02.11.2013, Planet.tt, Bank Austria Halle, Gasometer

STEVEN WILSON

Text: Mike Seidinger | Fotos: caroline
Veröffentlicht am 08.11.2013

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Nach einem etwas deplatziert wirkenden Gig beim diesjährigen NOVA ROCK-Festival beehrt uns der Großmeister des Prog nun auch endlich in vollem Umfang mit seinem Solo-Programm. Und irgendwie scheint's, als hätte der umtriebige Brite wirklich seinen Spaß an der Sache, viel mehr als man ihm beispielsweise noch auf der letzten PORCUPINE TREE-Tour ansah, wo er zeitweise richtig steif und unrund wirkte. Heute Abend muss er demnach nicht spielen, er will. Das ist der feine Unterschied und das merkt man in den zwei folgenden Stunden auch zu jeder Sekunde. Das bereits 30 Minuten vor Beginn gestartete Straßenmusiker-Film-Intro geht dann auch nahtlos in den Live-Set über, der diesmal zur Überraschung vieler mit dem PORCUPINE TREE-Standard "Trains" in Akustik-Version gestartet wird. Dann kommt die Band hervor, und Marco Minnemann dürfte nun endgültig aus dem Live-Set gestrichen worden sein - er hat momentan ja mit JOE SATRIANI andere Tour-Verpflichtungen. Sein Ersatzmann Chad Wackermann (FRANK ZAPPA, ALAN HOLDSWORTH) mach diesen Umstand aber schnell vergessen und fügt sich in den elitären, handverlesenen Kreis an Ausnahmemusikern bestens ein.

Neben dem kleinen Chefdenker Wilson sticht vor allem KAJAGOOGOO-Legende Nick Beggs hervor, momentan am Bass neben Tony Levin sicherlich einer der wegweisenden Akteure und Visionäre im Business. Es folgt das unausweichliche "Luminol", quasi der Aufnahme-Test für alle Nicht-Wilson-Kenner: nach diesem wilden und dissonanten Jazz-Intro ist man geeicht für das was folgt. "The Holy Drinker" kommt live besonders prägnant, auch wenn der eindringliche Hammond-Stophen-Part fast ein wenig in den Hintergrund rückt. Das bald auf EP veröffentlichte "Drive Home" wird frenetisch beklatscht, entpuppt sich als Gänsehaut-Moment und einer der wenigen wirklich straighten Songs im Set. Steven bittet das Publikum, den unveröffentlichten Song, der heute als "A Death In The Shadow" vorgestellt wird, doch bitte nicht bei YouTube hochzuladen, unterstreicht gleichzeitig aber, dass die Leute gerne mitfilmen können.

Aus Respekt scheint aber niemand die Cam zu zücken und man lässt das gut achtminütige Stück lieber ohne Ablenkung auf sich wirken. Dann fällt der transparente Vorhang, der bei der letzten Tour bereits am Beginn die Bühne verschleiert hat, und es läuft der "Watchmaker"-Kurzfilm, der direkt in den gleichnamigen Song übergeht. Der auf diese Weise künstlich geschaffene Hohlraum der Bühne bleibt weiterhin sichtbar, der Vorhang wirkt nicht als Grenze zwischen Publikum und Band, sondern als eine zusätzliche Multimedia-Dimension: die Projektionen vor der Band sind vor allem beim harten "Index" ziemlich spooky, und mit gewitzten wie simplen Licht-Effekten werden Silhouetten der Musiker von Hinten an diese Schleierwand projeziert, die bei "Sectarian" dann unvermittelt wieder gekappt wird. Es folgen mit "Harmony Korine" und dem überragenden "Raider II" zwei der Highlights dieses ohnehin überirdischen Live-Sets. Der Meister und seine Mitmusiker haben sichtlich Spaß an ihrem Tun und der vom Vollbart zugewucherte Guthrie Gowan schmettert einige richtig herzzerreißende Soli ins Gasometer - herrlich!

Das traurige "The Raven That Refused To Sing" beendet den regulären Set, und natürlich wird die Band von den gut 1.500 anwesenden Progressiv-Enthusiasten zurück auf die Bühne geklatscht. Dem eher gediegenen "Remainder The Black Dog" folgt dann noch ein weiterer neuer Song, der als "Happy Returns" vorgestellt wird und sich wunderbarst in den abendlichen Klang-Reigen einfügt. Steven Wilson ist ein sympathischer, manchmal introvertierter und kauziger Freak, der neben Brot und Wasser die Musik als Existenzgrundlage braucht. Er wechselt oft scheinbar planlos zwischen seinem Sitzklavierchen und der Gitarre hin und her, schnallt sich auch mal für drei Akkorde den Bass um, und erklärt dem Publikum detailgenau und mit dem ihm eigenen Engländer-Humor, wie er seine Song-Ideen in die Köpfe der anderen Bandmitglieder bringt.

Die Freude, ihm dabei zuzusehen, wie er fuchtelnd und bloßfüßig seine Songs aufs große Parkett bringt, ist amüsant und wundersam zugleich. Ein Ausnahmekünstler, dessen Einfluss auf die Nachwelt man heute noch gar nicht abschätzen kann, und am Ende doch nur ein bescheidener Protagonist auf seiner eigenen Bühne, der jedem seiner Musiker genügend Raum zur freien Entfaltung lässt. Theo Travis glänzt an Querflöte, Saxofon und Klarinette, Adam Holzmann beorgelt sein antikes Gerät mit Hingabe und webt im Hintergrund einen ziemlich intensiven Keyboard-Teppich. Was für ein eindrucksvoller, schöner Konzertabend!

Setlist:

Trains (Porcupine Tree song) Luminol Postcard The Holy Drinker Drive Home Untitled New Song (introduced as A Death In The Shadow) _______________________________________________ The Watchmaker Video The Watchmaker Index Sectarian _______________________________________________ Harmony Korine Raider II The Raven That Refused to Sing _______________________________________________

Encore:

Remainder the Black Dog Happy Returns Spezieller Dank geht an Caro Traitler für die wunderbaren Fotos![u]


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