Fake Idyll - Genome Of Terror

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VÖ: 22.01.2014
Bandinfo: Fake Idyll
Genre: Grind Core
Label: Unundeux
Hören & Kaufen: Webshop
Lineup  |  Trackliste  |  Credits

Als ich kürzlich im Sesselkreis einer dieser Selbsthilfegruppen saß und mir der Ball zugespielt wurde, gab ich es schweren Herzens zu: „Mein Name ist Stefan. Ich habe ein Problem.“ „Hallo, Stefan!“ hieß es unisono mit etwas lethargischer Anteilname und ich gestand endlich mein Manko, meine Krux: Ich habe einen Anti-Fetisch. Ich kann mit rein instrumentalen Platten aus Prinzip nichts anfangen. Bei STEVE VAI und Konsorten krieg ich eitrige Pusteln auf Hammer, Amboss und Steigbügel. Das ist Onanie, die mir trotz Anerkennung ob musikalischer Fähigkeiten keine Freude bereitet – wäre vielleicht anders, wenn Sasha Grey oder Skin Diamond mal ein Instrument lernen würden.

Doch auch bei dieser Regel gibt es einige wenige Ausnahmen – überlange Instrumentalpassagen können eine Wirkung erzeugen, die, wenn sie auf spärlich eingesetztes Stimmeninferno treffen, nicht unähnlich zu Edgar Allan Poes „The Pit And The Pendlum“ wirken. UFOMAMMUT sind hier ein gutes Beispiel. Auch der Kunst, aus zahlreichen überlangen Versatzstücken einen Koloss aufzubauen, der hierauf birst, ist keine Selbstgeißelung anheim – „… And Justice For All“ ist in meinen Augen immer noch Beispiel von grandiosem Songwriting, instrumentale Passagen klug gesetzt und selbst nach minutenlanger Tapserei vor und zurück nicht anödend. Und schließlich: Die progressive Instrumentalfraktion rund um Ron Jarzombek und Alex Webster, BLOTTED SCIENCE, hat es mir ebenso angetan. Hier singen die Saite, die Snare und die Tom, und „es“ singt auch zwischen den Zeilen – eine perfekte musikalische Umsetzung von Watzlawicks Leitsatz „Man kann nicht nicht kommunizieren.“.

Dennoch war ich herbe enttäuscht, als durchsickerte, dass nach der grandiosen Erstveröffentlichung von FAKE IDYLL, „Therapist“, ein markanter Schnitt vollzogen werden sollte. FAKE IDYLL war für mich eines der beiden Projekte, die nach der Interims-Auflösung der JAPANISCHEN KAMPFHÖRSPIELE mich vor dem Suizid bewahrten. Hätte es das „Oldschoolformat der Zukunft“ von Bony und Kather nicht gegeben, so hätte ich mich Hand in Hand mit einer 12-Jährigen im BACKSTREET-BOYS-Shirt aus dem ersten Stock eines Schulgebäudes gestürzt. Und auch FAKE IDYLL, stilistisch etwas weiter von JAKA entfernt, waren mein akzeptables Substitol – keine Frage, der intellektuelle Wahn von Kather, das Finesse von Robert und nicht zu guter Letzt auch die Manie der Stimmbänder von Lenzig (CEPHALIC CARNAGE) schufen ein Methamphetamin, das selbst Walter White nicht besser zaubern hätte können.

Doch nun, dem Nachfolger hat man gar zu lang entgegen harren müssen, da heißt es: NEIL YOUNG spielt wieder mit CRAZY HORSE, aber Kather und Co. kommen ohne Len Zig und seinen Crazy Hoes aus. Buh! Kather du Schweinehund, du Egomane! Nicht genug, dass DU mir JAKA genommen hast und dich vehement, ja gar doll dagegen wehrst, den kompletten Backkatalog vollständig zugänglich zu machen – nun ruinierst du mir auch noch den seidenen Faden! Arschloch. Künstler!

Kather jedoch, er stimmte mich zum Jahreswechsel milde: JAKA sind wieder da. Und elf von zwanzig Vocalspuren von Lenzig für FAKE IDYLL auch. Juchu! „Aber, mein lieber Freund der Blasmusik, du kleiner gieriger Padawan“, säuselte er gar liebreizend mir entgegen, „die sind allesamt scheiße. Wir machen FAKE IDYLL rein instrumental. Basta.“ Als er meine Zornesfalten sah, bekam der Ruhrpotter es jedoch mit der Angst zu tun, weiß er immerhin, dass man in Wien Eisenerz frisst und hierauf 100er-Nägel scheißt. „Ich schlag dich mit Stein und Eisen, bis du brichst!“ geiferte ich und drohte ihm, ihn mit selbigen Nägeln in den Magen einer toten Sau zu nageln. Man muss nur argumentieren, so dachte ich. Doch Kather blieb trotz aller Furcht standhaft und schob mir lediglich die Tracks, so wie sie waren und auch bleiben sollten, rüber: „Halts Maul, hör mal rein und maul dann.“ Nun gut, bekanntlich bin ich ja durchaus vernunftsorientiert, ich habe Kant gelesen.

Da liefen sie also nun, die „Genome Of Terror“. Einmal. Zweimal. Dreimal. Ein Dutzend Male. Dann ging ich heia, um das Gehörte zu verdauen, wirken zu lassen. Man soll ja doch Entscheidungen überschlafen. Irgendwann dann, so gegen drei oder vier Uhr morgens, musste ich altersbedingt austreten und verspürte das Bedürfnis, noch einmal reinzuhören. Nur ein bisschen. Aber dafür umgehend. Und wieder lief der Rundling, die „Genome Of Terror“. Einmal. Zweimal. Dreimal. Ein Dutzend Male. Frühmorgens saß ich also da, übernächtigt, aber auch überwältigt ob der monumentalen Cheesecake-Cumshot-Fiesta, die da dargeboten wird.

Zwei Dinge fallen selbst tumben Laien auf: Nicht nur, dass das musikalische Inferno, das geboten wird, überaus dicht geriet, auch Variantenreichtum wird auf dem Zweitling großgeschrieben. Irgendwo zwischen Passagen, die auch MAYHEM auf ihrer „Chimera“ verbraten haben hätten können, zwischen Passagen, die an die nicht-hodenlosen Momente von SOILWORK erinnern (eigentlich eh nur „Blind Eye Halo“) und CANNIBAL CORPSE unter Rutans Fittichen, finden sich auch Einsprengsel, die sich irgendwo zwischen gereiften ALCEST, Shoegazing, Ethereal und Postrock einpendeln. Dabei ist das Ganze derart amtlich produziert, dass mir selbst ohne Dolby Surround und ähnlichen Kinkerlitzchen die Latschen nicht nur ausgezogen werden, sondern sich gar die Fußnägel kräuseln: Das Schlagwerk ist vertrackt und furztrocken, der Bass knackig und laut und die Gitarre frickelt derart fett, dass man meinen könnte, Robert spielt auf einem in Schweineschmalz herausgebackenen Dino Cazares mit reinster Butterfüllung. Lecker-schmecker!

Lenzig und seine Hoes, gehen sie ab? Ein klares Nein. Selten, aber geschickt setzt Kather als Elektrokill Samples ein, die nicht nur, aber auch Stimmen feilbieten – verzerrtes Gedöns, das auch ROB ZOMBIE einfallen hätte können, durch Mark und Bein gehendes Geschrei, und irgendwo nascht auch jemand anscheinend an etwas Fleischmatsch. Wenn man sich doch entschieden hätte, neben den gesampelten Stimmen auch tatsächliche zu verwenden, hätte man ohnehin auf eine Stilistik á la UNCLE ACID zurückgreifen müssen. Vintage macht zittern, Motherfuckers!

Unterm Strich ist dies, wirkungstheoretisch, eine logische Fortsetzung von der Idee hinter BLOTTED SCIENCE: Versuchte man am Erstling „The Machinations Of Dementia“, Gehirnströme zu vertonen, auf der hierauf folgenden EP „The Animation Of Entomology“ den Vibe von sogenannten Bugmovies einzufangen, vollziehen FAKE IDYLL mit ihrer Vererbungslehre über den Horror zwar einen gewaltigen Schritt, aber weder zurück noch nach vorn, sondern gleichermaßen nach links wie rechts. Wie auch FANTOMAS mit „Director’s Cut“ gelingt es ihnen, den Geist der frühen Horror- und Splatterperiode gekonnt einzufangen, ohne dabei die damals verwendeten Muster zu brachialisieren, sondern mit Eigeninspiration Augäpfel bersten und Gelenke unnatürlich verdrehen zu lassen. Hier spuckt der Eiter, der Geifer, durch nebulöse Welten wandert der Zuhörer immer tiefer ins Inferno: „Lasciate ogni speranza voi ch’entrate“, heißt es in Dantes „Divina Commedia“. Und dies könnte man durchaus auch als plakative Warnung auf „Genome Of Terror“ drucken. Der Krieg beginnt. Probiere das rostige Säbelwerkzeug und stürze dich in den Kampf!

Mein Name ist Stefan, ich habe ein Problem: Ich bin von FAKE IDYLL infiziert und habe das dringende Bedürfnis, mir nun umgehend eine Ladung Ohrenschlürfer durch die Nase ins Gehirn zu ziehen. Ganz, ganz großes Kino – und das in 4D!



Bewertung: 5.0 / 5.0
Autor: Stefan Baumgartner (10.01.2014)

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