MINAS MORGUL - Kult

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VÖ: 01.12.2017
Bandinfo: MINAS MORGUL
Genre: Black Metal
Label: Trollzorn / SMP Records
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Lineup  |  Trackliste

Als ich letztens die unendlichen Weiten unserer Promoliste überflogen habe, wurden viele Erinnerungen an eine längst vergessene Zeit wach, als Pagan- und Viking Metal gerade das "große Ding" in der deutschen Metalszene waren und gleichermaßen öffentlich-rechtliche und private Fernsehsender zu diversen bekannten Festivalitäten (legendär der Ragnarök 2006 Bericht in der ARD) lockten, die dann ihrerseits wirklich alles über einen Kamm scherten und hochnotpeinliche, in "Odin statt Jesus"-Shirt auf dem Gelände hofierende Alkoholleichen in bierseliger Laune zu allerlei amüsanten, teilweise gar prekären Aussagen bewegten. Schön war es damals, als EQUILIBRIUM noch EFFIBRILIUM hießen und man noch ungeniert auf die Assen und Wannen (heute sind wir da mit Bluetooth-Badewannen bekanntermaßen schon deutlich weiter) anstoßen konnte. Um diese Zeit herum stieg auch die Kurve im MINAS MORGUL'schen Bekanntheits-Diagramm stark an und ich habe wirklich nicht schlecht gestaunt, als mir vor wenigen Wochen zu Ohren gekommen ist, dass die Brandenburger heuer schon ihr 20-jähriges Bestehen feiern - als eine der letzten deutschen Bands in diesem Sektor, die sich noch nicht im Deutschrock-Gefilde oder dem Wachkoma wiedergefunden hat, veröffentlicht das Sextett dieser Tage sein sechstes Album "Kult" und möchte damit die Feierlichkeiten zum Jubiläum begehen.

Damit die Einleitung keine Missverständnisse erweckt: MINAS MORGUL gehörten immer schon zu den besseren Vertretern ihrer Gattung und gerade "Todesschwadron Ost" sowie "Aus Blut gemacht" sind auch heute noch konkurrenzfähig, wenn es um melodisch angereicherten Pagan Black Metal der kompromissloseren Zunft geht. Selbst wenn sie beschließen würden, "nurnoch" Jubiläumsalben zu veröffentlichen (der eher durchschnittliche weil furchtbar totproduzierte Vorgänger "Ära" erschien zum 15-Jährigen), haben sie zurecht überlebt - nicht nur die dämlichen NS-Anschuldigungen von damals, sondern auch, wie "Kult" mit seinem frischen Soundbild beweist, die Zeichen der Zeit. Das Genre hat sich in den letzten Jahren schließlich (auch außerhalb Deutschlands) stark weiterentwickelt.

MINAS MORGUL haben sich dafür entschieden, einen modernen Hauch durch ihr Schaffen wehen zu lassen und das merkt man ihrem "Kult" trotz der unverkennbar klassischen Zitate auch jederzeit an. Nicht nur, dass sie mit dem Keyboard ein neues Element in ihr Gefüge aufgesogen haben, sondern auch die oftmals im Vergleich zu früher noch melodischeren Gitarren sprechen diesbezüglich eine eindeutige Sprache. Bevor es aber richtig beginnt, kann man zunächst die Wände des heimischen Bunkers mit der Synthie-lastigen "Einleitung" zum Beben bringen und die Nachbarn zur Zornesröte treiben, ehe der Titeltrack mit Spoken- Words-Intro (einer wie Joey DeMaio, der exzessives Geplauder 2019 zur Extremsportart erheben möchte, wäre sicherlich stolz) dann allmählich an Momentum gewinnt und atmosphärisch leicht an die frühen Sternstunden von ENDSTILLE erinnert. "Ein Teil von mir" setzt im Gegenzug ganz andere Prioritäten wie Akustikgitarren, heroischen Klargesang, pechschwarze Melodien und Streicher aus der Dose, wodurch man sich gerne mal in die späten 90er des Melodic Black Metal (hat hier jemand GRAVEWORM und AGATHODAIMON gerufen?) zurückversetzt fühlt.

Geknüppelt wird auf "Kult" selbstverständlich trotzdem ("Abschied" und "Scherben" beispielsweise), aber man merkt der Dame und den Herren eben nicht nur ihre kompositorische Routine, sondern auch eine durchaus bemerkenswerte Weiterentwicklung im Songwriting-Bereich an, die ich ihnen in diesem "späten" Stadium der Karriere nicht gänzlich zugetraut hätte. Dabei hat man zum Glück realisiert, dass knapp 48 Minuten als Spielzeit völlig ausreichend sind, wenn man neun durchweg sehr gute Songs geschrieben hat, die sich nicht nur stimmungstechnisch sehr gut ergänzen, sondern auch viele harmonische Höhepunkte ("Bevor ich gehe" und "Was bleibt") markieren, die im Gedächtnis bleiben und sich auch aus textlicher Sicht noch einigermaßen deutlich von den ehemaligen Schildfront-Kollegen VARG unterscheiden. Dass dann ausgerechnet Herr Dahn von den bereits erwähnten EFFIBRILIUM in "Eine Kugel reicht" (ein Satz, den ich früher beim allwochenendlichen Ausflug zur Eisdiele desöfteren hören musste. So sad.) traumatische Kindheitserinnerungen in mir wecken muss, ist deshalb geschenkt, weil der Song, abgesehen von diesem tragischen #justchildhoodthings-Moment eben, geradezu prädestiniert für den EQUI-Sänger ist und dieser sich nach Jahren des epischen Folk Metals auch mal wieder für extremere Spielarten empfehlen darf.

Nun aber mal endgültig Spaß beiseite: "Kult" ist ein durch und durch gelungenes Album geworden, Punkt. MINAS MORGUL verleugnen ihre Wurzeln nicht, beweisen aber ein sehr gutes Gespür für Fortschritt und neuerdings auch für eine organische, gut ausbalancierte Produktion, die das äußerst einprägsame Liedgut würdevoll inszeniert und es nicht im Bass-Sumpf des Todes ersaufen lässt, wie das seinerzeit bei "Ära" der Fall war. Floskeln à la „auf 20 weitere Jahre“ spare ich mir an dieser Stelle zur Abwechslung mal, aber eines ist sicher: diese aktuelle Form sollten sich MINAS MORGUL - wenn möglich - unbedingt beibehalten. Meinetwegen auch in Fünf-Jahres-Schritten.



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Pascal Staub (01.12.2017)

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