THE NIHILISTIC FRONT - Procession To Annihiliation

Artikel-Bild
VÖ: 29.07.2013
Bandinfo: THE NIHILISTIC FRONT
Genre: Doom Metal
Label: Aesthetic Death
Hören & Kaufen: Amazon | Ebay
Lineup  |  Trackliste

Herzlich willkommen im Ödland. „Oculus non vidit, nec auris audivit“, heißt es hier, und bei Jean-Paul Sartre erfahren wir, dass der Mensch im wahren Können sein Ego überschreitet, sein Geist nicht in der Materie eingeschlossen ist, sondern allgegenwärtig in einem menschlichen All ruht. Das fleischliche Sein transzendiert in eine nebulöse Existenz, Raum und Zeit wird negiert – das alleinige Faktum ist die Perspektive. Die vergängliche Kreatur wird aufgelöst, demontiert, zergliedert. Die Realität wird überblendet, allein das Pulsieren des Lebens wird aufgesogen und begreifbar gemacht – Energie wird zur Atmosphäre.

Plötzlicher Einsatz von repetitiven Achteln auf den Toms, man kennt dies als beginnenden Hagel bei „Raining Blood“. Wieder, und immer wieder. Feedback flirrt durch den Raum – da mag wohl jemand in Rage geraten sein und das Saiteninstrument durch den Verstärker gerammt haben? Modder, Schlick, ja Urschlamm sickert schwärzlich aus dem Mono-Klinkstecker, über die Röhren, birst durch die Verkleidung – das Oszilloskop zeigt zuerst noch einen schwachen Sinus, dann: immer weniger Ausschlag, weniger, und weniger. Schließlich: Ein Pegel auf der y-Achse gleich Null. „Zeitpunkt des Todes.“

„Onwards, onwards to Golgotha!“, hinein in die pechschwarze Katharsis, lasst die Raben picken am toten Fleisch – scheiß auf „Nevermore! Nevermore!“, entfleische mich lieber auf „evermore“! So, so und nicht anders wird der Höllentrip, die Irrfahrt ins tiefste Ich geschrieben – während Josef Hader, verlassen in der Wüste, sich auflöst, indem er sein eigen Fleisch und Blut durch die Nares schnupft, so ist die „Procession To Annihilation“ der lärmende Geburtskanal, durch welchem die zuvor angesprochene Transzendenz erst tatsächlich vollzogen wird. Unter brütender Sonne sich auflösen, das kann doch jeder.

Der qualvoll geröchelte Gesang, im Zwiegespräch mit gepeinigtem Lamento stehend, lädt auf jene Reise ins Nichts, wirft man jedoch wie Orpheus aus der Unterwelt wandelnd einen Blick zurück, so sieht man auf den eigenen Körper, zur Unkenntlichkeit niedergebrannt, nur mehr verkohlte Pestilenz, knochige Überreste. Dies mutet ein wenig grotesk an. Die Konsternation sitzt erwartungsgemäß tief in den nicht mehr vorhandenen Gliedern – und doch wird es einem bei jenem Anblicke nicht schwarz vor Augen, vielmehr ... monochrom. Der Schritt wird entschleunigt, gleichzeitig wirkt das Sustain aber schier ewiglich, wie ein Sog, der stets tiefer fährt. Das Klangbild ist fragmentiert, abgrundtief – man vermeint, die Töne, die jene zwei Australier kreieren, verwesen zu sehen.

Wie auch schon auf den drei nicht minder erdrückenden Kolossen zuvor werden brachiale Konstrukte geschaffen, die dicht, aber ausladend nur knapp an der Grenze zum Drone vorbeischrammen, man mag attestieren: BOHREN & DER CLUB OF GORE, nur ohne Jazz. Dafür mit potenzierter Verzweiflung und Wahnsinn, eine trostlose Verstümmelung der Harmonieleere, Böen, wie wenn DISEMBOWELMENT und ATARAXIE ihre destruktiv-infernalischen Heerscharen gegeneinander aufhetzen würden, würden sie dies wagen. THE NIHILISTIC FRONT stellen sich jenem Vabanquespiel.

SHINING? Ha! So ritzt man im Teletubbieland! „Black Metal ist Krieg!“? – „Aber bitte mit Sahne!“ Grammelot wird zu Grummelot, komplexe tableaux vivants gleichen der „beauté du diable“, weben einen gordischen Knoten, der jeden geneigten anarchistischen Schergen in Krämpfen sich windend mit archaischer Gewalt in jenes avantgardistische Inferno zieht.

„Process To Annihilation“ lärmt. Es ist ein Zirkel, mit wiederkehrenden Motiven und einer verbissenen, unbeugsamen Ästhetik, die Grauen macht. Ein kataklystischer Zerfall, in seiner Simplizität aber doch komplex, denn streichen, streichen könnte man hierauf wohl keinen Ton, ohne dass die Leerstellen, aus denen es vor allem lebt, bröseln und bersten. Macht euch gefasst auf ein impressionistisches Chaos, und schneidet euch beim Hören mit Rasierklingen den Augapfel auf, quetscht hervor den Glaskörper, auf dass ihr euch nicht des Orpheus Fehltritt in der Wiederholung leistet – denn der Blick zurück, das wäre nur das Widerwärtigste, das eure Erfahrung nun noch ertragen könnte. „Onwards, onwards to Golgotha“, und hinein in die Logorrhö der schmatzenden, pickenden Leichenfresser.



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Stefan Baumgartner (28.01.2014)

ANZEIGE
ANZEIGE