18.03.2016, Arena, Wien

REFUSED

Veröffentlicht am 23.03.2016

Punk ist politisch. Der heutige Abend hat deshalb nicht nur haufenweise Musik zu bieten, sondern auch eine konkrete Message. Gleich drei Bands präsentieren sich von ihrer rebellischsten Seite, um zu zeigen, dass Musik auch in Zeiten des Ich-Hypes und Ego-Kults noch als soziales Schmiermittel gegen das Establishment wirken kann.

Die PETROL GIRLS starten kopfüber in ein ungestümes Set voller Parolen, Aufmüpfigkeit und Unzufriedenheit. Gut so, denn ohne eine ordentliche Portion Frust und Aggression lässt sich dieser Fem-Punk eh nicht glaubwürdig rüberbringen. Der Londoner Vierer beweist Durchhaltevermögen bis zuletzt und macht nicht trotz, sondern gerade wegen der kleinen musikalischen Ungereimtheiten besonders viel Spaß.

Kurz danach betritt auch schon die sympathische blonde Gitarristin SAFI die Bühne und begrüßt das neugierige Publikum im schönsten Norddeutsch. Gespielt wird rauer Rock mit frechem Gesang, der sich irgendwo zwischen Noise und Diskursrock einordnen lässt. Livelooping, Taktwechsel und ungewohnte Melodien bestimmten das knappe Set und mit Textstellen wie „Wir lügen uns die Augen leer und bluten Versprechen aus“ wird man auch noch zum Mitdenken angeregt. SAFI ist dort, wo Ja Panik! schon lange hin wollen und von wo sich Tocotronic viel zu früh entfernt haben. Großartige Performance mit jede Menge Food-for-Thought.

Nach einer halben Stunde nervenaufreibender Rückkoppelung und grellem Gegenlicht in der Konzerthalle geben sich REFUSED endlich die Ehre. Sänger Dennis Lyxzén stürmt das Parkett, schnappt sich den Mikroständer und genießt sofort vollste Aufmerksamkeit. Die Präzision, Energie und Dedication der Schweden ist ansteckend und sucht live als auch auf Platte ihresgleichen.

Aufgewachsen im nördlichen Umeå und sozialisiert im Schweden der 90er, entwickelten vier Jungs mit Seitenscheitel auf „Shape Of Punk To Come“ (1998) eine links-linke Streitschrift, welche ob ihrer Aufmüpfigkeit und Eingängigkeit weite Kreise zog. Was darauf folgte, war leider nicht der versprochene Punk, sondern der traurige und unangenehme Split der Band. Erst 2012 fanden die Schweden wieder einen gemeinsamen Nenner und ließen REFUSED wieder auferleben, denn Kapitalismuskritik nimmt man in Zeiten wie diesen doch lieber selbst in die Hand.

Die ausgeklügelte Setlist liefert nicht nur das Feinste vom jüngsten Release „Freedom“ (2015), sondern lässt auch Perlen aus der Vergangenheit wieder auferstehen. "Rather Be Dead" oder "Deadly Rhythm" erscheinen so im neuen Gewand und wissen auch heute noch die Gemüter zu erregen. Wie ein Jo-Jo schleudert Dennis immer wieder das Mikro in die Luft, hängt es sich um den Hals und fängt es gekonnt auf, um rechtzeitig Refrains, die wie Parolen daherkommen, reinzukreischen. Beim religionskritischen „Dawkins Christ“ kniet er sich ins Publikum und lässt sich demonstrativ auf Händen tragen, und als die Saitenfraktion den wohlbekannten Riff zu SLAYERs „Raining Blood“ anklingen lässt, zieht er diesen mit laszivem Hüftschwung wunderbar subtil durch den Kakao. Ganz großes Kino!

Soviel Augenzwinkern die Show auch verträgt, REFUSED nehmen ihre Rolle als sozialkritische Punkband dennoch todernst und nutzen die Stagetime, um auf aktuelle Fehlleistungen aufmerksam zu machen. So wird PATTI SMITH zur Forderung des Rock n´ Roll zitiert, das Patriachat angeprangert („Kill the cock within you!“) und mit dem Song „366“ wird schließlich auf den miserablen Umgang mit Refugees und die andauernde Katastrophe aufmerksam gemacht. Das Engagement erntet Beifall und die Stimmung wird trotz weltpolitischer Themen zunehmend ausgelassener. Beim Encore „New Noise“ schütteln dann auch die letzten Verweigerer ihr Haupthaar, während sich der friedliche Mosh auf gut zwei Drittel des Saals ausdehnt.

Wer Punk als Kunst und Kunst als Politik versteht, wird REFUSED als Sprachrohrs einer unzufriedenen Linken anerkennen. Eine Generation „Mir-Doch-Wurscht“ wird sich zwar auch durch ein bisschen Punk nicht zum weltpolitischen Diskurs hinreißen lassen, musikalisch und inhaltlich wertvoll verbracht waren die heutigen Stunden in der Arena Wien aber allemal!

Setlist (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

  1. Elektra
  2. The Shape Of Punk To Come
  3. Rather Be Bead
  4. Dawkins Christ
  5. Deadly Rhythm
  6. 366
  7. Liberation Frequency
  8. Thought Is Blood
  9. Refused Are Fucking Dead
  10. Servants Of Death
  11. Worms Of The Senses / Faculties Of The Skull

ENCORE

  1. Pump the Breaks
  2. New Noise
  3. Tannhäuser /Derive

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