08.10.2015, Escape Metalcorner, Wien

Der deutsche Panzer NEGATOR auf LEX TALIONIS-Feldzug

Veröffentlicht am 13.10.2015

Auge um Auge, Zahn um Zahn – die Lex Talionis ist die Vergeltung von Gleichem mit Gleichen. „Kommt ihr aber ein Schade daraus, so soll er lassen Seele um Seele, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brand um Brand, Wunde um Wunde, Beule um Beule“, heißt es im 2. Buch Mose – und ist im Grunde die Umlegung eines Rechtsprinzips aus dem Orient, nachzulesen im Codex Hammurapi. Allerdings ist die Interpretation heute etwas irreführend: Entgegen der allgemein verbreiteten Ansicht geht es bei dem biblischen Gebot der Anfangszeit Israels nicht um Rache, sondern vielmehr um Schutz sowohl des Geschädigten als auch des Täters. Denn: In einer Zeit, wo die „Rache“ keine Grenzen kannte, ist die Lex Talionis eigentlich eine Eindämmung, indem sie vorgibt, dass der Täter seine Tat höchstens durch Erleiden des gleichen Übels sühnen muss, dass er dem anderen zugefügt hat.

Unter jenem Banner des „Vergeltungsschlages“ steht auch die aktuelle Tour der norddeutschen Panzerstaffel NEGATOR, im Fahrtwind ASPHAGOR und EÏS hintennach bretternd, auf dass kein Gänseblümchen mehr steht. Allerdings, welche Schuld man sich auch aufgeladen hat: die Sühne mit den eröffnenden oberösterreichischen WEGTAM, dem nordischen Wandersmann, war dann doch gar harsch. Merke: Stadiongesten machen Sinn im Stadion, BRUCE SPRINGSTEEN darf sowas, oder auch BON JOVI und NICKELBACK. Da darf man dann auch im landläufigen Sinne „rocken“, so wie ALKBOTTLE den ESC – das Umfeld macht’s aus. Und geklatscht wird bitte bei PUR oder beim Kasperl in der Urania, nicht bei einem halbgaren VARG-Verschnitt, der sicherheitshalber mit der Fanbase von daham angereist kam. VARG, immerhin Vorreiter in dieser seltsamen Sparte des volltrunkenen Humppa-Black-Metals, fabrizieren ohnehin bereits einen Niveaulimbo, wie es Kollege Alex kürzlich auf den Punkt brachte – da braucht es wahrlich keine Happy-Meal-Variante davon.

Da schon lieber, sich von ASPHAGOR übers Knie legen lassen! Flankiert von schmuddeligen Fetzenbannern mit allerlei magischen Zeichen und dem von BOLT THROWER bestens bekannten Chaosstern enterten die Tiroler Unterländer hierauf die Bühne – mit im Gepäck ein schwer magersüchtiges Groupie, das bis auf die Knochen abgemagert zudem auch noch vom Mikroständer penetriert wurde – immerhin aber sonst wenig zu sagen hatte. Die Artikulation übernahm demnach, überaus gekonnt, Fronter Morgoth, der ein klein wenig an Dead (un)selig erinnerte und nach kurzem Maschinengewehrgeknatter seine Bataillon querfeldein jagte. Klingt natürlich gewaltig nach „Panzerdivision“, allerdings mit starker „Freezing Moon“-Schlagseite, ein überaus patriotisches Amazon.at würde wohl titeln: „Kunden, die GROTESKH kauften, kauften auch ASPHAGOR.“
Black Metal teilt sich ja bekanntlich, wie jede andere Sparte auch, in Künstler mit Daseinsberechtigung und in jene ohne. Gern wird dann von jenen mit Minderbemittelung versucht, mit überdramatischer Theatralik aus dem verdienten Off ins düstere Licht zu rücken – bei ASPHAGOR jedoch greifen musikalischer Wert und – neudeutsch – die „Appearance“ durchaus wie Zahnräder ineinander, ist das eine der Mehrwert vom andern. Gleich ob „Rebirth“, „Havoc“ oder „Katharsis“: Da mag Edgar Allan Poes Rabe noch so oft „Nevermore!“ krächzen – Morgoth rotzt ihm schließlich doch nur feist ins Gefriss. Drehte ROB ZOMBIE einen Film über Nekrophilie, die Tiroler stellten den perfekten Soundtrack – und wirken, nicht allein ob der zahlreichen, überdimensionalen rostigen Schlüssel, die Morgoth am Gürtel baumeln hat, wie kafkaeske Türhüter, allerdings nicht zum Gesetz, sondern zum Anti-Gesetz. Jedes Mal, wenn eine Black-Metal-Band mit derartigem Wumms auftritt, stirbt zwar kein Einhorn – wie Kollege Laichster nur allzu gern frohlockt – dafür aber eine über ihr Hoest-Stickeralbum gebeugte obertrve Pseudogöre: „Bring out the dead, ding-dong ding-dong!“ Mit ihren hymnischen Dissonanzen und allerlei flirrenden Zwischentönen – nebst einer gar tighten Rhythmusfraktion – wirkten die fünf Herren wie ein griesgrämiger Pesthauch, der durch irgendeine norwegische Kirke fährt und – dialektbedingt – zündelt, „Black Metal is krk.“ Und wenn dann selbst noch eingestreute Lacher klingen wie jene von Violator aus den Spawn-Comics, dann weiß jeder halbwegs vernünftige Mensch, dass die Kacke ohnehin gewaltig am Dampfen ist …

Nach der Sauna sollst du dich im Schnee wälzen, oder gleich ins eisige Nass tauchen! Da ist’s auch durchaus naheliegend, direkt aus der Hölle hinein in kristallene Eiswelten zu fahren – hoffentlich birst das Gebein nicht. EÏS – die ehemaligen GEÏST – aus Nordrhein-Westfalen läuteten optisch jedoch vielmehr den Herbst ein, war man immerhin in braune Cordhosen gekleidet und trug ein Gilet mit Laubwerk: „Wo der goldene Herbst im mondbegossener Ferne für uns dämmert“, stand am Banner geschrieben, der die Keys flankierte – die an diesem Abend jedoch aus blieben, Roland XP50 war abgeraucht. „Scheiß drauf, es ist Black Metal!“ reüssierte Fronter Alboin und kickte mit seinem Fuß eine Kastanie voran. Zugegeben, der zuvor angesprochene trve Kern der Black-Metal-„Elite“ mag bei deutschem Post-Black-Metal mit massiven Kullertränen und weinerlichen Aufschlitzereien (#thraenenkind) reagieren, aber nicht erst dem aktuellen Album „Bannstein“ muss man – trotz der namentlichen Ähnlichkeit zum grauslichen „Eckstein“ – Qualitäten attestieren. Kantig, mit zahlreichen getragenen Passagen, durchaus vernünftigen deutschen Texten, und filigranen Strukturen, bei denen man ängstelt, sie stünden kurz vorm Bersten, wirkt man – wie Alboin kürzlich im Gespräch mit Kollegen Staub bestätigte – abwechslungsreicher als je zuvor, live – vermutlich auch bedingt durch die instrumentelle Reduktion – herrlich roh, evozierte an gewissen Ecken und Enden einen Hauch von BURZUM, während gerade neue Stücke wie „Über den Bannstein“ eine gigantische Atmosphäre auffahren, ARCTURUS lässt tatsächlich grüßen, Kollege! Da tut es dann fast ein bisserl weh, wenn sich angetrunkene Vollspasten zu humorigen Wünschen nach einem „Eis am Stiel“ bemüßigt fühlen.

Schließlich galoppierten zum Abschluss NEGATOR mit ihren satanischen Fersen über die Bühne wie die aufgestachelten Vollblüter der Apokalypse, über ihnen der Himmel in Drommetenrot getaucht. Zugegeben, eine Wahl der „albernsten Pseudonyme“ würde man spielerisch gewinnen, und auch das Corpsepaint machte eher an einen misslungenen Versuch von Höhlenmalerei denken – dafür weiß spätestens das aktuelle Album „Gates To The Pantheon“ mit einer gekonnten Symbiose aus DARK FUNERAL und BEHEMOTH zu überzeugen; Kein Wunder, dass Sänger Nachtgarm (*kicher*) demnach auch zumindest kurzzeitig bei den zuvor genannten Schweden geifern durfte. Selbiger erinnert nicht selten in Punkto Präsenz an HORNAs Spellgoth, wirkt wie ein klaustrophobischer Irrer in der Gummizelle, der zu einem meditativen Blutsritual läutet. Mit jenseitigem Blick und abgehackten Gesten führt er manisch getrieben durch einen Malstrom, züngelt nicht ungern lispelnd wie Nagini in „Harry Potter“, während die Band dem Titel ihres Drittlings, „Panzer Metal“, gerecht wird und querbeet prescht, als gelte es, nebst den zuvor genannten Referenzen auch gleich noch DISSECTION und DEICIDE einzuholen. Dass dieser ehrbare Versuch misslingt, versteht sich von selbst, muss aber mit Anerkennung bedacht werden. NEGATOR wirken, gerade leibhaftig, wie eine archaische Pumpe, die dir eine Nadel in die Venen rammt und das Blut bis zum letzten Tropfen abzieht – schließlich braucht dies das Quintett selbst, um die Zornesfalten auf der Stirn zu stählen. Verwunderlich nur, dass das pumpende Testosteron der Beelzebuben irgendwie nicht auf das Publikum überschwappen wollte.

Gegen Mitternacht war dann schließlich Schicht im Schacht, auch Infanteristen müssen einmal schlafen gehen. Auch, ja, gerade wenn sie auf Vergeltung aus sind: "Oh bliss and heaven!"

 

Bilder wurden freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Martin Reznik. Die volle Galerie findet ihr hier.


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