11.08.2015, Rockhouse-Bar, Salzburg

ZOLLE

Veröffentlicht am 14.08.2015

Dienstag, 11. August 2015 - in Salzburg ist die Schallmooser Hauptstraße bereits seit den frühen Morgenstunden gesperrt, da das Event des Jahres ansteht. Es ist Festspielzeit in der Mozartstadt und das Rockhouse hat den Roten Teppich ausgerollt, um die anrückenden Weltstars gebührend empfangen zu können. Das eigens angemietete Kammerorchester spielt im Foyer eine sanfte Weise für die mit großen Stretch-Limousinen ankommenden Stars und ein Geschwader aus Goldhaubenfrauen flankiert die eintreffende Elite der klassischen Musik. Hinter den Absperrgittern, in Schach gehalten von einer ganzen Armee an livrierten Securitys, drängt sich das Fußvolk und versucht ein Foto, ein Autogramm oder einfach nur einen kurzen Blick auf einen der großen anwesenden Namen zu erhaschen. Wer es geschafft hat ein hochpreisiges Ticket für diesen außergewöhnlichen Abend zu ergattern, darf sich im Glanz der Stars auf dem Roten Teppich sonnen und sich selbst für einen kurzen Moment wie ein ruhmreicher Weltstar fühlen, wenn er durchs Blitzlichtgewitter der zahllosen anwesenden Fotografen schreitet. Die Spannung steigt, Limousine um Limousine spuckt Stars und Sternchen aus, ehe endlich der größte Name des Abends die Aufmerksamkeit für sich beansprucht. Hufgeklapper kündigt die Ankunft des Weltstars an, der stilecht im Fiaker zum großen Empfang anreist. Langsam biegt die Kutsche unter dem frenetischen Jubel der Anwesenden und dem Stakkato der Fotografenblitze in die Auffahrt zum Rockhouse, und... Schnitt! Ich wache schweißgebadet aus meinem Albtraum auf. Nein, kein Gipfeltreffen von Kultur und Anspruch aufgeblähter Schreihälse aus dem Bereich der klassischen Musik, denen astronomische Summen an Förderung in die unersättlichen Hälse gestopft werden findet heute im Rockhouse statt. Die Bastion der erdigen, handgemachten Musik hat sich noch nicht von der gestylten Schickeria, die sich nur wenige Kilometer entfernt in der Innenstadt herumtreibt kaufen lassen und spielt nach wie vor die Musik, die sie im Namen trägt - Rock. Ultra Heavy Rock, den die Italiener von ZOLLE an diesem Abend laut Eigendefinition in die Rockhouse-Bar bringen. "Don't Call It Sludge!" geben mir die zwei Herren in verstümmeltem Englisch zu verstehen - ehrlich gesagt, da mir das Genre an sich fremd ist, ist es mir auch vollkommen egal wie man es nun bezeichnen mag. Und damit schlagen wir nun einen Bogen zurück zu der Einleitung des Berichtes - denn dieser Albtraum könnte in Kürze schon zur bitteren Realität werden. Verstaubte Kompositionen längst verstorbener Meister, vorgetragen von steifen Menschen und gehört von Personen mit leerem Gesicht und langweiligen Anzügen - keine Gruppen aus langhaarigen Bombenlegern, die wie Berserker ihre Instrumente bearbeiten und keine Scharen an fantasievoll schwarz gekleideten Personen (tarnfarben und rosa sind ebenfalls erlaubt), die im Takt der Musik ihr teils imposantes Haupthaar schütteln. Eine utopisch-pessimistische Vision eines ewigen Schwarzsehers? Mitnichten. Der unfassbare Besucherandrang von 10 (in Worten: ZEHN!) Personen bei ZOLLE könnte schon bald dafür sorgen, dass diese düstere Zukunftsvision Wirklichkeit werden könnte.

 

An der Band kann es nicht gelegen haben, dass sich an diesem Abend kaum jemand ins Rockhouse verirrte. Am im untersten Preissegment angesiedelten Eintritt ebenfalls nicht. Auch der Ausfall von SAVANAH aus Graz, die eigentlich den Support stellen sollten, aber aufgrund kaputten fahrbaren Untersatzes absagen mussten, dürfte nicht für den Totalausfall des Publikums verantwortlich gewesen sein. Doch halt - Totalausfall? Es waren vielleicht kaum Leute anwesend, aber das anwesende kümmerliche Häufchen machte dafür Bombenstimmung. Viel Anteil daran hatte die mitreißende Performance von ZOLLE, die als Two-Man-Project eine One-Band-Show abzogen. Ein Schlagzeug und eine Gitarre erzeugten hierbei eine dermaßen fette Soundwand in der Bar, die man teilweise nicht einmal bei einer voll besetzten Band zu hören bekam. Gitarrist Marcello ging in der Musik komplett auf und schrubberte sich auf seiner Sechssaitigen von Riff zu Riff, während Drummer Stefano wie ein Berserker hinter seinem Drumkit wütete. Mit komplett irrem Blick und entfesselter Performance (selten so einen abgedreht zappelnden Schlagzeuger gesehen!) erinnerte der langhaarige, bärtige Italiener an eine direkt der Muppet-Show entsprungene Real-Live-Version von Animal, bloß das Halsband vermisste man hier schmerzlich.

Was genau gespielt wurde war eigentlich nebensächlich - bisweilen hatte man das Gefühl, dasselbe Riff in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Abwandlungen gleich des öfteren serviert zu bekommen und auch so mancher Melodiebogen kam einem bekannt vor, aber dafür stimmte der Entertainmentfaktor. Und zwar sowas von. ZOLLE pendelten irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn, zwischen erdiger Musik und abgedrehter Kunst, und zogen die wenigen anwesenden Besucher vollkommen in ihren Bann. Da wurde zwischendurch mystisch sachte auf einem Xylophon herumgeklöppelt, ehe das Instrument aus dem Nichts durch brachiale Verwendung des Schlegels beinahe zerdeppert wurde. Selbst vor Aktionskunst mitten im Gig scheuten die Italiener nicht zurück - so wurde zur Überraschung aller auf einmal eine Picknickdecke vor der Bühne ausgebreitet, das Publikum dazu eingeladen mit Besteck auf Porzellanschüsseln einzudreschen, um das Geschirr hernach zur Aggressionsbewältigung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu zerdeppern. Nach der Aktion blieben einige Scherben auf dem Boden vor der Bühne zurück, die Band stieß mit dem Publikum an und begab sich zurück auf die Bretter, wo sie weiter abrockte. Der Applaus nach der ultra-energetischen Performance der zwei Italiener war für das anwesende Häufchen an Besuchern wirklich enorm - man hätte meinen können, es wären weit mehr als ein Dutzend Personen in der Bar zugegen gewesen. Die Anwesenden forderten hartnäckig eine Zugabe von ZOLLE - für die sich die zwei Musiker tatsächlich noch einmal auf die Bühne begaben und dem Publikumshäufchen einen weiteren Song ins Gesicht bliesen, ehe sie sich unter lautem Jubel endgültig zurückzogen.

Was. Zur. Hölle. Was ist da gerade passiert? Eine absolut abgedrehte Band mit Affinität zu Schweinefleisch (dreimal dürft ihr raten, was der Titel ihres aktuellen Albums "Porkestra" bedeutet, und warum die Anfangssilbe des Titels in jedem Liedtitel vorkommt...) spielt vor gerade einmal zehn Besuchern und die Musiker gehen auf der Bühne ab, dass man das Gefühl hat, sie spielen vor Hunderten. Und das so kümmerliche Zuschauerhäufchen dreht zu den schrägen Klängen komplett ab und brüllt nach einer Zugabe als ob die Bar proppenvoll wäre! Wahnsinn was ZOLLE da abgeliefert haben - komplett bescheuert, einfach genial. Und jeder der nicht dabeigewesen ist hat verpasst, wie eine Band nur durch Spielfreude und Interaktion mit dem Publikum selbst vor einer Handvoll Besucher eine Stimmung kreierte, wie man sie selbst bei einer vollen Halle selten sieht. Und wisst ihr was? Trotz des katastrophalen Besucheraufkommens rannten ZOLLE nicht mit einem Gesicht wie sieben Tage Regenwetter herum und ärgerten sich über die Leute, die nicht da waren, sondern strahlten, lachten und freuten sich über jede einzelne Person die gekommen war und mit ihnen abrockte. DAS meine Freunde, ist wahrer Rock'n'Roll. DAS sollt ihr unterstützen und nicht nur zum X-ten Mal zu den großen Namen laufen, die mehr als das Zehnfache an Eintrittsgeld verlangen. Und wisst ihr was? Genauso wie fast alle an diesem Abend habe ich den zwei sympathischen Italienern auch eine CD abgekauft - weil sie einfach geil waren. Punkt. Und wer's verpasst hat, ist jetzt einfach selber schuld.

Dio porko! Merda! Musste jetzt einfach noch gesagt werden.


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