06.08.2013, Poolbar

BAD RELIGION

Veröffentlicht am 10.08.2013

„Was Gott durch einen Berg getrennt hat, das soll der Mensch nicht wieder verbinden!“ So oder so ähnlich lautet ein beliebtes, wenn auch ketzerisches Sprichwort in Tirol in Bezug auf den Arlbergtunnel. Die Bekanntgabe, dass die Altmeister BAD RELIGION im Ländle spielen würden, machte allerdings umgehend klar, dass obiges Sprichwort mal eben vom Tisch gewischt wird und sich der gemeine Tiroler - hier in Person des Stormbringer-Berichterstatters - in Richtung Vorarlberg in Bewegung setzen würde, um von diesem tollen Konzert, das im Rahmen des Poolbar-Festivals in Feldkirch (das heuer u.a. auch noch RED FANG, VISTA CHINO, TOCOTRONIC oder MONSTER MAGNET bereithielt) stattfinden würde. Das Poolbar-Festival ist eine seit Jahren gepflegte Konzertreihe, die mit dem Szene Open Air in Lustenau im kleineren, aber pipifeinen Rahmen absolute Topstars und Qualität bietet. Gemeinsam mit den Fixinstitutionen wie etwa dem Conrad Sohm, dem Cafe Schlachthaus in Dornbirn (größere Acts treten im Eventcenter Hohenems auf) oder auch dem im nahen Lindau ansässigen Club Vaudeville darf von einer recht vitalen Musikszene ausgegangen werden, die auch ein breitgefächertes Hartwurstprogramm von CANNIBAL CORPSE bis VOLBEAT ins Ländle lockt(e). Die Poolbar an sich ist – nomen est omen – ein ehemaliges Hallenbad, welches umgebaut nun als Veranstaltungszentrum dient. Doch bevor der heutige Hauptact der proppevollen und ausverkauften Halle (über 1.000 Zuschauer) eine Lektion in Sachen Punkrock erteilen durfte, sorgten noch die Österreicher DEE CRACKS für eine amtliche Aufwärmbeschallung.



DEE CRACKS

Das Trio hatte auch schon im heimischen Innsbruck gastiert, daran konnte ich mich noch dunkel erinnern. Die seit rund einer Dekade im Biz herumgeisternden Kärtner ergriffen ihre Chance im Vorprogramm der Legenden BAD RELIGION, nützten die Offenheit der auf Punkrock gepolten Ohren der anwesenden Fanmeute schamlos für ihre Zwecke aus und überzeugten die um 20:30 Uhr schon zahlreich Anwesenden mit einem fix heruntergezockten 45-Minuten-Set, das nur so vollgepackt mit lässigen Melodien war und entfesselten ein auf den Punkt gespieltes Drei-Akkorde-Inferno. Es punk-rockte und rollte an allen Ecken und Kanten, die nötige Portion Rotz und jugendliche Unbek ümmertheit brachte die Truppe auch mit, dazu gesellte sich noch das feine Gespür für kompakte Songs, denen fast nicht ausgewichen werden kann. In RAMONES-Manier legten die Drei dank ihrer publikumsnahen und genremäßig amtlich abgerockten Performance eine reife und ambitionierte Leistung auf die Poolbarbretter. Obwohl die meisten der Anwesenden wohl weder mit der Band noch mit dem Songmaterial vertraut waren, konnte man umgehend in die flockigen Melodien miteinstimmen. Die Jungs, welche alle drei – inkl. Drummer – das Mikro bedienten, hatten nicht nur ihren Job gut gemacht und das Publikum auf die nötige musikalische Betriebstemperatur gebracht, auch die Celsiusgrade in der Halle hatten inzwischen ansprechend hohe Ausmaße erreicht, obwohl diese noch nicht voll war.



BAD RELIGION

Pünktlich um 21:45 Uhr bekam ich umgehend einen Backflash ins Jahr 1995, als mich BAD RELIGION auf dem Rock Im Park-Open Air schlichtweg umhauten und jene laue Juninacht unvergesslich machten, die wohligen Gedanken milderten die Erinnerungen an den Kälte-Schock und das Bibbern beim winterlichen Air&Style-Gastspiel im heimischen Innsbruck mit FAITH NO MORE im Berg Isel-Stadion zwei Jahre darauf. Ja, genau, das waren noch die Hochzeiten, als die hippe Snowboardszene noch fest in der Hand von ROCK und Crossover-Metallern wie etwa CLAWFINGER war und der Hip Hop oder Rap erst zaghaft (CYPRESS HILL) seinen Szene-Siegeszug antreten sollte. Aber ich schweife ab… schließlich waren über 30 Jahre Sozial- und Gesellschaftskritik in Gestalt von BAD RELIGION zu feiern. Zudem galt es, die neuen Titel vom “True North“ in den Gesamtkontext einzufügen. Und genau ein Song von diesem bärenstarken Album, nämlich „Past Is Dead“, durfte den heutigen Abend einläuten. Was sich schon auf CD abzeichnete, bewahrheitete sich auch Live, die gezählten acht Songs von “True North“ wurden gezockt und passten sich auch auf der Bühne bestens in die insgesamt toll geratene Setlist ein und vermochten sogar viele der langgedienten anderen Songs einzustecken. Vom Titelsong und „Dharma And The Bomb“ bis hin zum plakativen „Fuck You“, dem ich mich, an den einen oder anderen gerichtet, vollinhaltlich anschließen kann, war den MelodicPunkern auch nach über 30 Jahren im Business ein echter Geniestreich gelungen, der die Band immer noch in der Blüte ihres Schaffens präsentiert, einzig "Nothing To Dismay” hätt ich noch gern vom neuen Album gehört. BAD RELIGION wurden ihren geistigen und ethischen Ansprüchen gerecht und fütterten die Hirne ihrer Fanscharen auch am heutigen Abend unvermindert mit geistiger Nahrung, indem soziale Mißstände angeprangert wurden und Zusammenhänge erklärt wurden sowie philosophische und kritische Kommentare gegen Religionshörigkeit und Politik pointiert und zielgerichtet, wenn auch gekonnt und fein in den Texten verpackt, abgefeuert wurden. Ähnlich wie etwa bei RAGE AGAINST THE MACHINE also Rock with an Attitude! Doch auch für das Feeling und für das Auge der schön langsam immer schweißgebadeteren Fans war so einiges geboten. Das Best-Of-Programm, die mit viel Spirit und auch Spritzigkeit ausgestattete Show, war vollgepackt mit einprägsamen Melodien, zwingenden Refrains und einer gehörigen Portion Attitüde.

Sänger Greg Graffin hätte abseits der üblichen „Neues Album bla bla“, „Rockstarexzess und Alkoholvernichtung“ und „Härteste Band der Welt“-Klischees wohl wirklich was Interessantes zu erzählen. Der sich im Zivilleben als Biologe verdingende Amerikaner wirkte in seinem Poloshirt dann doch ein wenig spießig, dennoch…BAD RELIGION dürfen das, Credibility und Glaubwürdigkeit hat sich Band über die Jahrzehnte von den miefigen Kellerpunk-Anfängen bis auf die großen Festivalbühnen des Globus redlich und mühsam erarbeitet. Gitarrero Brian Baker fetzte frisch und unbekümmert durch das Set während sein Counterpart, Gitarrist Greg Hetson, doch recht eintönig auf seinem Kaugummi kaute und mit seiner Brille und seinem Habitus einen gelangweilten und introvertierten, ja komisch-verschrobenen Eindruck vermittelte. Klarerweise war die Performance doch um einiges statischer und auch weniger Credibility-triefend als in früheren Jahren, jünger und stürmischer werden auch Punkrocklegenden nicht mit zunehmendem Alter, eine gewisse Reife, Erwachsenheit und Abgeklärtheit sei den Punkrock-„Väter“ einfach gegönnt. BAD RELIGION sind in Würde gereift, der Begriff „gealtert“ würde der immer noch ansprechenden Liveleistung nicht gerecht werden. Wen wundert es also, dass auch der jüngste Bandzugang, Drummer Brooks Wackerman auch eher zur „Brave-Buben-Fraktion“ gehört. Einzig Basser Jay Bentley versprühte ein wenig raueres Flair und sorgte auch sonst für amtliche Rock n´ Roll-Akzente, bewegte sich recht viel und lieferte wie etwa bei „New Dark Ages“ gemeinsam mit Sechssaiter Brian die bandtypischen Backingvocals. Warum Epitaph Label-Chef Brett Gurewitz am heutigen Tage nicht dabei war, ist unbekannt. Dennoch rappelte es ordentlich im Karton, flott und knackig fegten die hochmelodiösen und packenden Nummern über die Tausendschaft an Fans hinweg, die das Set mit zünftigem, oft frenetischem Jubel quittierten. Und die Band kam auch immer mehr auf Touren, schön warm gespielt konnte ein immer höher werdendes Energie- und Intensitätslevel festgestellt werden. Die Songauswahl war schön ausgewogen geraten, herrlich durchmischt (fast alle Alben wurden abgedeckt, was keineswegs selbstverständlich ist!) und über die ganze Karriere verteilt ausgewählt, was bei der umfangreichen Discographie der Kalifornier wahrlich kein leichtes Unterfangen gewesen sein dürfte! Zu neueren Killertracks wie „New Dark Ages“ und zu Uraltnummern wie „Suffer“ gesellten sich echte Hits wie „Punk Rock Song“ (der die Party vollends zum Kochen brachte) oder das allseits bekannte „21st Century (Digital Boy)“ sowie persönliche Highlights wie „American Jesus“, „No Control“, „I Want To Conquer The World“, „Generator“ oder „Land Of Endless Greed“ – es waren keine Ausfälle zu verzeichnen. Und auch die in überschaubarer Anzahl angereisten Tiroler zeigten den Vorarlbergern wie eine Punkrockparty aussehen kann. INSANITY ALERT – Rampensau Kevin Stout etwa setzte zum Crowdsurfing an, während der von Greg Graffin interviewte „Tom from Tyrol“ in der ersten Reihe dem immer wieder in seinem Rücken wütenden Moshpit widerstand.

Alben wie „Suffer“, „No Control“ & Co waren Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre schier essentiell und auch die Rolle eines gewissen Mille (KREATOR) darf in Bezug auf die Einführung des Bandnamens in die härtere Musikszene nicht unterschätzt werden. Durch das Tragen des „Crossbusters“-Motivs dürften etliche Metalhörer (so auch der Verfasser dieser Zeilen) auf die Band aufmerksam geworden sein, ansonsten berufen sich Legionen von Megasellern wie THE OFFSPRING, GREEN DAY oder auch die DIE TOTEN HOSEN auf die Mitbegründer des Genres und geben offen deren Einfluß und Inspiration preis. BAD RELIGION setzten ihren Triumphzug nach dem offiziellen Setende („Sorrow“) nach einer kurzen Verschnaufpause mit dem geilen „Fuck Armageddon...This Is Hell“ fort, auf das superschnelle „Vanity“ folgte das bekannte „Infected“ bevor schließlich das neue „Dept. Of False Hope“ das endgültige Setende einer – in Bezug auf die Saunatemperaturen in der Halle – im doppelten Sinne schweißtreibenden Show (die temperaturmäßig nur noch von der tags darauf in Kufstein stattfindenden ANTHRAX-Show überboten werden sollte, dazu mehr an anderer Stelle) bildete. Danach waren die exakt 90 Minuten Punkrockgeschichte, die in Feldkirch auf der Bühne stattfanden, leider wieder Geschichte. BAD RELIGION gehören auf die ganz großen Bühnen dieser Punkrockwelt, dennoch war es eine Wonne, die ungekrönten Oberhäupter des Punkrockgenres in derart intimer und überschaubaren Atmosphäre erleben zu dürfen. Auf eine baldige Rückkehr ins Ländle zur Berichterstattung von weiteren tollen Konzerthighlights darf gehofft werden!

Setlist:

1. Past Is Dead 2. We're Only Gonna Die 3. New Dark Ages 4. True North 5. Anesthesia 6. Generator 7. I Want To Conquer The World 8. 21st Century (Digital Boy) 9. Sinister Rouge 10. Fuck You 11. Dharma And The Bomb 12. Recipe For Hate 13. Suffer 14. Land Of Endless Greed 15. Sanity 16. You 17. Do What You Want 18. No Direction 19. Beyond Electric Dreams 20. Submission Complete 21. Come Join Us 22. Robin Hood In Reverse 23. No Control 24. Punk Rock Song 25. American Jesus 26. Sorrow - 27. Fuck Armageddon... This Is Hell 28. Vanity 29. Infected 30. Dept. Of False Hope Alle Pics: "Matthias Rhomberg I rhomberg.cc" (THX!)


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