DEFACED CREATION - Serenity In Chaos

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VÖ: 31.03.2014
Bandinfo: DEFACED CREATION
Genre: Death Metal
Label: Punishment 18 Records
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Lineup  |  Trackliste

Es ist immer wieder faszinierend, auf welche Spompanadeln der Mensch aufgrund von Überzeugung, bewusstseinsstimulierenden Mittelchen oder psychischen Irrleitungen kommt. Dabei denke ich nicht an den Mikrokosmos „ein halber Liter Bier auf ex, live in Facebook“ oder an „fahren wir einmal mit dem Einkaufswagerl in den McDrive“, und auch nicht an die welt-politisch und welt-religiös motivierten Kriegszüge, sondern an die Dummheiten, die genau in der Grauzone dazwischen liegen: „And when you kill a man, you're a murderer; Kill many, and you're a conqueror – kill them all ... ooh ... Oh you're a god!“, sang schon Megadave.

Ich denke da an brennende Gotteshäuser, Szene-Fehden, die ein bisserl aus dem Ruder liefen (bis einer stirbt), Kinderschändungen, Vergewaltigungen – oder, beinahe schon harmlos, Musiker, die Fans bepinkeln, bespucken oder treten, ihnen die (mitfilmenden) Handys zertrümmern. Das sind alles Dummheiten, die eigentlich im Grunde ... nicht wirklich notwendig sind und tatsächlich immer nicht gut gehen. Mit derartigen Problemen hatten auch DEFACED CREATION zu kämpfen. 1993 als UNORTHODOX im malerischen Östersund gegründet, musste man sich 1994 nicht nur aus namensrechtlichen Gründen umbenennen, sondern auch auf Gitarrist Stefan Dahlberg verzichten, wurde jener nach Brandstifung und Grabschändung in eine Plem-Plem-Klinik gesteckt.

Jammern ist jedoch nicht, wir befinden uns nicht im JUSTIN-BIEBER-Fanclub: Nach dem handelsüblichen Einstiegsdemo, einer EP und zwei Splits (mit AETERNUM und STANDING OUT) nahm sich das kurzlebige Label VOD Records der Herren an. VOD zeichneten auch für die sensationelle Split CENTINEX / INVERTED verantwortlich, zweite des Labelbosses Band – und für das nun neu aufgelegte Debüt „Serenity In Chaos“ aus dem Jahre 1999.

1999. Da schoben AMON AMARTH gerade „The Avenger“ raus, ARCH ENEMY ihr letztes Album mit Johan Liiva, „Burning Bridges“. AT THE GATES waren gerade drei Jahre tot, DEFLESHED auf „Fast Forward“-Kurs. DERANGED standen mit „III“ wiederum hoch im Kurs, und DISMEMBERs Hymne „Death Metal“ war auch schon zwei Jahre alt und den Windeln entwachsen. EDGE OF SANITY durchliefen gerade ihre „Evolution“, „Same Difference“ bei ENTOMBED. GRAVE waren interimsmäßig begraben und GROTESQUE legten mit „In The Embrace Of Evil“ ein Machwerk vor. HYPOCRISY zerstörten Wacken und IN FLAMES eroberten „Colony“. NECROPHOBIC beschworen den „3rd Antichrist“, OPETH waren „Still Life“ und schließlich THE CROWN befanden sich gerade zwischen „Hell Is Here“ und dem „Deathrace King“. UNLEASHED gurkten in künstlerischer Schaffenspause und VOMITORY forderten „Redemption“. Ein bewegtes Jahr, da lässt es sich schon verzeihen, dass DEFACED CREATION – einem tadellosen Album zum Trotz – irgendwie in der Masse untergingen und erst etwas später, unter erneut neuem Namen – AEON – vorerst auf Unique Leader, dann auf Metal Blade und mit mehr Wumms einen Tick mehr Breitenwirkung bekamen.

Liegt vielleicht auch in der Tatsache begründet, dass „Serenity In Chaos“ weder in die alte, schwedische Tradition passen wollte, andererseits aber auch nicht auf die breite Masse (HYPOCRISY) schielte oder mit einem Übermaß an Brachialität (DERANGED) zum damaligen Zeitpunkt noch für Aah-und-Ooh!-Effekte sorgen konnte. DEFACED CREATION standen irgendwo zwischen alledem, verloren auf weiter Flur, aber schließlich ist nicht aller Tage Abend, wie die Neuveröffentlichung (mit neuem Artwork) über das italienische Label Punishment 18 beweist.

Hauptbestandteil von „Serenity In Chaos“ sind knorrige Riffs, die auf eine Achterbahnfahrt laden, die freilich weit entfernt vom Chaos von MESHUGGAH und Konsorten ist, sich aber doch weder hinter DERANGED, noch nachfolgenden Landskollegen wie VISCERAL BLEEDING oder SPAWN OF POSSESSION verstecken muss. Gepaart mit aggressivem Gegröhle, das an einen jüngeren Glen Benton denken macht, erinnert „Serenity In Chaos“ an nicht wenigen Stellen an „Once Upon The Cross“, insbesondere in der (rar eingesetzten) Lead-Sektion dürfte man sich einiges bei den Gebrüdern Hoffman abgeschaut haben. Dabei schielt das Gesamtobjekt nicht überdeutlich über den Teich ins sonnige Florida, sondern macht eher an die Wohnmobilfahrer von SINISTER oder ALTAR zu ihren Anfängen denken, insbesondere der Schlagzeugsound wie auch die Stimmlage von „Youth Against Christ“ schwingt hier überdeutlich im Hintergrund mit, dazwischen auch Anleihen an „Hate“. Das klingt nicht nach Sunlight, erst recht nicht nach Göteborg, sondern wie ein gekonnter, blasphemischer Mix aus den Death-Metal-Hochzeiten in Europa und Amerika mit massig gedämpftem Tremolo. Spitze.

Verzichten muss man hier also – obwohl „Schweden“ draufsteht – auf den typisch knarzigen Basssound, wenngleich die Produktion hervorragend erdig und ein bisschen verwaschen geraten ist. Auch das Geröchel, das zahlreiche Landskollegen so auszeichnete, wird man hier vermissen – wird aber von Tommy Dahlstrom mehr als gekonnt entschädigt.

„Serenity In Chaos“ war damals, 1999, kein bahnbrechendes, gigantisches Meisterwerk. Selbiges ist es auch heute nicht. Damals hätten die Schweden aber dennoch weitaus mehr an Aufmerksamkeit verdient – allein schon wegen der gekonnten „Völkerverbindung“. Heute ist „Serenity In Chaos“ jedoch eine herrlich erfrischende Reminiszenz an Zeiten, als man Stücken noch das Prädikat „einprägsam“ aufdrücken konnte und Geschwindigkeit und Technik nicht alles war. Werther's Echte halt. Om-nom-nom.



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Stefan Baumgartner (24.03.2014)

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