Architects - Lost Forever // Lost Together

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VÖ: 11.03.2014
Bandinfo: ARCHITECTS
Genre: Hardcore
Label: Epitaph Records
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Lineup  |  Trackliste

Das Genre Metalcore ist mittlerweile mit dem roten Wald um Tschernobyl zu vergleichen: Komplett verseucht. Doch mitten im Dickicht finden sich immer wieder einige gesunde Sprösslinge, so unrealistisch das auch erscheinen mag. Über den Status der Ziehlinge sind die Briten ARCHITECTS bereits weit hinaus - zu einer der äußerst wenigen Hoffnungen für dieses von elendigen Chugchug-Patterns und Pseudo-Meshuggah-Klonen mit latentem Drang zu inspirationslosem Breakdown-Prozedere infizierten Musikstils herangewachsen. Dabei sah das mit "The Here And Now" nach dem fabelhaften "Hollow Crown" noch ganz anders aus: Zu viel Weichspüler, zu wenig Eigenständigkeit. Viele Fans hörten das äußerst ungern, was in Anbetracht der Mathcore-Vergangenheit auch nicht allzu verwunderlich war, aber für den Nachfolger "Daybreaker" hat man seine Eier rechtzeitig wiedergefunden, wie Sam Carter einst in einem Studioupdate verkünden liess.

Im Hier und Jetzt angekommen, hat der aus Brighton stammende, grelle Hoffnungsschimmer das in der Szene heiß erwartete "Lost Forever // Lost Together" im Köcher - und so viel darf vorweg genommen werden: Der 11. März ist gleichbedeutend mit dem Tag der Abrechnung. Melancholische Cleangitarren erlaubt sich "Gravedigger" für exakt 16 Sekunden, doch dann ist für gut 40 Minuten Schluss mit lustig. Dabei zimmern sich die Architekten vor allem in den folgenden "Naysayer" und "Broken Cross" in eine Nahezu-Extase und zerdrücken den geneigten Hörer mit Variabilität in Sachen Tempo, technischen Halbtagsausflügen in Richtung ihrer eigenen Vergangenheit und intelligenten Breakdowns, die ihrem Namen in diesem Falle alle Ehre machen. Dazwischen immer wieder eindringliche Leadgitarren-Spielereien, die anderen Bands aus diesem völlig maroden Genre nicht mal im Traum einfallen würden. Das ist gleichwohl auch einer DER Pluspunkte von ARCHITECTS: Atmosphäre. Deswegen ist die Überlegenheit dem Rest gegenüber auch so erschreckend eindeutig. Die Instrumentalabteilung erschafft aus ihrem kreativ schier endlosen Pool enorm mitreißende und tiefergreifende Fundamente, die Sam Carter auf "Lost Forever // Lost Together" einfach tadellos wie auch erbarmungslos mit einer Attitüde unterlegt, die nichts weniger als beeindruckend ist. Er ist kein Prediger oder schwätzender "Weltverbesserer", seine Texte werden von seinem extatischen Schreiorgan quasi-perfekt und glaubwürdig vorgetragen, selten kriegt man in derartiger Manier verbal die Fresse poliert, wie in diesem Fall.

Die klaren Gesangsspuren sucht man größtenteils dementsprechend vergebens, deutlich reduziert treten sie nur noch vereinzelt im Opener, in Semi-Clean Gestalt ("Broken Cross") und gegen Ende auf. Dafür hat man sich die Dreistigkeit erlaubt, dem ohnehin hittauglichen "The Devil Is Near" mit "Hey Hey"-Gangshouts zusätzlich Live-Tauglichkeit zu injizieren, was unter Betracht der vorangegangen Mörtelorgie allerdings auch als gelungene Abwechslung zu verbuchen ist. Die gewisse Eintönigkeit war zu Beginn auch noch der leichte Funke Kritik, der sich zu halten versuchte, doch ARCHITECTS ziehen ihren Kopf mit geschickten Ambientparts ("C.A.N.C.E.R.") und Instrumentals ("Red Hypergiant") aus der Schlinge, nur um dann im nächsten Augenblick wieder zum Rundumschlag auszuholen. Das gelingt erstaunlich gut, und dann bekommen Fans des vorangegangen "Daybreaker" mit "Colony Collapse" auch einen für "Lost Forever // Lost Together" vergleichsweise ruhigen Song, dessen Text durch die primär klare Gesangsdarbietung an Dramaturgie sowie an zusätzlicher Tiefe gewinnt.

Und so stark wie die Briten angefangen haben, so hören sie qualitativ betrachtet auch auf. Hat "Castles In The Air" noch eine ungewohnt melodische Riffüberleitung, die an so manche Jona-Weinhofen-Glanztat bei BRING ME THE HORIZON oder I KILLED THE PROM QUEEN erinnert, brilliert "Youth Is Wasted On The Youth" durch selbstreflektierende Textfragmente, die allerdings nicht in Selbstmitleid enden, sondern im ersten Teil ausgekotzt und im zweiten von Murray Macleod (THE XCERTS) fast schon besonnen formuliert werden. Dann schlägt das stampfende "The Distant Blue" die letzten Töne des Albums an, und entlässt nach purer Zerstörung, gefühlsstarken Verschnaufspausen und vielen textlichen Glanzstücken in ein letztes, vom Keyboard getragenes Finale.

"Lost Forever // Lost Together" ist rückblickend betrachtet ein fast perfektes Album fernab der Genre-Diskussion. Was die Brüder Searle, Drummer Alex Dean und Sam Carter hier abliefern, ist ein Werk, welches aufwühlend, ergreifend und intensiv zugleich ist. Keine kindgleichen, gar kleingeistigen Möchtegern-Anti-Parolen aus der Opferrolle, sondern eine Gegenbewegung klugen Kopfes, elf Stücke voll Ehrlichkeit. Die Hinzunahme des Gitarristen Josh Middleton (SYLOSIS) ermöglicht im Vergleich zum Vorgänger zudem noch mehr Spielraum in Sachen Songwriting, was, wie auch das Soundgewand (dieses Mal von Fredrik Nordström), das Album noch stimmungsvoller und nachhaltiger, auf der anderen Seite aber auch drastisch härter gestaltet.



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: Pascal Staub (05.03.2014)

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