburg hat uns über all die Jahre begleitet und die „Schmankerl der Schöpfung“ Scheibe mit unserer „Stammband“ 7 Sioux finde ich großartig.

Die eigentlichen Stars sind aber die singenden Augustin Verkäufer. Was hat das Stimmgewitter mit und aus ihnen gemacht?

Danke, dass du das ansprichst, ein wichtiger Punkt. Diese Menschen bekommen ein ganz neues Selbstbewusstsein, Würde, Perspektiven. Einer unserer Sänger hat das schön auf den Punkt gebracht: „Früher ging ich immer herum wie ein geprügelter Hund. Seit ich beim Stimmgewitter bin, gehe ich aufrecht“. Tatsächlich steht man plötzlich auf der Bühne, singt auf einer CD und „ist jemand“, nicht immer nur „der arme Sandler“. Das Publikum jubelt dir zu, auch die anderen Verkäufer bewundern dich: „Schau, der Hansi vom Stimmgewitter!“.

Cool. Aber Stichwort zujubeln, es entwickelte sich ja mit der ersten CD doch eine Art Hype, habt ihr euch da auch mal falsch verstanden oder „instrumentalisiert“ gefühlt?

Klar. Wobei wir uns ganz am Anfang einfach nur gefreut haben, dass uns überhaupt wer will. Bei mir entwickelte sich aber auch rasch ein gewisser Zorn… Manche Veranstalter steckten sich da in ein soziales Mäntelchen, speisten uns aber sprichwörtlich mit ein paar Brötchen und zwei Freigetränken ab. Das Publikum war mitunter auch seltsam, „Gemma Sandler schauen“, aber denen gaben wir gleich kontra, wir sind ja nicht aufs Maul gefallen. Wir haben den Leuten schon auch den einen oder anderen Spiegel vorgehalten.

 


Stimmgewitter 2017 © Mario Lang

 

Warum geht das Ganze jetzt seinem Ende entgegen?
 
Ach, wir haben zu zwölft begonnen, mittlerweile sind wir nur noch fünf. Die Leute sterben uns weg, das braucht man nicht schöner formulieren. Klar kamen ein paar neue dazu, aber die wenigsten blieben lange. Wir sind auch keine einfachen Menschen, jeder trägt seinen Rucksack. Psychische Schwierigkeiten, Krankheiten, Alkohol. Auf alle Fälle wollten wir aufhören, bevor wir nur mehr zu zweit sind. Erhobenen Hauptes abtreten. Einmal gibt es noch einen großen Tusch, bei der CD-Präsentation am 16. März im TAG Theater, mit vielen tollen Gästen, dort gehen wir dann in Würde auf die und von der Bühne.

Was bleibt?

Ganz viel. Das Stimmgewitter Augustin war schon irgendwie eine Traumfabrik. Die ganzen Koops, die tollen Künstler. Ich will nicht zu nostalgisch werden und richte meinen Blick nach vorne, aber das war eine wunderschöne Zeit. Und ich würde mich freuen, auch ein paar STORMBRINGER und Stark!Strom Leser, ich lese euer Magazin immer mit großem Interesse und hör mir einige der vorgestellten Bands mit Freude an, beim Gig am 16. März begrüßen zu dürfen. Ein Besucher hat mal gesagt „Nach einem Stimmgewitter Konzert geht man mit immer einem guten Gefühl raus“… Dem hab´ ich nix hinzuzufügen.

Wir auch nicht. Danke Mario fürs Interview, alles Gute, wir sehen uns im TAG!


LIVE: Album Präsentation 16.03.2023 – TAG Theater Wien

www.stimmgewitter.org , www.augustin.or.at


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