17.12.2010 - 18.12.2010, Escape Metalcorner

RAPE THE ESCAPE Volume III

Veröffentlicht am 22.12.2010

TAG I Das RAPE THE ESCAPE hat 2008 erstmals die Möglichkeit geboten, sich aus dem Adventmorast zu befreien und in der Zeit der angeblichen Besinnlichkeit einmal richtig die Sau rauszulassen – „Vaginal Luftwaffe“ statt „Last Christmas“, Baby! Aus dem 2008er-Jahr ist mir vor allem der intensive BENIGHTED-Gig sehr gut in Erinnerung geblieben; die Franzosen sind auch dieses Wochenende wieder einer der wesentlichen Gründe für mich, in den Escapekeller abzutauchen. Schneestürme, Schlammwüsten, unangekündigte Überstunden und sehr sporadische Fahrzeiten der Wiener Linien sind die üblichen Fährnisse, mit denen der durchschnittliche Konzertbesucher dieser Tage konfrontiert ist. Zum üblichen Vorweihnachtsstress, der durch Kitsch und Konsumaufforderung an jeder Ecke noch unerträglicher wird, gesellt sich also auch noch ein richtiges Scheißwetter – mehr als genug Gründe, um sich wieder einmal richtig abzureagieren. Als ich also endlich im Keller meines Vertrauens angekommen bin, sind die genialen Deathgrinder DESICCATED (treue Leser werden sich erinnern, dass deren EP „Blastology“ bei uns Demo der Woche war) gerade dabei, den Anwesenden richtig einzuheizen. Eigentlich hätte bei den Jungs aus NÖ ja nach dem STP Metal Weekend Schluss sein sollen, fürs RTE hat’s dann offensichtlich doch wieder hingehauen – gut so! Danach ist Goregrind angesagt. TAXIDERMIST grooven nicht nur richtig geil, sondern sind für Grindcore-Begrifflichkeiten eine wahre Augenweide: nicht nur dass das KISS-Makeup und die Weihnachtsmannmützen im Kontrast zur Musik schon genial sind, auch Fronter Squirrel stellt im Vergleich zu Herrn General (g) und Goreacell Bunny (b) einen Spitzenkontrast dar. Ich sag‘ nur setz den Joker zwischen zweimal weißgeschminkten Hulk. Ein wirklich feiner Gig, der Lust auf mehr macht und das Publikum exzellent für die nächste Band aufwärmt. Die nicht kommt. Wie schon im Vorjahr hat das RAPE THE ESCAPE auch dieses Jahr mit zwei schmerzhaften Absagen zu kämpfen: Nicht nur, dass die legendären GUT als Co-Headliner aufgrund eines Unfalls im deutschen Autobahn-Schneechaos feststecken, auch SATANS REVENGE ON MANKIND sitzen in Prag fest und schaffen es nicht rechtzeitig nach Wien. Das ausgerechnet ein so fangerechtes und idealistisches Festl wie das RTE immer wieder mit dergleichen Problemen zu kämpfen hat, ist zwar schade, allerdings scheinen die schlechten Nachrichten dem Herrn Veranstalter wesentlich näher zu gehen als dem Großteil des Publikums. Die Stimmung bleibt ungetrübt, und um etwaigem Gemecker vorzubeugen, wird den Grindfans für den Heimweg ein gratis Jägermeister in Aussicht gestellt. Zeit für den Heimweg ist es aber noch länger nicht: SPASM springen ein und liefern eine Spitzenshow ab, die zumindest für mich einen absolut würdigen Ersatz für die Ausgefallenen darstellt. SPASM liefern nicht nur derbe Brutalität, Groove, Präzision und Pigsqueals ohne Ende, sondern auch einen unglaublichen Mosh-Faktor . Von der ersten Minute an geht es richtig zur Sache, was den Kuschelfaktor im rappelvollen Escape-Keller schlagartig terminiert. Die vordere Hälfte des Kellers wird, wie schon bei TAXIDERMIST zum Schlachtfeld der Extremsportler, der hintere Teil bleibt den Bangern vorbehalten. Auch die Bühnenoutfits von SPASM dürfen nicht unerwähnt bleiben: Die Tatsache, dass die Ganze Crew in kotzgrünen Borat-Tangas auf der Matte stand, dürfte niemanden, der Porngrind allgemein oder SPASM im speziellen kennt, schockieren. Dazu kommt aber, dass Sänger Radim aussieht wie eine 110kg-Version von Franz Fuchs – inklusive Nerdbrille und Pedo-Bärtchen. Auch wenn ich jetzt Augenkrebs habe und SPASM statt Gitarren lieber einen Bass verwenden (sind wohl zu faul die Gitarren runterzustimmen …) – geiler Gig! Und dann steht auch schon der Gig des heutigen Headliners an: die Porn-Großmeister ROMPEPROP. Zuerst gibt’s allerdings einmal einen ausgedehnten Soundcheck, der Pitchshifter wird justiert (der immerhin für das typische ROMPEPROP-Geblubber verantwortlich ist) und die ganze Welt geht sich gleichzeitig ein Bier holen. Als das Gemetzel schließlich seinen Anfang nimmt, vermisst man zunächst noch die Energie und den Enthusiasmus von SPASM. ROMPEPROP, heute aus Zeitgründen ohne Splatter-Makeup, machen ihre Sache gut und professionell, der Pit lebt wieder auf und wer noch keine Nackenzerrung hat, nimmt die Chance zum Headbangen wahr. Dennoch bleiben die Niederländer etwas auf Distanz und können im Endeffekt ihre spontan eingesprungenen Co-Headliner nicht toppen. Von einigen neueren Tracks bis hin zu Klassikern wie „Pelikanelul“ und „Dislocated Purple Stoma“ ist alles vertreten, und so sind alle zufrieden, als ROMPEPROP gegen halb eins die Segel streichen um sich ihrem Bier zu widmen. Wer noch kann, stürzt sich in die Vodka-Happy Hour, wer nicht mehr kann, stürzt zum nächsten Taxi, um den nötigen Schlaf für Tag 2 zu tanken.

TAG II Da am RTE täglich planmäßig acht Bands auftreten, ist der Einlass um 16:30 sicher berechtigt; wer um diese Zeit allerdings schon Lust bzw. die Möglichkeit hat, sich einen mehrstündigen Grindexzess hinzugeben, ist aber eine andere Frage. Als ich um viertel vor Sechs dann ankomme – für meine Verhältnisse immer noch keine Uhrzeit – habe ich die den Gerüchten zu Folge sehr talentierten CARNIVOR schon verpasst, und INNARDS INFECTION tun gerade ihr Bestes, die 20 Anwesenden zu animieren. Bei mir funktioniert’s nicht – uninspirierte Hooklines, nervige Breakdowns, 08/15 Deathcore. Was mich erstaunt, ist, dass Sänger Thor bei seiner Zweitband DESICCATED durch äußerst variablen Stimmeinsatz auffällt, von dem bei INNARDS INFECTION nichts zu merken ist. Wesentlich interessanter wird’s da schon bei den Lokalmatadoren von LOCRACY. Diese fallen nicht nur durch ihren relativ anspruchsvollen, abwechslungsreichen Brutal Death auf, sondern vor allem durch das erstaunliche Talent ihres Fronters Peter. Mutmaßungen aus dem Publikum zu Folge bestehen 80% seines Körpers aus Lunge – auch wenn eine professionelle Atemtechnik als Erklärung etwas naheliegender sein dürfte, derart intensive Stakkato-Growls dürfen schon mal für Verwunderung sorgen. Davon abgesehen hat man selten derart entspanntes Stageacting gesehen; gelegentlich entsteht eine richtig familiäre Proberaum-Atmosphäre. Lediglich der eine oder andere ruhigere Part steht den Jungs nicht so gut zu Gesicht, im Großen und Ganzen bieten LOCRACY aber eine wirklich unterhaltsame, tighte Show. Nachdem SPASM ja schon am Vorabend eingesprungen sind, werden diese nun von DISTASTE vertreten. DISTASTE spielen klassischen, ehrlichen und ziemlich rasanten Grindcore, bei dem einem schlagartig wieder einfällt, dass Grindcore ja ursprünglich aus dem Hardcore-Punk kommt (kann man ja leicht vergessen bei diversen Porn- und Gore-Absonderlichkeiten). Das Samstags-Publikum ist allerdings wesentlich Metal-lastiger als das vom Vortag, und die starke Punk-Schlagseite ist nicht jedermanns Sache. Dazu kommt, dass DISTASTE das ganze Konzert über mit Störgeräuschen zu kämpfen haben, und im Gegensatz zu den anderen Bands den Gig unbeworben und (fast) ohne Stammpublikum absolvieren müssen. Auch wenn das Publikum relativ verhalten reagiert, füllt sich der Keller nach und nach. DISTASTE beissen sich professionell durch und haben zumindest mit mir und dem besoffenen Typen in dem EXPLOITED-Shirt neue Fans gewonnen. Jetzt ist wieder Death Metal angesagt: PARENTAL ADVISORY, Flaggschiff und Urgestein der österreichischen Death Metal-Szene, zocken heute das letzte Konzert mit Schlagzeuger Tom, der noch auf der Bühne verabschiedet wird. Sein Nachfolger – das dauert jetzt wieder sechs Jahre, bis ich mir den Namen merke – übernimmt gleich und beweist während der letzten Songs, dass kein Niveauabfall im Lager P. A. zu erwarten ist. Keine Frage, nach 13 Jahren Underground weiß man, wie ein Gig aussehen muss, und dementsprechend hauen uns PARENTAL ADVISORY eine ordentliche Ladung Death der härteren Spielart um die Ohren. Da gibt’s einfach nichts zu jammern. Mit den BLOCKHEADS betreten nun Vertreter des klassischen Grindcore die altehrwürdige Escape-Bühne. Trotz erhöhtem Promillegehalt machen die Franzosen ordentlich Stimmung – spätestens jetzt ist der Keller richtig, richtig voll. Sänger Xavier Chevalier testet bei seinen Crowdsurfing-Versuchen nicht nur die Länge des Mikro-Kabels, sondern auch die Stabilität der Boxenaufhängung, die zum Glück für alle Beteiligten auch sein Gewicht trägt. Anscheinend haben die Underground-Helden bei ihrem Gig so viel Spaß, dass sie sich nach Ende ihrer regulären Spielzeit auch noch auf eine Diskussion über Zugaben einlassen. Doch es gibt kein Pardon – am Bühnenrand scharren schon die BENIGHTED-Roadies in den Startlöchern. Spätestens seit ihrem Hammerauftritt am RTE I hat sich die französische Deathgrind-Institution BENIGHTED in Österreich einen Namen gemacht. Mit ihrem jüngsten Wechsel von Osmose zu Seasons Of Mist dürfte ihr nächstes Album (März 2011) auch hierzulande ordentlich vertrieben werden, und diverse Underground-Schreiberlinge (ähem) prophezeien Julien & Co. schon seit „Insane Cephalic Production“ (2004) eine steile Karriere. Auch diesmal ist ab dem ersten Ton die Hölle lös. In der vorderen Kellerhälfte ist wieder Engtanzmassaker angesagt, und auch in den hinteren Reihen ist ein steiler Bewegungsanstieg zu verzeichnen. Der Überhit „Slut“, anno 2008 noch Zugabe, wird diesmal an den Anfang gestellt, die Setlist im Anschlusssetzt sich aus Songs von allen fünf Alben mit einem Schwerpunkt auf „Identisick“ zusammen. Fronter Julien hat aus vergangenen Erfahrungen gelernt und kracht beim Crowdsurfen nicht mehr gegen das Heizungsrohr an der Decke, auch der Rest der Band wirkt fit und sehr bei der Sache. Der Sound ist zwar nur gutes Mittelmaß, was aber der Stimmung um diese Uhrzeit keinen Abbruch mehr tut. Abgeschlossen wird das ansonsten mitreißende Konzert von einer äußerst unnötigen Wall of Death, auf die die meisten Anwesenden wahrscheinlich gerne verzichtet hätten (hat ja auch wenig Witz mit 1,5m Abstand zum Gegenüber). BENIGHTED räumen unter Zugaberufen das Feld, und machen Platz für die JAPANISCHEN KAMPFHÖRSPIELE. Diese freuen sich, dass sie einmal nicht an einem Rosenmontag in Wien spielen müssen, und beschließen, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Demnach muss man um Klassiker wie „Verpackt in Plastik“, „Abflussbestattung“ und „Zieh die Jacke falsch rum an“ nicht lange bitten, sondern kriegt sie inmitten einiger „Rauchen und Yoga“- bzw. „Bilder Fressen Strom“-Songs serviert. Wie nicht anders zu erwarten ist die Stimmung auch bei JaKa top, zusätzlich aufgewertet wird das Konzert dadurch, dass jene Leute, die die vorherigen drei Gigs mit Crowdsurfen (einmal zur Bar und zurück) verbracht haben, nun offensichtlich endgültig die Kraft ausgegangen ist. Das Duo Bony/Martin ist wie immer perfekt aufeinander eingespielt, auch der Rest spielt sich souverän durch das gegen Ende sehr abwechslungsreiche Set. Da der Sound nun glücklicherweise etwas besser ist, gehen auch die Details im JaKa-Sound nicht unter, und so sind eigentlich alle schon relativ zufrieden, als Bony nach einer knappen Stunde ankündigt, mittlerweile ziemlich k.o. zu sein. Die Versuche, sich vor der Zugabe zu drücken, sind an diesem Abend allerdings zum Scheitern verurteilt, also gibt’s noch zwei Nummern für die Hyperaktiven im Publikum. Das RTE ist zweifellos eine der angenehmsten Veranstaltungen im Metaljahr, vor allem zu dieser Jahreszeit. Preislich, Lineup-technisch und auch anderwertig ein echter Leckerbissen für alle, die es lieber ein bisschen derb haben, denen Weihnachten auf den Nerven geht und die ein bisschen den Underground feiern wollen. Dann bis nächstens!


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