Nebelfront - Only In My Dreams

Artikel-Bild
VÖ: 12.01.2015
Bandinfo: Nebelfront
Genre: Black Metal
Label: Cursed Records
Hören & Kaufen: Webshop
Lineup  |  Trackliste

Wie bereits im Bericht zur Albumpräsentation im Zuge der diesjährigen Wiener Winterschlacht umrissen, ist „Only In My Dreams“ die Rückkehr eines Wanderers durch karge Nächte und Schneegestöber, der Nachfolger zu „Pour ma sœur“ aus dem Jahre 2010. Jener Wanderer, S.O., gibt den Nukleus hinter NEBELFRONT ab, wenn er nicht gerade bei WALDSCHRAT Sturm erntet – und wird dabei auf „Only In My Dreams“ von Feanor Omega (SAKRILEG, TONGUELESS CUNTKILLER, FEANOR OMEGA) auf seinen goetheschen Lehr- und Wanderjahren, beim Irrlichtelieren elanvoll begleitet.

Lehrjahre? Durchaus. Während die von Ö3 (oder anderen länderspezifischen Analogien) gleichgesteuerte Zombie-Hörerschaft schon bei Tönen, die über die Härteskala von LINKIN PARK hinausgeht, schwachbrüstig die Ohren anlegt, so ist selbst in Szene-Kreisen der Zugang zu einigen wenigen, sperrigen Schubladen für ein Gros durchaus ein schwer zu findender, offenbaren sich gewissermaßen „elitäre“ Zirkel, die freilich auch zur Modeerscheinung werden können. Dies trifft in erster Linie auf das auf den ersten Blick kubistisch anmutende Genre des Math Death (WORMED) zu, nicht minder aber auch auf jene Artgenossen, die sich zumindest in weiterer Folge als Kinder der Adelsgeschlechter VENOM bis MAYHEM betrachten, insbesondere desto suizidaler, disharmonischer, psychotischer und vielleicht auch drogesker der Black Metal wird – und schlussendlich, um die Bildsprache fortzuführen, irgendwo zwischen Tachismus und Informel changiert. Wie auch hier kann man in jener Musik von einem „Prinzip der Formlosigkeit“, von einem „Spannungsfeld von Formauflösung und Formwerdung“ sprechen, sprachtheoretisch von einer „Dekonstruktion“ – und derartige Abstraktion ist natürlich leichte Kost nicht. Deswegen bei NEBELFRONT also Lehrjahre, geriet das Debüt immerhin (auch in Eigendefinition) „schwach“, war man augenscheinlich als Pennäler noch nicht gereift und gewieft genug für die Schandtaten – doch fünf Jahre ins Land gezogen präsentiert sich S.O. als bewanderter Alumnus, als Adept, der nun befähigt ist, räß selbst durch unwegsame Gefilde zu leiten, selbst in der Kargheit dem Auge des Betrachters eine gewisse, unverfälschte Schönheit zu erwecken.

„Only In My Dreams“ ist demnach ein Lebenshauch gleich eines Geburtsschreies geworden (man erinnere sich an jener Stelle an Jean-Baptiste Grenouille), genährt von den Fängen des atmosphärisch-dichten, depressiven Black Metals, der von klirrender Kälte lebt und andernorts schemenhaft durch die Diesigkeit flirrt. Bereits die ersten Töne zu „Memories“ beweisen, dass dabei nicht nur verquere Disharmonie erlaubt ist, sondern durchaus auch zaghafte, ja beinahe liebkosende Töne, die durchaus wohltuend auf Körper und Geist wirken – und somit die Kluft für Klänge, wie man sie beispielsweise am nachfolgenden „River“ dargeboten bekommt, nur noch tiefer schlägt. Irisiert wird unbunt, Grau in Grau ist die seidene Plane, die für die (akustische) Wanderung um den Rezipienten gehüllt wird, heißt das Kollektiv ja immerhin auch NEBELFRONT – und begnügt sich im Gegensatz zur Kollegschaft von MARDUK nicht mit saloppen Kinderspielen (Was macht ein Nebelwerfer? – Er wirft Nebel.), sondern zieht tatsächlich eine Mauer auf und beweist insbesondere auf den beiden abschließenden Stücken – „XII. I“ und „Somewhere“ – erneut, dass gerade ein Alternieren zwischen Introspektive und Eruption für eine durch Mark und Bein fahrende Destruktion sorgt, die mit Brachialgewalt allein niemals jene Wucht entwickelt hätte; Man denke an eine Splitterbombe – oder auch an die Railguns aus „Eraser“ und erinnere sich, dass ähnlich effektiv bereits AUSTERE agierten, insbesondere auf ihrem Jahrhundertalbum „To Lay Like Old Ashes“, oder auch WOODS OF DESOLATION und die Deutschen HERETOIR, die im Gegensatz zu einem Gros ihrer Landeskollegen zur Abwechslung nicht die x-te Rektalpenetration von unnötigen Saufratzen aka Karnwulf abgeben.

Das Faszinierende an „Only In My Dreams“ ist zudem auch ein Effekt, den man wiederum von AUSTERE kennt: Obwohl sich der Nebel über die akustische Wahrnehmung legt, fühlt man sich gleichzeitig auch nicht von Wolken umfangen, sondern gewissermaßen jenseitig über ihnen schwebend – ein Effekt, der durch den weiblichen Klargesang von (The) Mistress Of Disharmony auf dem abschließenden „Somewhere“ nur noch verstärkt wird. Es ist dies eine Wirkungsmächtigkeit, die zuletzt in einer derartigen Inbrunst und ungeschliffenen Konsequenz in Dantes „Divina Commedia“ zelebriert wurde: Vorerst lassen wir all unsere Hoffnungen fahren und marschieren flugs durch Pech und Schwefel, bevor wir gen strahlendes Antlitz Gottes fahren. Allein: Bei „Only In My Dreams“ ist die göttliche Umarmung keine wärmende, sie macht frösteln.

Wanderjahre also. Schnappen wir uns „Reek Of Putrefaction“ aus dem Plattenregal – CARCASS die Autorenschaft, damals eine nicht mindere Monstrosität. Programmatisch steht in verworrenen Lettern da – in einem Zitat nach der großartigen Alison Moyet – geschrieben: „I think the world is a dead carcass and I think the purpose of human beings is as maggots.“ Wahrlich, S.O. streift Gewürm gleich durch Haut, Muskeln und Sehnen, legt seine Eier und lässt schlussendlich die fertig entwickelte Larve aus der Brust des Wirten brechen und erschafft mit „Only In My Dreams“ einen Neologismus, der zweifelsohne zumindest stilprägend, wenn nicht gar stilbildend ist. „Konflikt“ hat endlich eine akustische Form gefunden.



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: Stefan Baumgartner (30.01.2015)

ANZEIGE
ANZEIGE