Interview: Terrorgruppe - Jacho

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Unsere Punk- und Gitarrenhelden sind eigentlich alle mittlerweile tot oder zumindest todkrank...

Die posthume Aufarbeitung einer einzigartigen Karriere ....

Text: Reini
Veröffentlicht am 08.10.2006

Ihr habt ja die Terrorgruppe jetzt offiziell zu Grabe getragen – ein Abschied mit Wehmut?

Ja, natürlich. 13 jahre Punkrock-Geschichte sind beerdigt. Sniff. Ich kann dazu jetzt gar nicht soviel sagen. Vielleicht nur das: Es tut immer noch ein bisschen weh, aber> jeder einzelne TG-Musikant ist jetzt auch neugierig was so alles als Nächstes kommt und steht „mitten im Leben und im hier und jetzt" wie man so schön sagt, bereit für die nächste große Party und ganz ohne Jammerei nach alten Zeiten, ohne Nostalgie-Geflenne oder Legenden abfeiern. Einfach mal überraschen lassen, was als Nächstes kommt und sich auf eine wilde Zukunft mit guter Musik und Spaß an Subversion freuen!

Euren Humor habt ihr aber nicht verloren, wie man am als Bastelbogen gestalteten und mit etlichen pfiffigen Kommentaren („only a dead band is a good band!) versehenen Booklet von „Rust in Pieces" sehen kann?

Wir mögen einfach keine Bands, die sich zu ernst nehmen und haben uns auch selber nie todernst genommen. Just look back and laugh. Über unser „Rockstar-Dasein" haben wir schon während der ganzen > TG-Zeiten gewitzelt, da werden wir jetzt, wo´s vorbei ist, natürlich noch mehr drüber lachen. Wir haben ja viele eingebildete Affen („Musiker") kennen gelernt, aber zum Glück auch eine Menge Menschen, die trotz Erfolg und Starruhm nett, cool und geradeaus geblieben sind, halt auf dem Boden oder besser: auf Augenhöhe. Die würden das alle sicherlich genauso beschreiben: „Only A Dead Band Is A Good Band"

War eigentlich der Ausstieg von Archie der Hauptgrund die Band in dieser Form ad acta zu legen, oder spielten da noch andere Gründe mit?

Ich denke, dass Archi die Baustelle Terrorgruppe für „fertig gebaut" hielt, in jedem Club gespielt, in jedem Land getourt (außer in Japan), zu jedem Thema einen Song geschrieben. Archi wollte zu „anderen Ufern aufbrechen" ganz vorsichtig formuliert. Ich persönlich fand dagegen, dass es noch eine ganze Menge zu singen oder zu sagen gibt, und die anderen beiden „Rest-TG-ler" Slash und Steve sahen dass ganz ähnlich. Deswegen auch der Neuanfang mit einer neuen Band „The Bottrops".Ohne den Sänger Archi die Band weiterhin „Terrorgruppe" zu nennen, das wäre ziemlich blöde gewesen. Ich mag es selber auch nicht, wenn dann nach Jahren mal wieder eine alte Band aufkreuzt und nur noch ein original Gründungsmitglied ist dabei oder der neue Sänger hat ´ne ganz andere Stimme als der Alte. Solche Bands sollten sich lieber einen anderen Namen geben, alles andere ist Rip-Off.

Erzähl mal bitte so die High-, aber auch die Lowlights Eurer Karriere?

Ein paar der schönsten Highlights (von ganz vielen): Unser Ausflug nach Kalifornia, die Deconstruction-Touren, die Brasilien-Tour, die Entstehung der „Blechdose".Oder das hier: Mit gerade mal 2 fertigen Songs im Gepäck ein teures Studio in Berlin buchen und dann ganz schnell, innerhalb von 3 oder 4 Wochen, ein ganzes Album schreiben und einproben („Melodien für Milliarden").
So richtig echte Low-Lights gab´s in den 13 Jahren in jeder Woche mindestens einmal, am schwersten war sicherlich die Zeit im Sommer und Herbst 1998, damals war die Band kurz vor der kompletten Auflösung. Dazu steht ja auch ein bisschen was im Booklet zur Neuauflage von „Keiner Hilft Euch"

Wie entstand eigentlich die Idee, „Rust in Pieces" (was ja de facto das ein wenig aufgepeppte „Fundamental" Album in Englisch eingesungen ist) auf den Markt zu werfen?

Einige der Songs sind tatsächlich in der ursprünglichen Version zunächst englisch gewesen, die Aufnahmen auf dem Fundamental-Album sind also eigentlich die „Cover-Versions" dieser englischen Tracks, zb: „Hey Tough Guy" oder „Happy Song". Zu anderen (deutschen) Liedern sind uns im Laufe der Jahre völlig andere Texte zu eingefallen. So kam es zu den neuen englischen Versions. Damals hatte die Terrorgruppe ja noch gar keine Pläne sich vom Touren und Konzerte spielen komplett zurückzuziehen, erst recht nicht auflösen. Das englische Album war ja ursprünglich wirklich mal geplant als das Material, mit dem wir in Südeuropa oder Brasilien oder vielleicht auch mal in Japan touren würden. Dass es dann mal unser „posthumes" Abschiedsalbum werden sollte, daran hat damals keiner gedacht.

Wie ist die Resonanz auf „Rust in Pieces bis jetzt?

Total gespalten! Die meisten Punk-zines und Webbies haben „R.I.P." ziemlich abgefeiert und uns bescheinigt, dass wir ziemlich geschmeidig, rhythmisch, wortgewandt und auch inhaltlich relevant mit der englischen Sprache umgehen können...über solches Kritiker-Lob freut man sich natürlich besonders, den daran scheitern ja bekanntlich viele deutsche Bands und ziehen sich dann in ausgelutschte englische Phrasen zurück. Auch von englischen, französischen und holländischen Zines kam nur gutes zurück, ein wichtiges italienisches heft und das größte französische Punk-Heft haben „Rust In Pieces" sogar eine ganze Story gewidmet. Aus Irland haben wir einen ganzen Berg an Fanmails bekommen. Das macht schon ein wenig stolz, dadurch wissen wir, dass wir alles richtig gemacht haben. Andererseits haben sich viele unserer Fans in Deutschland/Österreich/Schweiz beschwert, dass sie lieber ein deutschsprachiges Abschieds-Album gesehen hätten. Ich habe ein paar deutsche Fanmails bekommen, in denen viele Fragen zu den Texten gestellt wurden. Da hab ich gesehen, dass viele Leute die Texte völlig falsch verstanden hatten, zum Beispiel nicht den bösen sarkastischen Witz von „The World´s Not Bad At All" oder die Kernaussage von „Rambo III": Who did what, when, where to whom? Daran kann man auch mal wieder sehen, wie einmalig beschissen das „deutsche Bildungssystem" ist. Das Erlernen der englischen Sprache dient wohl nur noch der Zurichtung der einzelnen Schüler zu optimal funktionierenden Arbeits- & Praktikums-Idioten Economy- und Computer-Englisch soll jeder perfekt beherrschen, aber ein paar einfache grundlegende Kenntnisse zum Wesen von Satire, Parodie, Übertreibung oder (negative) Utopie, was ja nun mal einige der wichtigsten Schriftsteller der englischen Literatur perfekt benutzt haben, ob Jonathan Swift oder George Orwell, die fehlen völlig. Aber was beklage ich mich jetzt hier über das beknackte Schulwesen: „Alles was ich weiß, hab ich ganz bestimmt in keiner Schule gelernt"

Euren „Happy Song" hab ich mit den Worten „die Beach Boyz treffen auf die Ramones" umschrieben, ein Statement mit dem ihr Leben könnt?

Solche Referenzen schmeicheln uns natürlich, wer hat jemals bessere Gesangs-Harmonien hingezaubert als die Beach Boys. Aber ich glaube der Vergleich hinkt, da passt schon besser THE DICKIES. Die sind ja auch ´ne coole Referenz.

Meine Konklusio für „Rust in Pieces" lautete „summa summarum erhält man mit „Rest in Pieces" pure Unterhaltung, die nicht mal die eigene Freundin beim Kopulationsakt aus der Wohnung treiben dürfte"- für Euch Kompliment oder eher nur ein dämlicher journalistischer Witz?

Die Mädchen finden es ja generell besser wenn englische Lieder das Gestöhne begleiten. Vielleicht ist dies ja der eigentliche Sinn und Zweck von „Rust In Pieces": Im Ausland eine sarkastisch lustig-aggressives Punk-Album - in Deutschland, Österreich, Schweiz: der optimale Soundtrack zum Beischlaf für alle Terrorgruppe-Fans!

Was war Euer erfolgreichster Gig bisher?

Hmm, womit soll man denn „Erfolg" messen? Mit der Höhe der Gage?
Nee, über geld spricht man nicht.
Mit der Anzahl der Zuschauer?
Auch doof.
Mit der Anzahl der wild pogenden Zuschauer?
Schon eher, aber blöderweise haben wir sowas nie gezählt.
Mit der Stimmung auf der Bühne und hinterher im Backstage?
Dafür waren die 4 Herrschaften der Terrorgruppe zu unterschiedlich gestrickt, während der Eine seinen absoluten Höhenflug hatte, war der andere vielleicht gerade in diesem Moment total unfit, ausgepowert und depressiv.
Vielleicht kann man ja „Erfolg" messen an der Anzahl der weiblichen Fans im Backstage und im Hotel? Der Geniesser schweigt. Aber meistens sind die Mädels dann hinterher lieber mit Roadie, Kabelträger oder Busfahrer abgestürzt, haha!! Terrorgruppe hatte immer total sexy Busfahrer

Gibt es irgendeine Band auf diesem Erdball, mit der ihr unbedingt live spielen wolltet, was sich aber nie ergeben hat?

Unsere Punk- und Gitarrenhelden sind eigentlich alle mittlerweile tot oder zumindest todkrank. Mit Dee Dee Ramone hätten wir sicher gerne gespielt, nachdem im Frühjahr 2002 feststand, dass eine gemeinsame Single erscheinen würde...Aber es ist ja dann leider alles anders gekommen.

Stichwort MP3 Downloads: dafür oder dagegen? Mit Begründung bitte…

Gar nix dagegen, aber nach wie vor ist Vinyl ein muss...hmm...da fällt mir ein, ich müsste mich mal dringend um eine Vinylversion von „Rust In Pieces" kümmern.

Bitte hinterlasse hier noch ein paar abschließende Worte an unsere Leser…

Liebe Leser, wie geht´s denn so? Habt ihr gute Parties und Konzerte erlebt in den letzten Wochen? Vermisst ihr die Terrorgruppe?
Wir euch auch! Macht nix, Life goes on...und wir sollten alle unser Bestes geben, damit der Spaß und die Subversion nicht zu kurz kommen.*
Also, gründet eigene Terrorgruppen! ...und horcht mal rein bei den The Bottrops.
Cheers & Grüsse! eure Ex-Terrorgroupies

Nochmal Danke, dass Du Dir die Zeit für dieses Interview genommen hast!


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