Japanische Kampfhörspiele - Deutschland Von Vorne II

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VÖ: 00.01.2015
Bandinfo: JAPANISCHE KAMPFHÖRSPIELE
Genre: Grind Core
Label: SM-Musik
Hören & Kaufen: Webshop
Lineup  |  Trackliste

Eine gewisse Marli Schmitz wird Sechzig. Ehemann Edmund gratuliert zu diesem Anlass herzlich, und die Ruhrpotter JAPANISCHE KAMPFHÖRSPIELE reihen sich mit dem "Deutschland von vorne"-Nachfolger in die lange Reihe der Gratulanten mit ein. Teil 1 gab es 2005, als Intermezzo zwischen den Splits mit DAS KRILL und POOSTEW - eine Ansammlung an eigenwilligen Interpretationen der heimischen Kollegschaft mit illustren Namen wie GOLDENE ZITRONEN, TOCOTRONIC und FUNNY VAN DANNEN. Ein bisschen "bobo" - oder "kluk", wie Homer Simpson jubilieren würde - waren die Grindpunker ja schon immer, brachte immerhin nicht nur RAMMSTEINs Till Lindemann bereits zwei Gedichtbände raus, auch Kather - seines Zeichens trommelnder Bandhitler - kann mit der "Japanischen Kampflektüre" auf einen Literatenposten (allerdings ohne irgendwelchen Kleinkunst-Honorierungen oder Huldigungen im Feuilleton, geschweige denn Seminaren in Heidelberg) verweisen. Grindcore muss also nicht immer pornorös und "ufta-ufta" oder ein semi-innovativer NASUM-Klon sein. Pardauz.

"Deutschland von vorne" also. Ist das die deutsche - und mangels Goethe - weniger romantische Antwort auf Humphrey Bogarts "Schau mir in die Augen, Kleines!"? Zugegeben, wenn man der Gallionswalküre Angela Merkel in die Augen blinzelt, kommt wenig erotisierendes Prickeln auf - sieht aber "von hinten" auch nicht viel besser aus. Schon eher Fluchtgedanken ("Ich will hier raus") und erschlaffende Glieder ("Mannstoppwirkung"). Dementsprechend bietet jene Kollektion nur im minderen Ausmaß Kuschelsongs, sondern mit Vertonungen nach SCHWEISSER, RUMMELSNUFF, EXTRABREIT und zahlreichen anderen ein Sammelsurium, das von einfallsreichen Promotextern der Labelgiganten wohl als "außergewöhnlicher Hassbatzen" tituliert worden wäre. Dementsprechend sehen JAKA der Wahrheit auch ungetrübt ins Auge und sind sich gewiss, dass dies eine Platte ist, die "wieder nur die Allerwenigsten interessieren wird" - und demnach gleich zur weiteren Reduktion der Käuferschaft auch ausschließlich auf Vinyl erscheint. Und eben auch nicht bei den Herren von Universal, Sony oder Warner, und ausnahmsweise auch nicht auf dem bandeigenen Label unundeux, sondern bei SM-Musik, die unter anderem auch für den Sampler "A Tribute To Goldene Zitronen" (mit JAKAs "Diese Menschen sind halbwegs ehrlich") verantwortlich zeichnen. Oh ja, Ehrlichkeit wird in diesem Haus großgeschrieben - auch und gerade zu besonderen Anlässen. Damit ist jedoch nicht Schmitzens Geburtstag gemeint, sondern das zehnjährige Jubiläum von "Deutschland von vorne". Kein Grund sich auszuverkaufen.

Die Kinderjause Teil 2 mag mit weniger bekannten Namen (siehe oben) auftrumpfen können, ist aber unterm Strich runder und weitaus gelungener geraten. Ähnlich wie die Rückkehr mit "Welt ohne Werbung" (2014) präsentieren sich die Deutschen gereifter (oder fokussierter?) und versierter denn je, wenngleich für jene Aufnahmen das gewohnte Bandgefüge dekonstruiert wurde und mit Gastsängern aus dem Freundes- und Kollegenkreis (SCHWULE NUTTENBULLEN, DIAROE und andere) für Variation gesorgt wurde.

Helene "Corpsegrinder" Fischer wurde übrigens auch gefragt, anstatt einer Zu- oder Absage trudelte jedoch nur ein atemloses Nullmorphem ein. Schade. Im Gegentum von Bandseite abgelehnt wurde leider der Mannheimer XAVIER NAIDOO, der vor einigen Jährchen bereits mit der Coverversion "Vater Unser" von G.SUS & HIS HOMEBOYZ im Formatradio überzeugen konnte. Unverständlich, eigentlich. Zuckerl stattdessen: Kather präsentiert eine Auswahl seiner multiplen Persönlichkeiten und tritt selbst mehrfachst unter diversen Namen nicht nur trommelnd, sondern auch am Gesang in Erscheinung.

Apropos Kather (man merke den roten Faden): Eigentlich wurde angedacht, für "Deutschland von vorne II" in die populärere Bahn zu springen und sich Damen und Herren wie FALCO, HERBERT GRÖNEMEYER, UDO LINDENBERG, WOLFGANG PETRY, DIE TOTEN HOSEN und CHRISTINA STÜRMER zu widmen. Es kam jedoch, wie es kommen musste: Rasch passierte dem Bandhitler der Fauxpas, dass die basisdemokratische Planung über den Haufen geworfen wurde und komplett divergierende Künstler erwählt wurden. Investigative Musikjournalisten mögen vielleicht nun die hahnebüchene Vermutung anstellen, dass Kather nach MÄDCHENDRECK, FAKE IDYLL, ELEKTROKILL und anderen Projekten bereits umfassende Ideen zu weiteren, zwischen Grind, Punk und Black Metal changierenden Lärmformationen mit kreativen Bannern wie HERR BERT GRÖHLEMEYER und DIE STÜRMER (mit rappenden Gastbeiträgen von Rechtsaußen-Zahntechniker H.C. Strache) am Tisch liegen hat und demnach offensichtliche Verweise zu seiner Hauptband vermeiden wollte. Oder er sich nicht entscheiden konnte, ob neben den DIE TOTEN HOSEN auch DIE ÄRZTE zum Zug kommen müssten. Oder gar die BÖHSEN ONKELZ. Oder, dass man nach dem Tod von UDO JÜRGENS aus Respekt keinen weiteren Udo, auch wenn er LINDENBERG heißt, verwurschten wollte. Aber hier sind investigative Journalisten ohnehin fehl am Platze, die schreiben nämlich für das Spex und sind noch neun Ticks klüger als Kather.

Nicht fehl am Platze sind jedoch Connaisseure der einzigartigen Schublade der "Grindpunkprosa", denn ganz gleich ob die Ruhrpotter Kurzgedichte vertonen ("Luxusvernichtung"), reduziert werken ("Das Oldschoolformat der Zukunft"), mit ihren Alben jene kritische Weltbeäugung präsentieren, die man in der handelsüblichen Medienlandschaft sucht wie die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen, oder eben wie auf "Deutschland von vorne" Fremdmaterial sich zu eigen macht: die eigene und einzigartige Note ist deutlich hörbar und oberster Güte, wenngleich auch vergessen wurde, etwaige allergene Stoffe mit anzugeben. Dies ist jedoch verschmerzbar, denn wer "Deutschland von vorne II" oral und nicht aural genießt, ist ohnehin ein amtlicher Vollidiot. In dem Sinne: "Hau mir in die Ohren, Kleines!"



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Stefan Baumgartner (20.01.2015)

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