Trollfest - Kaptein Kaos

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VÖ: 28.03.2014
Bandinfo: TROLLFEST
Genre: Folk Metal
Label: Noiseart Records
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Lineup  |  Trackliste

Meine sehr verehrten Damen, Herren und sonstige anwesende Lebensformen,

es ist mir eine Freude, jedenfalls größtenteils, Sie als Vorsitzender des Vereins zur Förderung interkultureller Zusammenarbeit recht herzlich zu unserer Jahrestagung begrüßen zu dürfen. Ich stelle fest, dass zu dieser Veranstaltung fristgerecht geladen wurde, und darf Sie bezüglich des heutigen Programms auf die aushängende Agenda verweisen. Aufgrund der allgemeinen Zeitknappheit darf ich die Veranstaltung umgehend als eröffnet erklären. Die Anwesenheitsliste geht herum, und eine Anmerkung an die letzte Reihe: Bitte essen Sie sie nicht auf.

Wie Sie sehen können, liegt der Schwerpunkt unserer heutigen Tagung auf einem Thema, das dem Vorsitz unseres Vereins schon lange ein Anliegen ist: Mit dem Jahr 2014 vergeben wir erstmals den Hamid-Reza-Yousefi-Gedächtnis-Preis für herausragende Leistungen im Gebiet Interkultureller Studien- und Zusammenarbeits-Unterstützung, kurz ISUZU genannt. Verbunden mit einem internationalen Renommee als zertifizierter Kulturpanscher ist damit auch eine nicht unerhebliche Fördersumme für zukünftige Projekte verbunden, was die Verleihung des Preises nur noch prekärer macht.

Denn wie Ihnen vielleicht bereits aus inoffiziellen Quellen bekannt ist, liegt uns zum Stichtag nur eine Bewerbung auf den genannten Preis vor. Bewerbungen weiterer Kandidaten sind, ebenso wie die Kandidaten selbst, unter mysteriösen Umständen zurückgezogen worden oder verschwunden. Die einzigen verbliebenen Bewerber - achten Sie bitte auf die letzte Reihe des Sitzungssaals - sind eine Bande fragwürdig riechender und albern auftretender norwegischer Trolle in Laborantenverkleidung, die in ihren Bewerbungsunterlagen behaupten, Musik zu spielen, die mehr internationale Musikstile und Kulturkreise miteinander verknüpfe, als es im derzeit bekannten Universum überhaupt gäbe. Zusammen mit der Forderung, es sei für unser aller Leib und Leben gesünder, ich zitiere, "den Scheißpreis und die Kohle rauszurücken, aber pronto", sind uns im Übrigen eine Axt und ein Bienenkostüm zugegangen.

Meine sehr verehrten Mitglieder! Ich frage Sie: Was ist davon zu halten? Nach einer - ich darf mir die Bemerkung erlauben: zunächst schwer zu ertragenden - Prüfung der Bewerbungsunterlagen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass die genannte Behauptung leider nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, was uns eine Ablehnung der Bewerber nicht nur aus Axtgründen bedauerlicherweise unmöglich macht. Wir zeigen uns nichtsdestotrotz schockiert. In einer Dichte, die sogar hartgesottenen Multikultis wie uns das Atmen schwer macht, werden hier neben einer ohrenbetäubend rockenden E-Gitarrenmusik (und ich muss beschämt zugeben... ich habe zwar nicht mehr viele Haare, aber wenn ich welche hätte, würde ich sie schütteln) scheinbar wahllos interkulturelle Einflüsse jedweder Art miteiander vermengt. Ich bitte Sie, was soll das? Was haben Humppa, Balkan-Folklore, Tango, Reggae, Pinyin Zhōngguó Mínyuè, arabische Perkussion, Italowestern-Zitate mit dem Titel "Filzlaus Verkundiger", Schifferklavier und als Gesang verkauftes Hundegebell mit Artikulationsanklängen in einem gemeinsamen interkulturellen Projekt verloren? UND DANN DIESE KORKENZIEHERARTIGEN MITSINGREFRAINS! IN JEDEM BESTANDTEIL DER UNTERLAGEN!? NA SEHEN SIE, WISSEN SIE AUCH NICHT! Verzeihen Sie mir die persönliche Anmerkung, aber das ist doch lachhafte Manieriertheit! Und das von Trollen, MITTEN IN ÖSTERREICH!!!

Entschuldigung.

Darüberhinaus, und hier endet unsere Geduld als Bewerbungskomittee, ist es kaum mit anzuhören, mit welch' kühlem Kalkül und, es schmerzt mich das auszusprechen: großem Talent hier versucht wurde, unseren Ansprüchen an die geistige und auditive Kulturpanscherei gerecht zu werden. Wo bleibt denn da die Authentizität, frage ich Sie? Die Unbeschwertheit, die unserer Sache doch seit jeher eigen war? Dagegen müssen wir uns entschieden zur Wehr setzen, so schwer uns das ob der eindringlichen Zugänglichkeit des Bewerbungsmaterials auch fallen mag, liebe Multikulti-Freundinnen und -Freunde.

Wir haben uns daher entschieden, im Sinne unserer körperlichen und geistigen Unversehrtheit, der Bewerbung ohne weitere tiefergehende Prüfung zu entsprechen und den Hamid-Reza-Yousefi-Gedächtnispreis 2014, nun ja... nehmen Sie es mir nicht übel... an den Bewerber TROLLFEST zu vergeben. Gleichzeitig halten wir es für angemessen, die eingegangenen Unterlagen gleichzeitig der Deutschen Pop-Akademie in Frankfurt zur weiteren Ausweitung der erkennbaren Massentauglichkeit sowie der Klinik für Psychotherapie und Psychatrie der Charité Berlin behufs einer Eindämmung des grassierenden Wahns zuzuleiten.

Ich beende hiermit die Sitzung, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Passen Sie beim Rausgehen auf Ihren Rücken auf.



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Florian Dammasch (09.04.2014)

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