The Wounded Kings - Consolamentum

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VÖ: 24.02.2014
Bandinfo: The Wounded Kings
Genre: Doom Metal
Label: Candlelight Records
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Lineup  |  Trackliste  |  Credits

Erschöpft, verdrossen, leer. Viele Menschen leiden an dem als Modekrankheit verschrienen Burn-Out. Die inflationäre Verwendung des Begriffs suggeriert, eine ganze Gesellschaft sei psychisch instabil, erschöpft. Im Mittelalter war es die Pest, in der Renaissance die Melancholie, in der Aufklärung die Syphilis und im frühen 20. Jahrhundert die Tuberkulose. Und jetzt: Die emotionale Erschöpfung, die negative Einstellung und der Leistungsabfall. Burn-Out, eine neue Epidemie, gegen die kein Kraut gewachsen ist.

Ich habe mir, um jener Mode, die weitaus weitläufiger Fuß fasst als lediglich in „London, Paris und Mailand“, entgegenzuwirken, unbewusst ein gänzlich anderes Krankheitsbild ausgesucht: Das Cotard-Syndrom, auch bekannt als Délire des négations oder „nihilistischer Wahn“. Ob des Krankheitsbildes hat sich auch ein anderer landesläufiger Begriff herauskristallisiert: das „Lebende-Leiche-Syndrom“. Ich bin davon überzeugt, zu verwesen. Nicht dann, wenn meine „Zeit gekommen ist“, wenn „mich der Erlöser holt“, ich glaube nicht, dass ich, im Grabe ruhend, meiner fleischlichen Existenz Lebewohl sage und mein Geist in den Himmel, in einen anderen Körper oder Gegenstand, oder vielmehr in die Hölle fährt. Nein, ich verwese jetzt. In diesem Moment, in dem ich diese Rezension schreibe, eine Zigarette und ein Glas Glenlivet genieße – und meine dies nicht metamophorisch so wie Kafka, der als Samsa aus unruhigen Träumen erwachte und sich in den Körper eines Insekts verwandelt sah. Nein, mir träumt es nicht, ich bin wach und gleichzeitig am Verwesen.

Lachen Sie nur, elendiger Freund der Modekrankheit, Sie Heuchler des Burn-Outs und der Hysterie! Es ist Tatsache. In einer Séance sprach ich erst kürzlich hierüber mit Jules Cotard, dem französischen Neurologen und Namensgeber jener Krankheit, über mein Problem. Er attestierte mir Abscheu vor meiner selbst, gleichermaßen aber auch, kein Unikum zu sein. „Mademoiselle X“, so erzählte er mir, den tatsächlichen Namen seiner Patientin wahrend, „lehnte nicht nur die Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme, sondern auch Teile ihres Körpers ab“.

Ich fühle mich unwirklich. Wenn ich früh morgens in den Spiegel schaue, sehe ich nicht eine unfrisierte, unrasierte, unausgeschlafene Fratze, die danach giert, wieder zwischen die Laken zu kriechen, sondern ich sehe nicht mich selbst. Meine Emotion spricht: „Das Ich bin nicht ich.“ Ich bin mir nicht vertraut. Cotard erzählte mir, es liege an meinen limbischen Strukturen. Jene gaukeln mir vor, dass eine Vertrautheit zwischen Ich und Über-Ich nicht existiert. Ich behaupte, nicht ich zu sein. Ich bin mein eigener Schwindler. Sehe ich mich, assoziiere ich das Nichts.

„Woher, woher nur rührt diese Störung?“ frug ich ihn. Cotard stöberte in meiner Vergangenheit, meiner Kindheit, suchte nach Unfällen, die eine Hirnstörung hervorrufen hätten können. Fehlanzeige. Sitzungen um Sitzungen, Fragen tiefer schürfend als Lassing, Resultat kleiner gleich null. Dann lud ich ihn ein, zu mir daheim, er erforschte mein Umfeld, meine Gelüste, meine Gepflogenheiten – und siehe da, er wurde fündig. „Doom Or Be Doomed“, ein Sampler aus dem Hause Terrorizer. „Sons Of Sabbath” der aktuellen Ausgabe des britischen Metal Hammer, sowie der Sampler der letztjährigen Metal-Hammer-Ausgabe „Tribute To Black Sabbath“. BLACK SABBATH selbst. ELECTRIC WIZARD. ORCHID. UNCLE ACID. WITCHCRAFT. MAMMOTH MAMMOTH. Ein Ticket zum letztjährigen Desertfest in London. Ein bereits gebuchtes Ticket für das diesjährige Festival in der Pipeline. Und THE WOUNDED KINGS nebenbei in der Anlage rotierend.

Cotards Urteil war verheerend: Meine musikalische Affinität hat mich in mir drin sterben gemacht. „Den THE WOUNDED KINGS insbesondere“, so hob er an, „ist ein derartiger schnörkelloser Nihilismus anheim, dass es gar nicht anders kommen konnte.“ Sprachs, und verwies auf die Trance, die insbesondere dem überlangen Opener „Gnosis“ anheim ist. „Eine derartige Monotonie und die dichte Atmosphäre“, schrieb er mir auf das Krankenblatt zur Vorlage an meiner Arbeitsstelle, „ist ausschlaggebende Ursache, dass Herr Stefan Baumgartner, geboren am 9. August 1982, sein eigen Fleisch und Geist negiert.“

Der Amtsarzt klopfte Tage später, ich lag im Taumel der Lust, an, er wolle sich überzeugen, hieß es. Ich nahm ihn auf, in meinen Zirkel, und ließ ihn eintauchen in das Mammut, das aus den Sümpfen des britischen Dartmoors durch meine Anlage waberte. Nebel machte sich auf meinen 100 Quadratmetern Wohnfläche plötzlich breit, das Parkett wurde sumpfig, von irgendwoher heulte ein Ungetüm der Natur Wolfshund oder vergleichbaren Charakters. In eigenartige Trance versunken fielen er, der Amtsarzt, und ich, zu Boden, durch die Nebelschwaden, Düsternis machte sich breit, eine, wie man sie vielleicht aus „Häxen“ kennt oder kürzlich bei „The Lords Of Salem“ erahnte. In Stephen Kings „The Stand“ wird eine postapokalyptische Welt beschrieben. Glauben Sie mir, verglichen mit jenen Visionen, die THE WOUNDED KINGS mit „Consolamentum“ evozierten, war „The Stand“ fröhlichstes Disneyland, ein Kinkerlitzchen.

Ich fühle mich plötzlich unwohl, ein Blick nach links zum Amtsarzt zeigt: Ihm geht es keinen Deut besser. Sharie Nyland heult aus infernalischen Untiefen, dass die Hälfte Mariannengraben genug wäre, darüber legt sich ein Magma aus Rhythmus und Lead, der die psychedelischen Welten, die man dereinst bei THE DOORS oder LED ZEPPELIN kennenlernte, wie Kindergeburtstag mit Clowns und Konsorten erscheinen lassen. Mit der „Unerträglichen Leichtigkeit des Seins“ betitelte Milan Kundera dereinst einen seiner Romane – nun lastet auf uns eine unerträgliche Schwere des Seins, die nicht nur erdrückt, sondern verschlingt. Mir wird schwarz vor Augen. Ein blutendes Pentagramm entsteht wie aus Geisterhand mit feinen Schnitten auf meiner entblößten Brust. Dunkelrotes Blut rinnt zu Boden, viskos, wie auch die untermalende Musik. Eine Schlange zischelt heran, kopuliert mit meinem Geist – wie, ich weiß es nicht. Der große Alfred Schuler tänzelt mit Kränzlein am Haupt und in weißem Gewande herbei, ruft auf zu dionysischen Freuden, er reicht uns, dem Amtsarzt und mir, zur Erquickung unserer trockenen Kehlen ein Glas schweren Rotweins, von den Reben Montenegros, des „schwarzen Berges“. Wie passend.

„Baeumt er sich auf, Stier Dionysos“, rezitiert Schuler frohlockend, macht eine Gedankenpause, und fährt fort: „Brandmal. Schandmal. Bereit zu Beil und Schlachthieb.“ Es heult irgendwo, vermutlich erneut Sharie. „Stierwut! Bereit zum Herzblut!“ Schalen werden gereicht, gefüllt, für uns Trunkene, für uns im Liegen Taumelnden, im nebulösen Nirwana Versunkenen, mit dampfendem Lebenselixier. Lichtaugen erscheinen im Schwarz des Raumes, mein Körper zittert, der des Amtsarztes macht es mir nach. Die Nächte, sie rasen, der Blutring schließt sich, mein Glutmund öffnet sich, es flammt, schäumt, braust. Es fröstelt mir, innerlich jedoch lodernd. Ich schaue in den Spiegel an der Decke. Mir entgegen starrt eine Fratze, zerfressen von Maden und Gewürm. Modrige Erde knistert in meinem Mund. Die Augäpfel, sie safteln, bersten. Mir träumt, ich bin tot, und tatsächlich: Mit THE WOUNDED KINGS bin ich es.

Vintage-Sounds mögen eine Modekrankheit sein. Doch ich sollte dringend das Aciclovir absetzen. „I am the living dead“, hauche ich mit meinem letzten Atemzug. Nero Cosmogonos, – ich befinde mich nun im Krankenstand, sterbe auch du.



Bewertung: 5.0 / 5.0
Autor: Stefan Baumgartner (17.02.2014)

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