26.12.2017, Zeche Bochum, Bochum

35 Jahre SODOM

Veröffentlicht am 08.01.2018

35 Jahre haben SODOM mittlerweile auf dem Buckel. Zumindest so circa, man will ja nicht kleinlich sein, das Gründungsdatum der Band wird meist mit 1981 angegeben, aber mit Jubiläen hat man es nie so genau genommen, wie schon das 10 Jahre Konzert in der Zeche Carl 1994 zeigte.


Feste soll man feiern wie sie fallen und Tom Angelripper bereitet den Fans zu den Festtagen nicht nur ein zusätzliches Fest, sondern weiß auch, wie man sein Weihnachtsgeld ein wenig aufbessert. Geboten wird nicht bloß ein einfaches SODOM Konzert, schon bei der Ankündigung wird ein Meet and Greet mit Band und ehemaligen Mitstreitern nach der Show versprochen, ohne das zu diesem Zeitpunkt Namen genannt werden.


Als das Konzert bevorsteht, dürfte es sich zumindest unter den Facebook-Usern unter den SODOM Fans umgesprochen haben, wen man noch erwarten darf. Die angekündigten Namen: "Grave Violator" Peppi Dominik, Frank Blackfire und Andy Brings. Trotzdem hört man vor dem Einlass noch Leute spekulieren und ihren Senf zu den diversen Line-Ups abgeben, über alles Mögliche reden und lautstark rülpsen während sich so man mancher schon das eine oder andere Bierchen genehmigt.
Es ist zwar warm für eine Dezembernacht, trotzdem ist es um 20:30 schon recht kühl und man froh, dass die Pforten der Zeche Bochum geöffnet werden.


Der Andrang zur Garderobe ist so groß, dass man froh ist wenn man nicht viel mit hat und sich entschließen kann die Sachen mitzunehmen und auf Ohrstöpsel diesmal zu verzichten. In der Menge trifft man auch schon Peppi Dominik und Andy Brings an, beide freundlich und sichtlich gut gelaunt.


Einen gut Platz gesichert (immer wieder überraschend wie viel Luft besonders anfangs noch vorne bei Konzerten ist), geht es pünktlich um 21:30 los mit leuchtendem rotem SODOM Schriftzug auf den Drums, grünem Licht und Nebel, bevor als erstes Schlagzeuger "Makka" Markus Freiwald die Bühne betritt, bevor sie auch Angelripper und "Bernemann" Bernd Kost entern und mit "In Retribution" den ersten von insgesamt 27(!) Songs des Abends spielen.


Man merkt von Beginn an, dass hier keine halben Sachen gemacht werden, sondern den Fans für ihr Geld das volle Programm mit allem Drumherum geboten wird. Angelripper ist längst zum versierten Showman geworden, der gekonnt alle Register zieht, vom genau inszenierten Wasserspucken über das Bonding mit den Fans in dem er Bier und Zigaretten mit ihnen teilt bis hin zum Suhlen in SODOM-Chören des Publikums, die schon nach dem zweiten Song, "In War And Pieces", zum ersten Mal erklingen. Er genießt es im Rampenlicht zu stehen und sich feiern zu lassen. Makka geht – so das Schicksal vieler Schlagzeuger – in der Show völlig unter. Gitarrist Bernemann hat nicht nur Stabilität in die Band gebracht, die mitverantwortlich für den relativ konstant soliden Output an neuen Alben ist, auch auf der Bühne ist er eine Bereicherung für die Band, versprüht gute Laune indem er mit reichlich Spielfreude lachend auf der Bühne herumtollt, stiehlt aber Angelripper nicht die Show. Wer SODOM aber als Tom Angelripper Band abtut, wird seinen zahlreichen (ehemaligen) Weggefährten nicht gerecht, die alle ihren Beitrag zur Entwicklung der Band leisteten. Doch bis der erste ehemalige Mitstreiter die Bühne betritt sollte es noch eine Weile dauern.


Dass es eine lange Nacht wird kündigt Angelripper erstmals nach "The Saw Is The Law" an. Wie lange, hätten sich viele Fans wohl nicht träumen lassen. Als er etwas scherzhaft von drei Stunden spricht, ist das eigentlich gar nicht so extrem übertrieben, da das Konzert doch einige Minuten bis nach Mitternacht dauern sollte. Zwischen den zahlreichen Songs, von alten Stücken wie "Witching Day" (wie Angelripper sagt, der erste Song den die Band auf Tape aufgenommen hatte) bis hin zu neueren Stücken wie "In Bellingerence" (einem der besten Stücke des letzten Albums "Decision Day") gibt es auch Momente in denen sich SODOM einfach feiern lassen und etliche Ansagen von Angelripper, nicht nur Kommentare zu den Songs, sondern auch anderes wie Seitenhiebe auf "Bands die nicht ganz live spielen" oder auch auf SLAYER, die heutzutage schon "nach einer Stunde abkacken, aber er quasselt nicht so viel wie ich". Hier ist alles live und ja, auch da hat er recht, so manche Band die es schon so lange gibt hat live nicht mehr den Elan (und ja, manche quasseln auch nicht so viel, stört aber nicht). Die Jahre sind zwar nicht spurlos an SODOM (und auch den Ex-Mitgliedern) vorbeigegangen, die machen sich aber bei den meisten vor allem in Form von kleinen Bäuchlein bemerkbar, live gehört man hingegen noch lange nicht zum alten Eisen.


Er schmiert auch dem Publikum Honig ums Maul indem er meint viele bekannte Gesichter zu sehen und zeigt sich selbst gelassen als der erste Fan die Bühne stürmt. Gegen Stagediving habe er nichts, aber kurz rauf und dann wieder runter. Der sozusagen Aufforderung folgen dann noch einige im Verlauf des Abends, auch den Typ der damit angefangen hat bekommt man immer wieder zu sehen (die mit Abstand lästigste Person des Abends).
Es wurde auch hin und wieder gemosht, was manchmal auch ein bisschen ausartete, sodass man auch am Rand noch weggestoßen wurde und den einen oder anderen Ellbogen in die Rippen bekam. Aber damit muss man rechnen.
Nerviger war als der Konzertbesucher direkt vor einem sich auf einmal eine Zigarette anzündet. Da ist man als Nichtraucher nicht mehr ganz auf der Bühne bei "Sacred Warpath", sondern versucht mit Gesten und Mimik ihm so gut wie möglich klar gemacht, dass man darüber nicht erfreut ist, musste man trotzdem noch warten bis er fertig war und sich dann immerhin entschuldigte. Doch kaum ist der Song zu Ende, raucht sich auch Angelripper eine an und reicht die Zigarette umher. Der Kampf gegen die Raucher (die sich trotzdem zum Glück in Grenzen hielten) war an diesem Abend hoffnungslos. Aber es ist ja cool und Rock'n'Roll rebellisch zu sein, egal wenn man sich damit die Gesundheit ruiniert und keine Rücksicht auf seine Mitmenschen nimmt. [Anm. d. Lekt.: Österreich und das Rauchverbot, da war ja mal was..]


Zurück zur eigentlich Show. Man merkte im Publikum wie gespannt die Fans teilweise auf die ehemaligen Gitarristen warteten und immer wieder auch mal ein kleines bisschen Enttäuschung wenn Songs aus deren Ära ohne sie gespielt wurden (etwa "Sodomy & Lust" ohne Frank Blackfire, das dürfte doch eine Überraschung gewesen sein).


Kurz nach elf Uhr gab es eine kleine Pause und dann war es endlich so weit, das besondere Highlight des Abends das so viele Fans wohl erst hergelockt haben dürfte, der erste Ex-Gitarrist betritt die Bühne: Grave Violator. So ganz können sich die Fans wohl nicht mit dem Namen anfreunden (der auch nicht so recht passt), denn stattdessen ruft man immer wieder: "Peppi! Peppi! Peppi!" Ganz stilecht auch ein kleines Detail am Rande. Dominik trägt zum Konzert ein VENOM Shirt mit dem Spruch "Lay Down Your Soul To The Gods Rock'n'Roll". Damit trägt der Gitarrist der ersten EP "In The Sign of Evil" ein Shirt einer der großen frühen Einflüsse der Band, neben MOTÖRHEAD, die ganz wie SODOM ein Trio mit einem singenden  Bassisten als Frontmann waren. Ob bewusst gezolltes Tribut oder Zufall, auf alle Fälle sehr passend. Drei Songs gibt die Band mit ihm zum Besten: "Blasphemer", "Burst Command" und "Outbreak of Evil". Angelripper meint er hätte Gänsehaut davon bekommen, so dürfte es auch manchen Fan ergangen sein, wobei es gleich noch extremer werden dürfte.


Auf Peppi Dominik folgt der Mann dem SODOM wohl am meisten zu verdanken hat, der sie zur ernst zu nehmenden Band werden ließ und ihnen Respekt und einen Status in der Metalszene sicherte, auf dem die lange Karriere der Band aufbaut – Frank Blackfire. Mit einem geringeren Gitarristen hätte die Zukunft der Band damals möglicherweise finster ausgesehen. Der Lieblingsgitarrist vieler SODOM Fans zeigt auf der Bühne, dass er als Musiker und Performer eine Klasse für sich ist. Auch wenn es an Dominiks Performance absolut nichts zu kritisieren gibt, so sind sowohl die drei Songs "Christ Passion", "Nuclear Winter" und der Titelsong des Kultalbums "Agent Orange" vom Anspruch her schon in einer ganz anderen Liga und verströmt Blackfire ein ganz anderes Charisma und eine unglaubliche Bühnenpräsenz. Nach seiner Zeit bei KREATOR wurde es still um ihn (abgesehen vom Soloalbum "Back On Fire"), doch nun ist er zurück und man darf auf sein erstes Album mit den unterschätzen deutschen Thrashern ASSASSIN gespannt sein.


Michael Hoffmann ist leider verhindert, wie Tom Angelripper bekannt gibt. Von den ehemaligen Schlagzeugern ist keiner am Start. Chris Witchhunter ist leider verstorben und Ausnahmedrummer Atomic Steiff angeblich "nicht aufzufinden". Bobby Schottkowski wird gar nicht erwähnt.


Da die Gäste chronologisch auftreten, folgt als letzter Andy Brings, der letztes Jahr mit seiner Band DOUBLE CRUSH SYNDROME ihr erstes offizielles Album veröffentlichte. "Hallo Bochum!" begrüßt er das Publikum bevor er als einziger der Gäste eine kleine Rede anstimmt. Ganz auf Rock'n'Roll in schwarz gestylt, wenn auch mit schwarzen Augenmakeup und lackierten Fingernägeln nicht ganz den Konventionen entsprechend, fühlt er sich auf der Bühne sichtlich wohl und freut sich über den besonderen Abend, da erstens seine Mutter da ist und zweitens es nicht viele Bands gibt die das machen können (haben ja auch nicht alle so einen großen Pool an Ex-Mitgliedern). Und er redet weiter. Das Backdrop ist das originale der letzten Show 1992 mit Chris Witchhunter, dem kurz gedacht wird, auch mit dem Song "Wachturm" (entstanden nach negativen Erfahrungen als seine Freundin den Zeugen Jehovas beigetreten war), wozu eine Ausgabe des Magazins auf der Bühne verbrannt wird. Nachdem Brings die Lederjacke auszieht wird gerockt und lässt er die Rampensau raus und versprüht ansteckende Freude. Es folgen "Sodomized" und "Die stumme Ursel" (ohne Gummipuppe auf der Bühne).


Fans äußerten zwischen Songs immer wieder lautstark ihre Wünsche. Als jemand wiederholt "Bombenhagel" fordert, meint Angelripper nur, den spielen sie nicht mehr, der wird "erst wieder gespielt wenn Schalke deutscher Meister wird" – das kann also noch sehr lange dauern - oder auch nicht, wie ein Blick auf die Setlist verrät.


Um 23:55 verlässt die Band die Bühne und die Rufe nach einer Zugabe beginnen. Es folgt einer der großen Klassiker - "Ausgebombt", allerdings mit Andy Brings an der Gitarre (der sich dann auch kurz unter die Stagediver begibt). Das ikonische Riff geht leider etwas unter, die Fans haben aber trotzdem ihren Spaß, vor allem als zum Finale alle drei Ex-Gitarristen mit der Band auf der Bühne stehen und spielen. 

 

Nach der Show gab es für die Konzertbesucher noch ausreichend Gelegenheit sich in entspannter Atmosphäre Autogramme von den Musikern zu holen, mit ihnen Fotos zu machen oder zu plaudern.
Die Zeche Bochum präsentierte sich als coole Location mit freundlichem Personal, wo man im Gegensatz zu manch anderer die Fans nicht wenige Minuten nach Ende des Konzerts schroff hinausbefördert, sondern diese Nacht ruhig ausklingen ließ, was sicher auch ein weiter Punkt ist (neben der ausgezeichneten Show) der dieses Konzerterlebnis den Fans in positiver Erinnerung bleiben lässt.


Setlist:
In Retribution
In War & Pieces
An Eye For An Eye
Surfing Saw (Surfin' Bird / The Saw Is The Law)
In Bellingerence
Among
The Vice Of Killing
Sodomy & Lust
Masquerade
Proselytism Real
Witching Metal
Rolling Thunder
Napalm In The Morning
City of God
Tired & Red
Caligula
Blasphemer
Burst Command
Outbreak of Evil
Christ Passion
Nuclear Winter
Agent Orange
Wachtturm
Sodomized
Die stumme Ursel
Ausgebombt
Bombenhagel


Nachtrag:
So "total stolz" (O-Ton) war er auf seine Jungs auf der Bühne, nicht einmal zwei Wochen später kündigt Tom Angelripper am 5. Januar 2018 an, dass er sich von Bernemann und Makka trennt und gibt somit jenen recht, die meinen SODOM sei nur Angelripper mit Gastmusikern. Nach acht Jahren (und zwanzig Jahren mit Bernemann) dreht sich das Besetzungskarussell bei SODOM wieder und das obwohl man mit "Decision Day" zuletzt eines der stärksten SODOM Alben der jüngeren Zeit abgeliefert hatte. Man darf gespannt sein auf die frischen Neuzugänge, bisher hatte SODOM die Besetzungswechsel immer überstanden, aber es wird sich zeigen, ob sich das als einmal zu viel erweist.
Wer die Band an dem Abend das erste Mal live sah, kann froh sein, denn ansonsten muss man wahrscheinlich zehn Jahre – oder wann auch immer Angelripper wieder ein Jubiläum ausruft – warten bis man Bernemann und Makka vielleicht nochmal mit SODOM sehen kann.
 


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