Grave - Out Of Respect For The Dead

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VÖ: 16.10.2015
Bandinfo: GRAVE
Genre: Death Metal
Label: Century Media Records
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Lineup  |  Trackliste

Grave also. Das "Grab". Oder auch "gewichtig", "besorgniserregend", "schwerwiegend": Selten war ein Name derart Programm wie hier, bei den vier Herren aus dem schwedischen Visby, wo man glatt vermeint, einen aufgedunsenen Leichnam durch den Äther wabern zu vernehmen, der mit Maden im Maul freundlich grüßt.

1991. Ein Jahr, nachdem ENTOMBED und CARNAGE mit "Left Hand Path" und "Dark Recollections" – damals wohl noch unwissentlich – für die ersten Referenzwerke einer Soundcollage, die bis dato mit einer morbiden Viskosität ihren ureigenen Mief süffisant unters Volk verströmt, sorgten, legten gleich drei ihrer heute prominentesten Vertreter nach. Mit "Where No Life Dwells" knipsten UNLEASHED selbst das Notlicht aus, DISMEMBER lockten mit "Like An Everflowing Stream" süßlich gen Verderben und GRAVE, nun, die stellten mit "Into The Grave" tatsächlich das selbige. Da kracht und knarrte es, tonnenschwer drückte die Last des verwitterten Leichensteins auf den Thorax, hemmt das Atmen – und wenn, dann ist’s ohnehin lediglich süßlicher Verwesungsgeruch, der durch die Nüstern strömend für eine wohlige Leere sorgt.

Schnelldurchlauf durch die Neunziger: "You’ll Never See", "Soulless" und "Hating Life", im neuen Jahrtausend dann eine Stippvisite bei Re-animator Herbert West, sein giftgrünes Serum erweckt totes Gewebe wieder zum Leben. Auf "Back From The Grave" folgt eine Vielzahl an tonnenschwerem Todesgeschwader, und nun zollt man endlich den Verflossenen Tribut: Mit "Out Of Respect For The Dead" und stoischer Miene wirft Ola Lindgren eine dunkelhelllila Aster ins feuchte Erdreich. Erneut im eigenen Soulless-Studio aufgenommen, verwehrt man sich störrisch jedweden Innovationen und setzt auch 2015 auf die simple, aber feiste Dampfhammermethode, abermalig stellt Costin Chioreanu den morbiden, optischen Rahmen, der in bester Kittelsen-Manier mit höflichen Knicks zum letzten Gang lädt. Gleich das Intro lockt süßlicher als dereinst der Erlkönig, führt über allerlei Totentänze schließlich hin zur gravitätischen Melodei des geifernden "Grotesque Glory" – dem Kerberos hängt bluttriefendes Gebein zwischen den Lefzen und der HERR sah, dass es gut war: "Into the darkness, into the grave."

"Out Of The Respect For The Dead" klingt definitiv noch ein Eck angepisster, räudiger als die Alben zuletzt – könnte somit durchaus nach "You'll Never See ... " erschienen sein, insbesondere, da "Neuzugang" Tobias viel mehr noch als auf "Endless Procression Of The Souls" den Bass auch tatsächlich als selbigen einsetzt, mit ihm einen Malstrom heraufbeschwört – oder wie es bei Friedrich von Schiller heißt: "Und es wallet und siedet und brauset und zischt, wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt, bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt, und Flut auf Flut sich ohn Ende drängt, und will sich nimmer erschöpfen und leeren, als wollte das Meer noch ein Meer gebären." Und tatsächlich: Während am Covermotiv hinab ins modrige Erdreich gefahren wird, so tut man dies allein, weil der Stank, der Odem des Verderbens aus den Untiefen der Erde nach oben, ans Licht prescht, selbiges verdunkelt, und die Fleischeshülle bersten und zu Staub werden lässt, auf dass sie einsickere. Katschende Leichenfledderei eben, wie auch auf den Frühwerken. "Explizit geplant" war dieser massive Schwung "back to the roots" jedoch nicht, wie Ola im Gespräch verrät. Vielmehr, dass "naturgemäß" (wie Thomas Bernhard sagen würde) der sukzessive Schwenk zum Griesgram, der im menschlichen Alterungsprozess erfolgt, schlichtweg auch im Musikalischen seine Auswirkungen fand.

Obwohl sich auch ein (abschließendes) zehnminütiges Epos auf dem Jubiläumsalbum findet, so ist "Out Of The Respect For The Dead" zu einem kurzweiligen, knackigen Höllenritt geraten, ein Marathon über Knochenberge und Fleischmatsch. Da benötigt es keinen "Loudness War", keine tonale Onanie querbeet durch die Notenskala, sondern schlichtweg die altgewohnte Buzzsaw, vermengt mit unheilvollem Grollen der Rhythmusfraktion und einem infamen, maliziösen Geröchel. Das ist nur bedingt virtuos (wobei, an manchen Ecken und Enden: durchaus!), dafür dank zahlreich pointiert gesetzter Hooks (man denke an die Prügelpeitsch-Orgie aus Gibsons "Die Passion Christi") und grandios-spitzfindigen Diskordanzen fesselnder als die Edeldomina ums Eck. Die Dynamik, meine Damen und Herren, hierauf ist unaufhaltsam. GRAVE zeigen meisterhaft, wie hervorragend sich Unflat als Stilmittel im Songwriting eignet und "Out Of The Respect For The Dead" gewissermaßen zu einem shakespeareschen Drama geraten lässt, erdrückend, (an)klagend, einschüchternd, traktierend – zumeist fies subtil.



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Stefan Baumgartner (09.10.2015)

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