30.04.2016, Weekender, Innsbruck

CANNIBAL CORPSE & KRISIUN & HIDEOUS DIVINITY - Gore! Not Core!

Text: Captain Critical | Fotos: Brigita Raven Benini
Veröffentlicht am 03.05.2016

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Gore! Not Core: eine (psychologische) Milieu-Studie.

Nun lieber Leser, versetze Dich bitte in die Position eines pseudo-intellektuellen, leicht schrulligen Psychologen mit einer Affinität zu eher melodischem Death Metal: Du kannst mit CANNIBAL CORPSE – abgesehen von einigen legendären Auftritten in Filmen und Comedy-Sendungen (die geniale Lounge Music Version von "Rancid Amputation" kennst Du hoffentlich?) – nicht allzu viel anfangen. Du bevorzugst Metal, bei dem mehr als drei von immerhin ca. 130 möglichen Tönen auf der Gitarre genutzt werden. Du magst Abwechslung zwischen und innerhalb der Songs. Und du bevorzugst Konzerte mit einer deinem Alter entsprechenden, doch größeren Bewegungsfreiheit, als es bei ausverkauften Konzerten meist der Fall ist.

Ja, die Kannibalen waren seit gut einem Monat ausverkauft, das Publikum setzte sich aus einer bunten Mischung (eigentlich war sie schon schwarz, aber das hätte die Metapher zerstört) von klassischen Death Metallern (und natürlich einzelnen Vertretern diverser Metal Subgenres, außer Power Metaller: die sind selten geworden), Hipstern, Normalos und dem im Auftrag der Wissenschaft anwesenden Captain zusammen.
Anmerkung: Natürlich beziehen sich sämtliche Personenbezeichnungen dieser Abhandlung gendergerecht auch auf Frauen, immerhin handelt es sich bei CANNIBAL CORPSE ja um eine weltoffene (siehe "I Cum Blood"), emanzipierte ("Stripped, Raped And Strangled") und für Gleichberechtigung eintretende ("Make Them Suffer" – bezieht sich auf beide Geschlechter) Band.

Primäres Ziel dieser im Innsbrucker Konzertsaal Weekender durchgeführten Studie war die Überprüfung, ob Musik von CANNIBAL CORPSE, KRISIUN oder HIDEOUS DIVINITY einen gefährlichen und aggressionsfördernden oder in irgendeiner anderen Weise krankmachenden Einfluss auf die menschliche Primatenpsyche ausübt – letzten Endes wurden in der Vergangenheit bereits mehrfach Auftritts-Verbote, Indizierungen und Zensuren aller Art von den zuständigen Gesundheitsbehörden diverser Länder verschrieben. Im Zuge der Überprüfung wurde zudem noch versucht Milieu-typische Eigenheiten zu klassifizieren.

 

HIDEOUS DIVINITY:
20:00. Der Psychologe nimmt seinen Platz in der vordersten Reihe ein und versucht seine ersten Beobachtungen einzufangen, um sie anschließend zu bewerten. Die fünf Italiener von HIDEOUS DIVINITY starten pünktlich, bei einer Opener-typischen Spielzeit von 30 Minuten wollen sie ja keine einzige davon verschenken (mit Altersgeiz besteht aufgrund des wenig fortgeschrittenen Alters der Brutalos keine Korrelation). Die Jungs wirken jedenfalls keineswegs gestresst, sondern präsentieren enthusiastisch und gekonnt ihre Hass-Hymnen - mit Ausnahme des Herrn am Fünfsaiter, der zwar technisch famos ist, beim Präsentieren der italienischen Chansons aber eher teilnahmslos bzw. apathisch wirkt (Diagnose: wahrscheinlich eine versteckte Depression oder der Einfluss von bewusstseinsverändernden Substanzen). Der pathologische Lärm kristallisiert sich in kürzester Zeit als wohlstrukturiertes, technisch höchst versiertes Geballere heraus – Technical bzw. Brutal Death Metal genannt –, und das bei einer sehr klaren und für einen Opener erstklassigen Soundqualität. Das bereits zu dieser frühen Stunde zahlreich anwesende Publikum verfällt zwar nicht in Massenhysterie, lässt sich jedoch mit jedem Song spürbar mehr mitreißen. Einzig Brüllaffe Enrico "H." Di Lorenzo scheint – ebenso wie der Autor – erbost zu sein über die oben genannte Teilnahmslosigkeit seines Mitstreiters und verschlingt darob wütend sein Mikrofon. Um 20:30 darf er das Knabbern jedoch beenden, die Bühne wird freigemacht für das nächste Forschungsobjekt.

Enrico "H." Di Lorenzo wirkt etwas "verbissen"…


KRISIUN:
20:50. Die Halle ist langsam aber sicher kuschlig heiß gefüllt, doch der Biergestank hält sich glücklicherweise in Grenzen. Zum Rauchen ist auch niemand ins Freie gegangen, One Way-Tickets machen solche Entscheidungen bekanntlich viel leichter. Kurz: Die Hütte ist voll als die Brasilianer die Bühne entern. Im Schlepptau haben sie Alben wie z.B. "Forged in Fury", "The Great Execution" oder "AssassiNation" – Titel, die auf eine verdrängte posttraumatische Belastungsstörung hindeuten. Etwas nervös beobachtet der Psychologe die Menge – er versucht sich eventuell anbahnende Gewaltakte zu erkennen, um den Dschungel notfalls rechtzeitig verlassen zu können. Doch bis auf freudig in die Höhe gereckte Fäuste, Pommesgabeln und Bierbecher sind keine Besonderheiten auszumachen. Doch dann erstarrt ihm das Blut in den Adern. Nach dem Ausklingen des wie eine Prophezeiung klingenden "Vengeance's Revelation" fordert Chef-Dschungelkämpfer und Machete-Lookalike Alex Camargo das Publikum auf, alles zu zerstören. Der Forscher will schon die Flucht ergreifen, als er bemerkt, dass… nichts geschieht. Niemand gehorcht der Aufforderung, es gibt nicht einmal einen Circle-Pit. Es wird gebangt, bis die Fetzen fliegen, die Stimmung ist auf und vor der Bühne hervorragend, aber Gewaltexzesse bleiben aus. Uff… Der Befehl scheint metaphorisch gemeint gewesen zu sein und erklärt, weshalb so geile Events (populärsprachlich: eine ordentliche Veranstaltung) in regelmäßigem Abstand wiederholbar sind. Nach einer Dreiviertelstunde ist Schluss, niemand wurde verletzt und es sind weder Depressionen noch Anzeichen von Aggressionen schizoiden Ursprungs – wie anfangs eigentlich erwartet – zu erkennen.

Gott hat Erbarmen, Machete nicht!


CANNIBAL CORPSE:
22:00. Der tapfere Professor erinnert sich an einen beiläufig aufgeschnappten Satz: "There is nothing stronger than love, except Corpsegrinder’s neck". Was es wohl damit auf sich hat? Bekanntlich gibt es doch einiges, das stärker ist als Liebe, z.B. ein Apache-Kampfhubschrauber. Aber bevor dieser Gedanke weitergesponnen werden kann fegt ein Inferno aus Lärm über ihn hinweg. Die möglichen Auswirkungen der akustischen Dampfwalze inklusive der aggressiv angehauchten Songtitel auf das mittlerweile ekstatische Publikum würden den unbedarften Beobachter wahrscheinlich ängstigen, doch seit der Verweigerung von Machetes Aufforderung fühlt sich der Psychologe doch sehr sicher inmitten des "Pit Of Zombies". Eineinhalb Stunden lang wird geprügelt, geballert, gebrüllt, geschrien, getrunken und gemosht, doch negative Einflüsse auf das Publikum lassen sich beim besten Willen nicht feststellen. Mit "I Cum Blood" ist sogar ein klassischer Love Song dabei, der die Herzen höher schlagen lässt. Vielleicht bezieht sich das anfangs genannte Zitat ja auf diese Ballade?


"I Cum Blood" zaubert dem Corpsegrinder ein Lächeln auf das Gesicht.


Nach der artig verabreichten Zugabe "Devoured By Vermin" versucht der Professor noch einige der Anwesenden zu interviewen. Die durch Beobachtung auf passive Weise gewonnenen Erkenntnisse müssen natürlich nach allen Regeln der Wissenschaft fachgerecht verifiziert werden. Die langsam aufkeimende Erkenntnis, dass CANNIBAL CORPSE & Co. keine signifikant negativen Einflüsse auf die menschliche Primatenpsyche ausüben, wird auch hier bestätigt. Das einzig Negative des heutigen Abends zeigt sich in folgender Aussage: "CANNIBAL CORPSE war unglaublich geil. Sie waren so progressiv und gleichzeitig so schön brachial. Aber es war zu leise, zu wenig präzise aufs Maul, wenn du weißt, was ich meine? Liegt aber vielleicht einfach an meinem Hörschaden."

Setlist (ohne Gewähr):
- Evisceration Plague
- The Time To Kill Is Now
- Scourge Of Iron
- Death Walking Terror
- Stripped, Raped And Strangled
- The Wretched Spawn
- Pit Of Zombies
- Kill Or Become
- Sadistic Embodiment
- Icepick Lobotomy
- Covered With Sores
- Born In A Casket
- I Cum Blood
- Unleashing The Bloodthirsty
- Make Them Suffer
- Hammer Smashed Face
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- Devoured By Vermin

 

Danksagung:
Vielen Dank an alle Beteiligten, die da wären: Das Weekender-Team rund um Andy Anderson Franzelin, die tollen und zudem publikumsnahen Bands CANNIBAL CORPSE, KRISIUN und HIDEOUS DIVINITY und das ebenfalls tolle Publikum. Die Fotografin Brigita Raven Benini. Jim Carrey (Kannibalen-Fans verstehen diese Anspielung).


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