Interview: Watain - Erik Danielsson

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Ich habe mich mehr und mehr von der Idee entfernt, ein Prediger zu sein. Meine Intension war es immer, etwas auszudrücken, aber nicht unbedingt um es anderen Menschen verständlich zu machen.

Vor dem Auftritt im Viper Room steht mir WATAIN Sänger Erik Danielsson für ein Interview zur Verfügung. Im kalten, klimatisierten Tourbus versucht Danielsson, mit einer etwas angeschlagenen Stimme, die richtigen Worte zu finden, um so redegewandt wie möglich auf meine Fragen zu antworten. Ein skeptischer Leser, welcher mit Herz und Seele Musiker ist, gibt nicht nur Aufschluss über seine Vergangenheit, sondern beweist auch Kreativität im Umgang mit Philosophie.

Veröffentlicht am 30.10.2010

Du überlässt die Interpretation der Lyrics gerne deinem Publikum. Denkst du denn, dass deine Zuhörer sie richtig interpretieren?

Ich glaube jeder Künstler setzt eine gewisse Kompetenz des Publikums voraus. Für mich wäre Kunst etwas sehr mechanisches und flaches, wenn man nicht einiges daran des Zuhörern überlassen würde. Das wäre etwas langweilig. Es wäre dann eher so etwas wie Politik oder etwas das klar definiert ist. Ich glaube nicht, dass Musik so sein sollte. Lass es mich so sagen: ich glaube es ist schwierig, ein komplett falsches Bild davon zu bekommen, was wir versuchen zu sagen. Niemand würde zum Beispiel denken, dass wir friedliebende Christen sind. Die Interpretation läuft immer in einem bestimmten Kontext.

Aber es gibt dennoch immer die Möglichkeit, dass Lyrics falsch interpretiert werden.

Ja, natürlich. Absolut. Genau das ist der Grund Interviews zu geben um darüber reden zu können. Natürlich fragen dich die Leute immer nach den Texten und obwohl ich es bevorzuge, die Interpretation anderen zu überlassen bin ich sehr offen dafür Dinge zu erklären wenn mich jemand danach fragt.

In einem Interview gabst du an, viel zu lesen. Du zitiertest sogar Karl Marx mit „Wissen ist Macht“. Denkst du, dass Musik auch etwa wie Macht sein kann oder sein sollte? Verwendest du deine Musik als Machtinstrument?

Musik kann auf jeden Fall als Machtinstrument verwenden werden. Ich habe mich mehr und mehr von der Idee entfernt, ein Prediger zu sein. Meine Intension war es immer, etwas auszudrücken aber nicht unbedingt um es anderen Menschen verständlich zu machen. Ein banaler Vergleich wäre: Wenn ich mit einem Partner zusammenlebe, jemanden den ich liebe, würde es sich komisch anfühlen, diese Liebe nicht ausdrücken zu können. Wenn jemand etwas liebt und eine Leidenschaft dafür hegt dann fühlt man auch das Bedürfnis, diese Leidenschaft auszudrücken. Das ist für mich worum es bei WATAIN geht.

Wenn ich das richtig sehe sind Crowley und Lovecraft zwei Autoren, die dich sehr beeinflusst haben. Welche anderen Bücher oder Autoren haben bei dir einen bleibenden Eindruck hinterlassen oder dich und deine Musik beeinflusst?

Ich wünschte, ich hätte eine definitive Antwort auf diese Frage aber ich glaube ich habe immer versucht, für alles offen zu sein und nicht in eine bestimmte Kategorie des Denkens zu fallen. Ich glaube aus den Mengen an Büchern, die ich gelesen habe, habe ich, um mir meine eigene Meinung zu bilden, überall einen Teil herausgenommen. Immer wenn ich ein Buch lese, lese ich es als Skeptiker. Ich stelle mir immer vor, eine Diskussion mit dem Autor des jeweiligen Buches zu führen. Ich glaube die Autoren die den größten Einfluss auf WATAIN hatten sind eher Dichter. Beeinflusst wurde ich auf jeden Fall von der Sprache und der Art, wie Gefühle durch Worte transportiert werden. Somit sind mehr die klassischen Autoren wie Yeats und Oscar Wilde die mich beeinflusst haben.

In Interviews redest du oft vom „True Black Metal“ und es scheint als könntest du Black Metal Bands nicht ausstehen, die keine Art von Philosophie hinter ihrer Musik haben. Wie sieht’s da mit den Fans aus? Es gibt wahrscheinlich auch sehr viele Fans die einfach nur eure Musik mögen und eure Art zu denken total ablehnen. Wie denkst du über eure Fans in diesem Zusammenhang?

Ich glaube es gibt einen großer Unterschied zwischen einem Künstler und jemanden der Kunst schätzt. Es ist eine schwere Aufgabe dem Publikum etwas näher bringen zu wollen. Das sollte nicht nur etwas Spaßiges sein. Für mich stellt das alles dar, was ich bin und ich erwarte mir das auch von Künstlern die ich schätze. Ohne Zweifel gibt es viele Fans, die mit unseren Ideen nicht einverstanden sind, aber da ist etwas anderes denn ich kann nicht sagen, dass ich irgendwelche Erwartungen an meine Hörer habe was deren Wissen oder deren Fähigkeit betrifft, Dinge zu verstehen.

Aber sollte man nicht bestimmte Dinge voraussetzen bzw. bestimmte Ansprüche an das Publikum haben um sicher zu sein, dass die eigene Musik auch verstanden wird?

Da bin ich mir nicht ganz sicher. Wenn sich Menschen von WATAIN angezogen fühlen, wenn sie Interviews lesen oder sich sogar ein Album kaufen dann ist das Grundlegende, das sie dorthin gebracht hat schon passiert und ich bin nicht derjenige der sagt, was das sein soll. Solche Dinge sind meist ziemlich abstrakt.

WATAINs Auftritte werden als eine Art Ritual praktiziert. Gerade deswegen schein die Band sehr abhängig vom Publikum zu sein, denn ohne Publikum würde so ein Ritual, so eine Performance kaum möglich sein. Wie siehst du die Beziehung zwischen WATAIN und dem Publikum?

Das ist eine sehr gute Frage und diese Frage hab ich mir selbst auch schon oft gestellt. Lass mich zuerst das Wort „Ritual“ besser definieren: Für mich ist ein Ritual oder eine Zeremonie, was vielleicht ein passenderer Begriff ist, beinhaltet den Focus auf ein spezielles Ziel das jemand erreichen will. Im Fall der Rockmusik wird etwas präsentiert, dass größer ist als der einzelne Mensch der auf der Bühne steht. Der Wert eines Konzerts beruht einerseits auf der Reaktion des Publikums und andererseits auf der Performance der Band. Auf der Bühne liegt mein Focus meist bei mir selbst aber gleichzeitig ist es natürlich einfacher, dieses ekstatische Gefühl, das wir erreichen wollen, zu bekommen wenn man die Reaktionen des Publikums sieht. Wir legen viel Wert auf die Interaktion mit dem Publikum und manchmal wünschte ich mir eine Art Theater Setting zu haben.

Du bist sehr kritisch gegenüber andern Bands, speziell im Black Metal Genre. Wenn du dir aber eine Band aussuchen müsstest, die einen eurer Songs covert- welche Band wäre es und welcher eurer Songs wäre es?

Muss es denn eine Black Metal Band sein? Nein? Okay, dann würde ich jemanden aus einem komplett anderem Genre nehmen denn die Idee, dass eine Black Metal Band eine andere covert finde ich ziemlich sinnlos. Aber ich würde gerne hören, wie wir FIELDS OF NEPHILIM „Waters of Ain“ covern. Ja, das ist das Erste was mir dazu einfällt.

Dann zu einem ganz anderem Thema. Wurdest du religiös erzogen? War deine Kindheit von religiösen Mythen?

Irgendwie ja, aber eher weniger. In den Abschnitten meiner Kindheit die von Religion beeinflusst waren, zum Beispiel war meine Großmutter sehr religiös, war ich immer sehr fasziniert davon. Ich hatte keine positiven oder negativen Gefühle gegenüber der Religion, es war einfach nur interessanter als andere Dinge zu der Zeit und hat mich beeindruckt als ich jünger war. Aber ich glaube diese Faszination in Kombination mit einer eher nicht- religiösen Erziehung war sehr wichtig, denn für mich bedeutete das Freiheit, obwohl ich immer Dingen zugewendet war die eher spirituell oder zumindest philosophisch waren.

Das leitet mich gleich zu meiner nächsten Frage: Kinder scheinen sehr offen zu sein für Mythen und Magie. Diese Offenheit verschwindet meist während des Erwachsenwerdens. Einige Organisationen und Institutionen scheinen jedoch diese Ideen wieder zu forcieren und für deren Zwecke zu verwenden z.B. religiöse Gruppen etc. Wie denkst du darüber, in einer Welt voll von Imagination zu leben? Bevorzugst du in dieser Hinsicht eher Idealismus oder Pragmatismus?

Ich glaube wir allen leben in einer Welt voll von Fantasie. Religion ist eine Art zu verstehen, was dem zugrunde liegt. Religion beinhaltet für mich sehr viel mehr Antworten als irgendeine, vom Menschen gemachte Ideologie oder Philosophie. Die Wege der Menschheit oder die Welt der Menschen hat mich nie interessiert.

Aber ist Religion oder Spiritualismus nicht auch etwas, das von Menschen gemacht wurde um Dinge erklären zu können?

Religion und Spiritualismus ist für mich die Sprache durch die Menschen mit etwas kommunizieren können das größer ist als sie selbst. Natürlich ist Religion auch ein Teil der menschlichen Gedankenwelt, das geht Hand in Hand, ein Kreislauf der Schöpfung. Aber das Problem mit der Religion ist natürlich, dass diese Sprache, diese Macht oft missbraucht wird. Das ist natürlich traurig. Gott, oder Christus ist für mich interessanter als die christliche Kirche, welche mir gar nichts bedeutet.

Wieder zu einem anderen Thema. Kannst du von deiner Musik leben?

Ja, zumindest laut meiner Definition von „davon leben können“. Aber es ist kein luxuriöses Leben.

Wie kannst du in diesem Zusammenhang, deine tiefe philosophische Einstellung mit den ökonomischen oder finanziellen Aspekten der Musik verbinden?

Ich sehe das nicht unbedingt als zwei separate Dinge. Die ökonomischen Aspekte sind sehr peripher für mich und befinden sich nicht in meinem Fokus. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich an einem Punkt angelangt bin, mich um diese Dinge nicht mehr kümmern zu müssen. Jetzt kann ich mich auf die wichtigeren Dinge konzentrieren. Laut meiner Definition kann ich also von meiner Musik leben aber wir reden hier keinesfalls von schnellen Autos oder teuren Luxusgegenständen, es ist eigentlich ziemlich asketisch.

Welches Medium denkst du, ist das geeignetste um deine Idee von Black Metal zu verbreiten? Ist es eher die face2face Performance mit dem Publikum oder könntest du dir auch vorstellen, Musik z.B. nur von zuhause aus zu machen?

Ich glaube, dass WATAIN das Publikum benötigt. WATAIN ist wie ein Feuer oder wie die Sonne und verstrahlt Licht. Wenn es nichts gibt, über dem das Licht scheinen kann dann verfehlt es seinen Zweck. Ich lebe von der Vorstellung, dass Menschen das aufnehmen, was wir ihnen geben und das ist einer der Gründe warum ich das tue. Dieser Gedanke ist immer da. Ich kann mir nicht vorstellen irgendetwas anders als WATAIN zu machen, egal ob es Zuhörer gibt oder nicht, aber die Vorstellung des Publikums und deren Feedback haben uns immer angetrieben und weiter gebracht.

Es scheint als würdest du ausschließlich mit Menschen zusammenarbeiten, mit denen du gewisse Ideen teilst z.B. im der Zusammenarbeit mit anderen Bands wenn es um Artworks oder Lyrics geht etc. Bist du in so einer Zusammenarbeit jemals enttäuscht worden?

Nein. Eigentlich suchen wir uns die Leute mit den wir arbeiten immer sehr gut aus. Für mich es zu risikoriech und oberflächlich sagen wir mit Lady Gaga zu arbeiten nur weil ich mag was sie macht. Zurück zu deiner Frage: Wir haben immer versucht solche Situationen der Enttäuschung zu vermeiden indem wir mit Menschen zusammenarbeiten von denen wir wissen, dass sie uns nicht fallen lassen.

Euer neues Album „Lawless Darkness“ ist ein sehr kraftvolles und variationsreiches Album wie ich denke. Vor allem der letzte Song „Waters Of Ain“ klingt wie nichts anderes was WATAIN zuvor gemacht hat. Wolltest du mit diesem Song einen neuen Weg einschlagen? Welche anderen Entwicklungen in eurer Musik sind denkbar?

Ich glaube darüber denken wir gar nicht so sehr nach. Wir planen nicht wirklich so weit voraus und das ist glaube ich der Grund, warum solche Dinge wie „Waters Of Ain“ zustande kommen können. Ich mag es in einer Art Vakuum zu arbeiten wo es keine Grenzen und Einschränkungen gibt, wo Dinge einfach so passieren. „Waters Of Ain“ wurde demnach aus reiner Kreativität heraus geschrieben, ohne irgendeine Form der Beeinflussung einfach direkt von hier (Beide Hände deuten auf Eriks Herz, Anm. d. V.). Ich hoffe einfach genau in dieser Form weitermachen zu können.

Um das Ganze abzuschließen hab ich noch ein paar Zitate vorbereitet, von denen ich gerne hätte, das du sie kommentierst.
„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“. Wenn du diese Handlungsanweisung von der anderen Seite betrachtest: Glaubst du die Welt wäre ein besserer Ort, wenn alle Menschen so handeln würden, wie du es machst?


Aus meiner Perspektive, natürlich! Aber gleichzeitig ist es so, und das ist meine Weltansicht und der Grund warum sich WATAIN anhört wie es sich anhört, dass wir immer eine oppositionelle Stellung einnehmen. Wir stehen sozusagen im Wiederspruch dazu, wie der Rest der Welt funktioniert. Um also zu dem Zitat zurückzukehren: In einer Welt, in der alle wie wir wären, gebe es nichts, dem man sich wiedersetzen müsste und so eine Welt ist in meiner Meinung nach unmöglich.

Falls es dich interessiert: Das war Immanuel Kants „Kategorischer Imperativ“. Das nächste Zitat lautet: „Alle menschlichen Handlungen sind äquivalent und im Prinzip zum Scheitern verurteilt“. Dies ist eine eher misanthropische Weltsicht. Kannst du zustimmen?

Nein, denn das würde die Möglichkeit von Transzendenz verneinen, was für mich ein sehr zentraler Aspekt der Existenz ist. Ich könnte dieses Zitat auf den größeren Teil der Menschheit anwenden aber weil ich einen spirituellen Glauben habe und es anerkenne, dass es größere Mächte gibt als mich selbst, bin ich daran gebunden zu glauben, dass es Handlungen gibt, die Transzendenz ermöglichen.

Das war Jean-Paul Sartre und was mich betrifft, ist das Interview fertig. Vielen Dank für deine informativen und aufschlussreichen Antworten! Hast du vielleicht noch letzte Worte an unsere Leser und eure Fans?

Naja, ich wollte nur noch anmerken, dass viele Leute eine Meinung über WATAIN haben die entweder in die eine, oder die andere Richtung gehen. Wenn sich diese Menschen etwas Zeit nehmen würden und Interviews wie diese hier lesen, dann wäre deren Meinung vielleicht etwas stichhaltiger und fundierter. Im Augenblick bilden sich die Menschen oft zu schnell eine Meinung über Dinge, mit denen sie sich zu wenig auskennen. Wenn man sich mit uns als Band beschäftigt sollte man aufgeschlossen sein, denn das ist erforderlich für das Verständnis von WATAIN.


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