CORPSESSED - Abysmal Thresholds

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VÖ: 04.02.2014
Bandinfo: CORPSESSED
Genre: Death Metal
Label: Dark Descent Records
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Lineup  |  Trackliste

Retro ist chic. Das beweisen zahlreiche Vertragsabschlüsse dementsprechender Künstler vorwiegend mit dem Labelgiganten Nuclear Blast, über die Maßen gut besuchte Festivals und Konzerte wie die Roadtrip-To-Outer-Space-Reihe in der Wiener Arena, das Desertfest und das Roadburn Festival, aber auch die kostenpflichtige Liebe zum Detail bei jenen Veröffentlichungen, die da feilgeboten werden. Kein vernünftiger Product Manager unterschreibt Pressungen von färbigem Vinyl, wenn er dies nicht an die Leute bekommt. Vintage Rock – Doom, Stoner, Psychedelic, Desert, you name it – ist beinahe (zweifelsohne oft auch unreflektierter) Selbstläufer und damit fast so chic wie das Zusammentreffen der antiken Römer mit Obelix, nachdem er in seinen „Schick, schick, schick!“-Freudentaumel verfallen ist.

Einen deutlichen Batzen weniger chic ist die Retrowelle im Genre des Death Metals. Hier regieren Bands, die sich einen Schriftzug auf das Backdrop gepackt haben, der einem explodiertem Schoko-Joghurt (und somit der gesamten Kollegschaft) gleicht, die in Windeseile auf ihrem Instrumentarium die Integralgleichung dekonstruieren und in bester Hardcore-Manier durch die Botanik slammen, dass kein Gänseblümchen mehr stehen bleibt. Überwiegend in Vergessenheit geraten ist die Epoche, in der Identität noch den Ausschlag gab – während sie alle unter der Flagge „Death Metal“ ihren obszönen Lüsten frönten, ist der Wiedererkennungswert bei den alten Heroen MORBID ANGEL, CANNIBAL CORPSE, GRAVE, DEICIDE, PUNGENT STENCH, DEATH, PESTILENCE, BOLT THROWER und zig anderen gegeben – da weiß man nach den ersten Tönen in den Lauschern, welches Häschen hier hoppelt. „Früher war alles besser“, ist ein Sager, den ich üblicherweise verabscheue wie die Pest und Cholera, und die Ermi-Oma meinte zu mir erst kürzlich, dies sei sogar ausgemachter Humbug, früher sei nur das Bessere besser gewesen, dafür das Schlechtere „goa ka Spaß“ – wissen immerhin gar die JAKAS „Früher war auch nicht alles gut“.

Doch in diesem Falle grunzt der große Julius Cäsar gar ein grimmiges „Quod erat demonstrandum!“ und belegt mit der Tatsache, dass selbst in ihren guten Vierzigern die alten Herren dem Nachwuchs noch die „Wadln fire richtn“, wie Andreas Gabalier wohl formulieren würde. Das beweisen sie auf Platte wie auf Bühne gleichermaßen, was heute als „musikalisches Komasaufen“ bezeichnet wird, war früher lediglich mal ein lässiges Vorglühen. Dieser Tatsache bewusst sind sich aber auch einige wenige der jungen Spunde, so auch CORPSESSED aus dem finnischen Järvenpää, die mit „Abysmal Thresholds“ nach zwei EPs ihr Longplayer-Debüt vorlegen.

Es war damals, im Jahr 1992, als mir Jorgen Sandström durch die Boxen „Take my hand and walk with me until the end – you will never see … HEAVEN!“ ein bis heute ungeschlagen grandioses Album eröffnete, GRAVEs „You‘ll never see …“. „Grave“. Ein simples englisches Vokabel, nicht einmal besonders lang oder mit auffallender Syntax oder gar obszön – allerdings mit mehr als nur einer, wenn auch landläufigen, Bedeutung, der des „Grabes“. Auch „gewichtig“, „einschneidend“, „Besorgnis erregend“ und „schwerwiegend“ fallen in das breite Spektrum der Übersetzungsmöglichkeiten – und beschreiben damit allesamt in bester Harmonie die Tragfähigkeit jener Schweden.

Aus modrigen Gräbern erhoben sie sich, streiften sich die zerfetzten Leichentücher ab und verströmten penetranten Verwesungsgeruch mit einem Lächeln im verfaulten Fleisch des Antlitzes. „Dead“ und „blood“ waren die wichtigsten Wörter des Kommunikationsspektrums jener Herren, die den herrlichen Schwedentod am zielstrebigsten und kompromisslosesten gefolgt sind: weniger IRON MAIDEN-Huldigung als bei DISMEMBER („Soon To Be Dead“!), weniger Met-Prosterei als bei UNLEASHED („Bloodbath“!) und weitaus weniger Wankelmut als bei den Herren von ENTOMBED („Drowned“!), dafür sympathischer Minimalismus und Ungehobeltheit, die Grundlage für zahlreiche Monumentalwerke – „Hating Alive“ allein ausgeklammert – wurden. Unverkennbar schwermütig und unwirsch (wenngleich auch mit wenigen nennenswerten Überraschungsmomenten) wabern selbige aus den Lautsprechern, wie auch bei den kleinen Brüdern von CORPSESSED, denen ich an jener Stelle einmal frech unterstelle, mit der Namenswahl – formierten sich GRAVE immerhin unter dem Banner CORPSE – eine Huldigung an jene unterstelle.

Auch CORPSESSED wissen, minimalistisch mit Melodie zu geizen und zähfließende, lavaartige Rhythmen mit unvergleichbarer Prägnanz zu zaubern, dass dem Wüten eine neue Messlatte verpasst wird. „Abysmal Thresholds“ ist purer Klassizismus, insbesondere meint man gar einen Hauch von Olas Stimmlage auszumachen. Dumpf schlurfen jene fünf mit tonnenschweren Hassbatzen dem Nikolo gleich auf die Schultern geladen durch die Gehörgänge, dass es eine wahre Freude ist und zurückversetzen in das herrliche Jahr 1992, als die Welt verdammt noch einmal in Ordnung war und zuletzt gehört wurde bei – lasst mich mal überlegen – REPUGNANT (insbesondere mit der EP „Hecatomb“), und da ist der letzte Output nun auch schon acht Jahre her.

Was FLESHCRAWL in ihrer langen Karriere nie zur Vollendung gelang, gelingt CORPSESSED beinah spielerisch: Hier riecht es nicht nach schwedischem Friedhof, hier „fäht“ es gar nach Siechtum, um einmal etwas salopper zu formulieren. Allein die Vielzahl an an CELTIC FROST denken lassende „Ugh“s machen onanieren, CORPSESSED sind seit Jahren vielleicht der beste „Boogeyman“. Gar gräulich ist die Stimmung, makaber ihre Magie, gespenstisch quälend ihr Charakter. Ihre Ästhetik scheint ein aus des Teufels After düftelndes wunderbares Aroma zu entfalten, ein Bouquet, ein Odeur, das auch zarte Noten von frühen INCANTATION und IMMOLATION erahnen lässt.

„Abysmal Thresholds“ ist kavernös, ein massiver Monolith, schlichtweg Badass-Blasphemie. So gehört kein „Funeral March“, sondern ein „Funeral Doom“ gespielt, schauerlich, DEMIGOD zur Potenz! Wenngleich die Finnen den Einbalsamierungsprozess nicht neu erfinden (Warum auch? Was funkt, funkt.), so schaffen sie es auf Anhieb, sich mühelos zwischen „Dark Recollections“ und „Slumber Of Sullen Eyes“, zwischen GRAVE und DISMEMBER, frühen ENTOMBED, CARNAGE und NIHILIST, aber auch SEANCE und GROTESQUE einzuordnen und somit ein zeitloses Album abzuliefern, das hymnisch ausrufen macht: „Rise, rise from the grave – so I can die, satisfied!“



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Stefan Baumgartner (29.01.2014)

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