Lumbar - The First and Last Days of Unwelcome

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VÖ: 25.11.2013
Bandinfo: Lumbar
Genre: Doom Metal
Label: Southern Lord Recordings
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Lineup  |  Trackliste

In sieben Tagen, so heißt es, erschuf Gott die Welt. Dass Gott, obwohl Vater von allen Geschöpfen, aber auch (zumindest im Alten Testament) ein kleiner großer Fiesling ist, beweist er soeben gekonnt mit LUMBAR.

Denn hinter dem Projekt steht Aaron Edge, der das Debüt „The First And Last Days Of Unwelcome“ mehr oder weniger im Alleingang eingezimmert hat und nur in punkto Stimmen auf zwei Mitstreiter (Mike Sheidt von YOB und VHÖL, sowie Tad Doyle von BROTHERS OF THE SONIC CLOTH und ROARETH) zurückgriff. Aaron, in seinen Vierzigern stehend, war bis vor kurzem noch eine fitte Sportskanone: Marathonläufer, Radfahrer auf Distanz. Bis ihn der Schicksalsschlag ereilte: Plötzliches Kribbeln auf der Haut. Schmerzen in den Händen. Schmerzen am ganzen Körper. Dann, nach zahlreichen Arztbesuchen und einer Lumbalpunktion die vernichtende Diagnose: multiple Sklerose. Die verständliche Folge: Depressionen, Suizidgedanken.

Dieses vernichtende Umfeld findet sich im beklemmenden Doom/Sludge-Kosmos von LUMBAR wieder, obwohl das Projekt noch vor der Diagnose gestartet wurde. Die Aufnahmen jedoch, fielen genau in die Zeit, in der sich Aaron vor Schmerzen krümmte und erst an das „neue Leben“ gewöhnen musste. In der Literaturgeschichte heiß diskutiertes Thema ist der „Tod des Autors“: Nicht jeder biographische Aspekt zieht zwangsweigerlich auch in das literarische Schaffen ein, nicht jeder Text ist auf den Autor umzulegen, manchmal ist Fiktion schlichtweg Fiktion, und keine Selbststudie. Demnach kann, darf und muss LUMBAR natürlich auch losgelöst von Aarons Schicksalsschlag betrachtet werden, darf erst recht nicht als „Selling-Point“ gelten, ähnlich wie bei BEHEMOTH: Krankheit, Kampf und Genesung in allen Ehren, lieber Nergal, aber nicht erst seit „The Satanist“ ist deine Band vielmehr als „the majority of U.S. Death Metal“ „boring and generic“.

Man wird niemals erfahren, ob „The First And Last Days Of Unwelcome“ unter anderen Umständen anders geklungen hätte, die musikalische Historie der drei Herren legt dies jedoch nicht nahe. Sie kommen alle aus einem Proto-Punk-, Grunge-, Crust-, Stoner-, Sludge-, Funeral-Doom- und Black-Zirkel, der ohnehin aus den Attributen „Disharmonie“, „Beklemmung“, „Düsternis“ und „Verstörung“ sich nährt, somit darf man vermuten, dass das wirkliche Leben hier maximal noch die Basis potenzierte, Humus auf ohnehin schon fruchtbaren Boden kippte.

Während der knurrende Bass die Magengegend ohnehin schon gehörig strapaziert, wirken die zwischendurch immer wieder eingestreuten disharmonischen Feedback-Passagen massiv verstörend auf die Psyche. Nicht minder auch das fiese, verzweifelte Geschrei der drei Herren, das sich durch die Geräuschkulisse aszendiert, dann wieder im Nebel versinkt, um erneut aufzubegehren. Klingt, wie die Hexenverbrennung gerochen haben muss. Dazu ganz viel Geifer, Klaustrophobie, ein Pendeln zwischen (musikalischem) Chaos und geradlinigem Preschen. Inquisition eben.

LUMBAR klingt, wie vieles aus dem Hause Edge zuvor – und ist bei Gott kein neu erfundenes Rad. Die Umsetzung jedoch ist beispielhaft. Insbesondere, weil gerade zur Mitte – also irgendwo zwischen dem dritten und vierten Tag, in etwa dann, als Gott sich gerade um Land und Meer, die Pflänzlein, Sonne, Mond und Sterne kümmerte – über den Tellerrand geblickt wird, und Loops gezaubert werden, die alles, nur nicht destruktiv sind, sondern beinahe Drei-Wetter-Taft verströmen. Freilich hält dieses Zwielicht nur kurz, die Schattenwirtschaft steht vor der Tür, und MORRICONE quietscht sein Lied vom Tod (sechster Tag).

LUMBAR spricht, auch wenn die Einnahmen an den Plattenverkäufen die Krankenversicherung ersetzen, davon losgelöst für sich. Gespenstische Szenen reihen sich aneinander, werden unter Zeitdruck zermalmt und gebären somit wohl eines der gewaltigsten Todeslieder, das die Musikgeschichte kennt. Zurück bleibt nur: gewaltige Paranoia, Machtlosigkeit und beklemmende Bangnis.

Hier ist der „Tod des Autors“ allen Theorien zum Trotz omnipräsent und unausweichlich.



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Stefan Baumgartner (19.02.2014)

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