24.10.2020, Stadtwerkstatt, Linz

ANDERWELT + THE CAMPING CHAIR PROJECT

Text: Anthalerero | Fotos: Anthalerero
Veröffentlicht am 30.10.2020

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Im Jahr 2020 hat man es wahrlich nicht leicht, als konzertsüchtiger Musikredakteur. 90% der Shows die man gerne gesehen oder irgendwie auf dem Plan gehabt hätte, wurden oder werden verschoben oder ersatzlos gestrichen. Und das Bisschen das übrig bleibt, geht unter absurden Auflagen für Veranstalter und Besucher und daraus resultierender bedrückter Stimmung über die Bühne. Umso schöner sind die sich jäh auftuenden Ausnahmen, die es vermögen, sich nachhaltig ins Gedächtnis zu brennen. Im Normalfall würde man Veranstaltern, die eine Location wie die Stadtwerkstatt bestuhlen und dann unfassbare 40 (!) Zuseher im Raum verteilen, den sprichwörtlichen Vogel aufgrund von kompletter Weltfremdheit zeigen – doch exakt das waren die Auflagen, dass die Show von ANDERWELT und THE CAMPING CHAIR PROJECT überhaupt stattfinden durfte. Die Besucher der demzufolge restlos ausverkauften Show hielten sich hierbei vorbildlich an die von der Obrigkeit diktierten Regeln (inklusive durchgehender Maskenpflicht selbst auf den zugewiesenen Sitzplätzen) und tauchten auch ausnahmslos alle auf, im Gegensatz zu der Show von THE WEIGHT im Rockhouse Salzburg wenige Wochen zuvor.

Und das Wunder geschah: trotz der (wenn wir einmal komplett ehrlich zu uns selbst sind) vollkommen absurden Umstände, erwies sich das Konzert als Schulbeispiel absolut fesselnder Atmosphäre, was, neben den mitreißenden Performances der Bands, auch dem vorbildlichen Publikum geschuldet war, das die gebotene Musik so intensiv genoss wie man es selten sah. Damit leiten wir nach wortreicher Einleitung über zu den eigentlichen Hauptakteuren des Abends...


Was passiert, wenn man Elemente aus den finsteren metallischen Stilrichtungen, progressive Komplexität, thrashige Attitüde, post-metallische Weiten und eine Prise moderner Klänge in den Mixer wirft und das Ganze dann gut durcheinander quirlen lässt, bis eine sämige, geschmackvolle Masse entsteht, die dann im metallischen Schmelzofen einmal gut durchgegart wird? Am Ende des Tages zieht man ein glühendes THE CAMPING CHAIR PROJECT aus dem Ofen, das sich hartnäckig weigert, sich in auch nur irgendeine stilistische Schublade stecken zu lassen. Also wird eben eine eigene Erfunden: Post Camping Metal. Fast war man ein klein wenig enttäuscht, dass nicht auch vor der Bühne dazu passend Campingstühle aufgestellt wurden, doch die zum gemütlichen Chillen einladenden Liegestühle der ersten Reihe taten es auch. Die geschmackvolle musikalische Mixtur von THE CAMPING CHAIR PROJECT ließ sich auf diese Weise ganz exzellent genießen, zumal die vielschichtige und komplexe Kost trotz treibender Rhythmen einiges an an Aufmerksamkeit einforderte. Dass dieser Auftritt gleichzeitig der erste und letzte Auftritt ihrer 2020er-Comeback-Tour war, wie die blendend aufgelegten und stets den Draht zum Publikum suchenden Musiker konstatierten, war ein (trotz der prekären Situation) auch irgendwie zum Schmunzeln anregendes Detail des mitreißenden Auftrittes.


Der richtige Brocken des Abends folgte aber erst noch, mit dem 70-minütien Set von ANDERWELT, die an diesem Abend auch neues Material vom baldig kommenden neuen Werk vorstellten. Wenn die Effektburg des Cello-Spielers (bitte die Haare ab jetzt immer offen tragen!) einmal größer ist als jene des Gitarristen, dann darf man sich schon auf etwas gefasst machen und ANDERWELT erfüllten dann die in sie gesetzten Erwartungen, die sie mit spärlichen, aber höchst mitreißenden Auftritten in der Vergangenheit befeuert hatten, nicht nur, sie übertrafen sie auch noch. Schon der Beginn, der mit einer kurzen Lesung von Sänger Phil aus dem Orwell-Klassiker „1984“ startete, jagte einem beklemmende Gänsehautschauer über den Rücken. Die schwer zu beschreibende Atmosphäre zwischen Faszination und alles erdrückender Finsternis übertrug sich auf die perfekt inszenierte, emotionsgeladene Darbietung, die die Zuschauer, obwohl sitzend oder im Liegestuhl chillend, vollkommen in ihren Bann zog. Es war Musik zu der man die Welt um sich vergessen konnte, in deren zerbrechliche Passagen man eintauchen konnte und auf deren brachial treibenden Eruptionen man im Geiste reiten konnte. Nicht einmal die kurze Suche nach dem von den donnernden Klängen vom Beistelltischchen gefegten Roman („Wo is mei Buach?“) im Mittelteil des Sets, welche vom Publikum mit schallendem Gelächter quittiert wurde, konnte die fast magische Atmosphäre dieses so andersartigen, aber dennoch fesselnden Konzertes schmälern.

Wäre das Publikum in der Stadtwerkstatt wie zu ewig her scheinenden Zeiten gestanden, die durchwegs begeisterten, fast entrückten Reaktionen der Leute wären um keinen Deut anders ausgefallen. Und das ist wahrscheinlich das größte Kompliment, das man ANDERWELT machen kann, dass sie es vermögen eine dergestalt fesselnde Atmosphäre zu erzeugen, die in wirklich jeder (Live-)Situation ihre Wirkung zu entfalten weiß. Für den nächsten Release ist also wahrhaft Großes zu erwarten und das späte Konzerthighlight des ansonsten mageren 2020 wird allen Beteiligten fraglos noch lange im Gedächtnis bleiben.
 

Weitere Fotos der wunderbar düsteren Stimmung findet ihr bei Images Of Pain And Pleasure.


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