IN LOVE YOUR MOTHER - Dada for Your Mada

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VÖ: 15.10.2016
Bandinfo: IN LOVE YOUR MOTHER
Genre: Mathcore
Label: Eigenproduktion
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Lineup  |  Trackliste

Im Prozess der Selbstwerdung, insbesondere der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit, wird der Mensch immer wieder mit den eigenen Eltern konfrontiert und trotz all der Beschäftigung mit ihnen sind sie – speziell die Mutter – Endgegner im Kampf gegen uns selbst. Man mag meinen, dass eine Band mit dem Namen IN LOVE YOUR MOTHER, die ihr zweites Album mit dem Titel „Dada for Your Mada“ herausbringt, einen besonderen Bezug zur vermeintlich feminineren ihrer Parentaleinheiten herstellen möchte. Was das Zürcher Trio allerdings tatsächlich möchte, bleibt mir trotz intensivster Beschäftigung mit ihrer Musik verschlossen. Musik. Ja, ich denke, die wollen sie machen. Auch wenn diese schwerer zu verorten ist als ein*e polyphile*r, multiamorös-asexuelle*r Genderfluid-Crossdresser*in und jenseits von platten Kategorisierungsversuchen im Bereich des Mathcore anmutet, als wäre sie Freejazz, der in seiner Kindheit in einen Kessel voll Wahnsinn gefallen ist, während ein künstlerisches Geheimdienst-Experiment außer Kontrolle geriet, weil gleichzeitig ein Komet mit Alien-DNA und ein parallelweltgrenzenüberspringender Blitz in das Biochemie-Labor eingeschlagen sind. (Lies den Satz nochmal! Ja, der muss so anstrengend!) [Anm. d. Lekt.: Großartig!]

 

Um aber doch einen Hauch mehr als eine vage Andeutung der Klänge von IN LOVE YOUR MOTHER zu vermitteln, versuche ich hiermit einige der fassbareren Elemente vom Album „Dada for Your Mada“ zusammenzutragen. Die skurrilen, dadaistischen Texte gehören ehrlich nicht dazu, denn die haben echt viel von Dada und nicht von humoristischem Fake-Dada. Wohl aber die streckenweise metal- bis jazz- und mathcorigen Elemente, die mit einem skurrilen Konvolut aus Einzelteilen von Hörspiel bis Noise versetzt und mit einer Vielzahl verschiedener Gesangsstile kombiniert werden. Ein besonders interessanter Hörgenuss ist der besonders liebevoll durchkommende schweizerische Dialekt in „Die Zeit, Die Zeit“. Das Trio beweist jedoch in Songs wie „Gold Gold“, dass es durchaus dazu in der Lage sind, weitgehend unkomplizierten, ohne emotionalen oder ästhetischen Stress zu konsumierenden Metal zu erzeugen, setzen mit den Folgestücken „6.junglefish“ und „6.guliguli“ jedoch umso chaotischer nach.

 

So ist das Album „Dada for Your Mada“ zu einem Werk geworden, dass … Hey! … HEY! … Was ist denn das für ein Lärm im Flur?

 

Bis zu diesem Zeitpunkt saß ich friedlich in einem kleinen Stormbringer-Büro, als plötzlich die Tür hinter mir aufspringt und drei skurrile Gestalten in neonfarbenen Stulpen und Vogelmasken hereingestürmt kommen. Ich erkenne sie als IN LOVE YOUR MOTHER. Andrea, sonst an den Drums, beginnt augenblicklich, einen Espressokocher zu bedienen, während Valentin, Sänger und Gitarrist, auf mich einredet: IN LOVE YOUR MOTHER ist für mich wie mehrere Filme gleichzeitig anschauen auf doppelter Geschwindigkeit auf Stimmungsaufhellern – irgendwie anstrengend, pumpt mich aber mit Energie voll bis in die Zehenspitzen. Da mein Musikgeschmack breit wie mein Grinsen ist und ich gerne teile, stopfe ich die Songs voll mit allen Einflüssen, welche mir im Zug, in der Dusche oder aufm Klo kommen. So kann ich Teile meines Musikgeschmacks und meines Kleinhirns mit unseren Hörern teilen.“

 

Nun hatte ich den Jungs per E-Mail gesagt, dass Interviews nicht mein Ding wären, aber so eine chaotische Aktion wie dieser Überfall muss dann doch irgendwie belohnt werden. Ich kann die Zürcher ja nicht einfach wieder rausschmeißen. Dann ist das Review wohl beendet und stattdessen beginne ich, einige Fragen zusammenzustottern:

 

Welche Stellen des Albums – welche Songs oder auch welche speziellen Passagen aus den Songs – darf man nicht verpassen? Was am Album macht euch besonders stolz bzw. ist euch besonders wichtig?

 

Valentin: „Ich bin tierisch glücklich mit der Produktion und den Gitarrenfeedbacks.“

Amedeo (Vocals und Bass): „Ich bin auf das ganze Album stolz. Wir haben uns vom ersten Album 'The Great Ape Project' definitiv weiterentwickelt.“

Andrea: „Ich würde es nicht auf einzelne Stellen runter brechen, wobei, die Kindheitserinnerung an unsere Kasper-Kassetten mit dem Geist 'Hurrlibutz' sind schon mehrfaches Durchhören wert.“

Valentin: „Lieblingsstücke ändern sich zurzeit noch täglich. Mein Lieblingspart ist jedoch der erste Breakdown aus 'Zahnfee' ab ca. 1:07. Hier verabschiedet sich der Gesang und nimmt sich einen neuen Puls. Dies zerreißt mir glatt die Nerven und Sehnen bis zur Hühner-, Storchen-, Gänsehaut.“

Amedeo: „Außerdem habe ich selbst zwei eigene Songs beisteuern können.“

Andrea: „Das Album an sich, die Abwechslung, welche dennoch aus einem Guss kommt, darauf sind wir besonders stolz.“

Amedeo: „Das Artwork, in das wir sehr viel Zeit investiert haben, gefällt mir auch sehr gut.“

 

Das Album heißt „Dada for Your Mada“ und ihr bezeichnet eure Musik unter anderem als „Dadacore“. In welchem Maße assoziiert ihr euch mit dem historischen Dadaismus oder auch gerade als Zürcher mit dem Cabaret Voltaire? Was bedeutet Dada für euch?

 

Valentin: „Ich bin mit anderen Projekten (z. B. Extrafish & Vendredi Soir Swing) regelmäßig im Cabaret Voltaire aufgetreten. Auch hab ich mich immer wieder mit der Dada-Geschichte und -Kultur auseinandergesetzt. Hauptsächlich verbindet mich mit der Dada-Kultur allerdings die Tatsache, dass es mir durch meine sehr großräumige Fantasie, meine Liebe zu absurden Bildern oder mein Übermaß an Ideen sehr einfach fällt, diese auszuleben.“

 

Euer Bandname „In Love Your Mother“, aber auch der Albumtitel „Dada for Your Mada“ haben eine offensichtliche Mutter-Thematik. Handelt es sich hier um eine Ehrung der Mutterrolle oder eher um unbearbeitete ödipale Komplexe – oder beides?

 

Valentin: „Die Mutter soll sich weder von Ödipus um den Finger wickeln lassen, noch soll sie mehr geehrt werden als alle anderen Lebewesen auf diesem Planeten. Der Bandname stammt von einer Signatur eines Briefes von der Mutter an ihren einzigen Sohn, welcher in der Nacht zuvor an Zahnschmerzen und Lachkrampf erlegen ist. Am Tage darauf wurde der Brief eingerahmt und versteigert. Erworben wurde der Brief von einem Zahnarzt aus Mittelamerika und kurz darauf begann der erste der drei Zahnarzt-Kriege.“ [Anm. d. Lekt.: Manchmal staune ich, wieviel Wahnsinn die Welt wirklich verträgt...]

 

Die Zahn-Fixierung ist mir auch schon aufgefallen. Wenigstens die Interludes „Kariesvogel“, „Zahnseide“ und „Zahnschmelz“, aber auch der Song „7.zahfee“ haben einen Dentalbezug. Warum dieses ungewöhnliche Thema?

 

Valentin: „Zähne sind in vielen Teilen der sibirischen Steppe Gold wert. Die oft besungene und berichtete Goldrauschzeit drehte sich also nicht überall um die bekannten Goldnuggets. Nein, es wurden auch viele Leute entzahnt oder im Fachterminus ausgedrückt 'oral kastriert' bzw. 'oral geblendet'. Da sich Nachkommen dieser 'Goldsucher' in engen Familienkreisen befinden, verspürten wir den Drang, diese Themen aufzukochen und heiß zu servieren.“

 

Wie auf Kommando schiebt mir Andrea einen Espresso herüber, der so dick aussieht, als müsste man ihn kauen, um ihn zu schlucken. Ich bekomme Angst, dass von mir erwartet wird, diese Koffeinbombe zu mir zu nehmen, und so verweise ich auf den riesigen Berg Arbeit, den ich noch vor mir habe: „Aber … schön … oder interessant … oder so, dass ihr da wart! Danke für das Interview!“

 

Während ich die drei verrückten Musiker aus dem Büro bugsiere, meldet sich Amedeo noch einmal zu Wort: „Um uns vollends zu verstehen, sollte man uns unbedingt live sehen. Die ganze Energie die auf der CD zu spüren ist, vervielfacht sich bei unsren Konzerten. Nächstes Jahr werden wir unsre Fans mit vielen Shows in der Schweiz, Österreich, Deutschland, Ungarn, Slowakei und Tschechien beglücken. Wir freuen uns schon jetzt darauf.“

 

Tatsächlich hätte ich darauf echt Bock und kann auch nur jedem anderen Freund, ungewöhnlicher Musik das Album „Dada for Your Mada“ von IN LOVE YOUR MOTHER empfehlen. Immer noch ziemlich verwirrt setze ich mich wieder, als Andrea noch einmal den Kopf durch die Tür steckt, mit Konfetti wirft und ruft: „Cheers, oder chinchin und arintintin.“

 



Ohne Bewertung
Autor: Jazz Styx (14.11.2016)

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