18.02.2023, Alter Stattbahnof Schweinfurt, Schweinfurt

Flesh Fest 8

Veröffentlicht am 21.02.2023

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Ja ist denn heut noch Weihnachten?!

Wer das jeckische Treiben am und um den Karneval ebenso "wertschätzt" wie der Verfasser, freut sich über jede noch so kleine schwermetallische Fluchtmöglichkeit, die möglichst weit weg von Köln und Mainz gelegen ist. Gut, eine Atlantiküberquerung liegt jetzt nicht gerade zwischen Mainz und Schweinfurt, aber es genügt, um sich fernab der knallbunten Bespaßungsindustrie auf's Wesentliche zu konzentrieren und am hier stattfindenden Flesh Fest 8 gepflegt die Rübe kreisen zu lassen. D.h., wenn man es dank der immer pünktlichen Autobahnbaustellen überhaupt schafft, aus seinem ungefähr drei Aldi-Parkplätze umfassenden Bundesland zu entkommen. Entlang der Route Frankfurt – Würzburg – Schweinfurt wird es zusehends weihnachtlicher, so dass man in Würzburg noch ein Weihnachtsmarkt-Plakat und in Schweinfurt sogar einen beleuchteten Tannenbaum prangen sieht. Ja ist denn heut' schon…nein…noch Weihnachten? Wenn man sich das heutige Lineup ansieht, womöglich ja!

CHOPPED IN HALF

Es ist bemerkenswert, wie schnell sich die Hütte heute Abend füllt. Die gemütliche Venue ist bereits zum ersten Act wohlig gefüllt und was wäre ein besserer Einstieg, als gleich zu Beginn genüsslich in der Hälfte durchgehackt zu werden?! Bitte sehr, bitte gleich – CHOPPED IN HALF aus der Bamberger Nachbarschaft bieten ihre versierten Dienste als Vorfiletierer feil und steigen mit einer schnörkellosen Runde Death Metal ein. Und wenn heute einer seine extra Portion Diabolo Forte eingeschmissen oder inhaliert hat, dann wohl Fronter Markus Wenzig, der mit dem wohl eisigsten Blick des ganzen Bahnhofs förmlich den Raum schockfrostet. Entweder growlt dieser spirituell authentische Höllenprediger durch einen diabolischen Stimmenverzerrer oder er growlt konsequenterweise auch seine Ansagen. Bei so viel Trveness dürften 67% aller Exorzisten aus dem Stand ein Reizdarmsyndrom entwickeln – was will da noch schief gehen?

MECHANIX

Wenn es zum Soundcheck gleich "good morning!" von der Bühne schalmeit, spricht das für einen gestandenen Sinn für Humor. Weniger lustig, dafür authentisch ist der räudig-oldschoolige Thrash Metal der Nürnberger MECHANIX-Jungs…ich kann nicht mit dem Finger drauf zeigen, aber irgendwie scheint Sänger und Klampfenschwinger Wolf Reinisch ein Faible für alte METALLICA zu haben (d.h. alte METALLICA-Musik, nicht alte METALLICA-Mitglieder). Je länger die Mechaniker spielen, desto ekstatischer und auch ranziger werden sie. Dass hierbei im Eifer des Gefechts mal zeitweise das Klampfen-Tuning oder die Stimme ins Wanken geraten, kann man bei dem sichtbaren Spaß, den die Truppe hat und ins Publikum transportiert, gerne überhören. Am Ende des Sets ist der Mann an der Front heiser wie ein Räucheraal, aber man sieht und hört, dass sich diese Burschen für den Spaß ihrer Besucher sprichwörtlich den Arsch abspielen und das wiederrum wirkt sehr sympathisch.

NIGHTBEARER

Während der Umbaupause steht Diva Micha lässig am Bühnenrand und "trägt" nach einhelliger Meinung des Expertengremiums in der ersten Reihe "die Verantwortung". Und nachdem der gut gelaunte Frontelch innerhalb einer Minute gleich zwei freundschaftliche Anschisse vom FLESH-TRADING-Michel und dem Lord des schlechten Humors über sich ergehen lassen muss, kompensiert er die eingesparten Kalorien, indem er auf der Bühne das durchschnittliche Wochenpensum von drei Bergleuten in weniger als einer Stunde verheizt. Meine Fresse, was uns da von Akt Nummer drei geboten wird, kann man nur als absolute Übermacht beschreiben. Obwohl Gitarrist Dome krankheitsbedingt vom Band spielt (nach Aussagen der Band sogar "inkl. Spielfehler" – Authentizität über alles), zerlegen die temporär zum Quartett geschrumpften NIGHTBEARER binnen kurzer Zeit den Stattbahnhof und hinterlassen nichts als Schutt, Asche und Besucher mit präorgasmalem Sabber in der Luke – und in diesem Punkt stimmen nicht nur die größten Dummschwätzer zweier Mags zu 100% überein!

OLD MOTHER HELL

Nicht weniger interessant als die beeindruckende Performance NIGHTBEARERS ist die schnell einsetzende Leere, die während der Umbaupause den ehemaligen Moshpit ausfüllt. Wie es scheint, lechzen die Anwesenden nach Luft und Flüssigkeitstransfer (Disclaimer: nicht im Sinne von "Demolition Man" mit Sylvester Stallone…wobei…die offenbar sehr punklastige Venue ist da wahrscheinlich eher liberal eingestellt). Aber zurück zum Thema – dank OLD MOTHER HELL setzt just zur rechten Zeit die Phase der Entschleunigung ein. Die nahezu runderneuerte Epic-Doom- / Heavy-Metal-Kapelle ist die erste Band des Tages, die nicht versucht, ihr Diner rücklings über den Gesangsverstärker zu entsorgen und besticht insbesondere mit der beachtlichen Gesangsperformance von Neu-Fronter Kevin Portz. Die kürzlich neu formierte Band scheint derweil schon so gut aufeinander eingespielt zu sein, dass neben der minutiös sitzenden Musik auch Zeit für den ein oder anderen Kalauer bleibt. So wird beim quasi obligatorischen Querverweis zum Merch-Stand auch auf das Angebot von Einbauküchen hingewiesen (selbstredend nur "auf Vorbestellung, mit acht bis zwölf Wochen Lieferzeit, dafür aber mit Garantie"). Warum eigentlich nicht? So eine OLD MOTHER KITCHEN hat doch auch was! Und während im schleppenden Takt der alten Höllenmütter alles ein wenig herunterfährt, glaubt man am Ende des Sets sogar, wieder Luft atmen zu können und nicht nur siedenden Schweiß.

THE FLESH TRADING COMPANY

Obwohl die Geisterstunde unlängst überschritten ist und sich vereinzelt Müdigkeit breit macht, scharren die Karnivoren vor der Bühne schon während der Umbaupause ungeduldig mit den Hufen. Die letzten Kraftreserven wollen in den Äther dissipiert werden und entladen sich in einem Hexenkessel, der ab dem ersten Track einsetzt und den hoch gewachsenen Schreiberling im Moshpit erstmals in Angst um seine alten Gräten und die kostspielige Fotoausrüstung versetzt. In den Gemütern der Besucher und Band paart sich Euphorie mit Schwermut, denn wie schon im Vorfeld verkündet wurde, wird Gitarrist Michael Guerra die Band nach der heutigen Show verlassen. Doch dies hindert die Anwesenden nicht daran, den scheidenden Axeman noch ein letztes Mal gebührend zu feiern. Die Stimmung eskaliert, auch ohne dass die Band ihr Randalierwasser mit dem Publikum teilen muss und die Ankündigung des letzten Songs wirkt in etwa so brandbeschleunigend, als wenn ein Veganer in einem Steakhaus voller Hardcore-Gemüseverächter den Seitanlappen auspackt und diesen lauthals als "Steak" bezeichnet. Einzig Jochens Bassgurt macht bis zum Ende Probleme und zwingt den Tieftonbeauftragen, längere Strecken des Sets in halb gebückter Geländeschiss-Stellung zu zocken – soll vorkommen, ist auch Rock'n'Roll. Nach der emotionalen Verabschiedung Guerras werden noch minutenlang Setlists, Bierflaschen und andere Devotionalen verteilt, bis gegen zwei Uhr morgens allmählich die Sperrstunde schlägt.

Wenn das Gesamtpaket stimmt

Wenn man das Flesh Fest 8 mit einem Wort umschreiben kann, dann wahrscheinlich mit "Vielfalt". Ein bunter Genremix mit fast allem, was nicht BABYMETAL ist und eine Location, die mit einem großen Konzertsaal, abgesetzter Kneipe und Jonglage-Show vorm Lokus wirklich was zu bieten hat (gut, der Jongleur war sicherlich nicht aus kommerziellen Gründen da, hat aber einfach gut gepasst). Der Ruf des Verfassers nach einer FLESH-TRADING-Zugabe à la "The Wrong Time" wird zwar konsequent ignoriert, aber was will man tun?! Wenn das Fisher-Price-Pedal gerade nicht zur Hand ist, ist es halt (neuerdings) kein angemessenes OBITUARY-Cover (mehr) und kann nur in die Hose gehen – echte Idioten wissen sowas!

Für Fotopraktikanten Seriousface heißt es zwar auch heute wieder "The Eagle Flies Alone" – doch die familiären Gründe hierfür sind erfreulicher Natur und wer auf hartes Eisen steht, ist sowieso niemals allein. Und sollte sich früher oder später die Opportunität für ein Flesh Fest 9 ergeben, wäre es durchaus denkbar, dass das Sturmbringer-Reporterteam in 2,5-facher Mannschaftsstärke antritt. Alles andere wäre grober Erziehungspfusch!


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