SHINING - X - Varg Utan Flock

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VÖ: 05.01.2018
Bandinfo: SHINING
Genre: Black Metal
Label: Season of Mist
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Lineup  |  Trackliste  |  Credits

Suicidal Metal heißt es jetzt also. Ich fand die Termini Depressiv Suicidal Black Metal oder Suicidal Metal als Marketingansatz immer recht eigenartig, besteht doch die Gefahr einer Minimierung potentieller Kundschaft. Wobei es andererseits vor ein paar Jahren auch bei Goethes "Werther" funktioniert hat. Dem Gelb und Blau des Geheimrats folgte das Schwarz und Weiß der muskalischen Forstwirte des Nordens und dem literarischen Oevre das musikalische Werk von SHINING.

Seit 22 Jahren veröffentlicht Niklas Kvarforth seine selbstzerstörerischen Epen mit heftig wechselnder Besetzung, fand 2007 mit "V - Halmstad" einen grandiosen Höhepunkt (die "Prozac Nation"-Einspieler treffen heute noch immer mitten in die gebeutelte Seele) und wurde dann etwas experimenteller. "Suchen Sie sich einen Lieblingsplatz", sagt der Therapeut, "finden Sie Inseln, auf die Sie sich zurückziehen können", die Therapeutin. So könnte man die Folgealben nach diesem Magnum Opus umschreiben. Niklas wollte andere Welten erkunden. 

Mit "X - Var Utan Flock", dem zehnten regulären Album (und der insgesamt schon 25. Veröffentlichung) zieht es den Halmstader wieder zurück in die tiefste Dunkelheit der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung (Borderlineausprägung). Schon der erste Titel, "Svart Ostoppbar Eld" passte so auch auf den fünften Haupttonträger SHININGs. Sogar die Kuhglocke wurde dem zerstörten Fundus entrissen. Der Wolf ohne Rudel zelebriert sein Leiden wie jeher mit klarer Stimme, klagendem Geraspel, schönen Tom Warrior-Gedächtnis "Uh"s und diesem irren, hohen, in Ermangelung eines gerade zur Verfügung stehenden Ausdruck, Auszuckens. 

Wieder und in höchster Qualität schafft der Haupt-, und ich nehme an Alleinkomponist, diese maximalatmosphärischen Gitarrenflächen, die abrupt gegen eine Wand gefahren werden, höchst emotionalen Zwischenspielen weichen und dann, wie auf "Gyllene Portarnas Bro" retrospektiv schwarzmetallisch werden. Es wird gelitten, angeprangert, geschrien und geweint. Es wird musiziert, mal solide SHININGesk (mittlerweile kann man das wohl so nennen), mal punkig-metallisch und immer wieder eben ganz black. Daneben gibt es immer wieder diese Zwischenspiele wie das berührende Piano bei "Tolvtusenfyrtioett", das nebelverhangen dem neuneinhalbminütigem Mutterschiff "Mot Aokigahara" den Vorhang hebt. Dieses beginnt mit einer unverzerrten Gitarre, Niklas jammert sich den Schmerz aller Welten vom zerschnittenen Körper, ein arg fantastisches Gitarrensolo nach der Dreiminutenmarke stellt einen der Höhepunkte des Albums dar. Hier muss, darf, angemerkt werden, dass das Vehikel SHINING nicht nur aus dem Paradeborderliner besteht, nein, auch die gegenwärtige Besetzung ist eine Ansammlung ausgezeichneter Musiker.

Der Song "Mot Aokigahara" ist quasi das Gegenstück zu "Learing To Live" von DREAM THEATERs "Images And Words". Ich weiß nicht, ob das nachvollziehbar ist, aber die Platzierung am Ende des Albums passt einfach perfekt und der Fatalismus ist hier wirklich greifbar, spürbar und nachvollziehbar. So leidet der Hörer/die Hörerin sechseinhalb Minuten mit den sich im titelgebenden Wald selbst Richtung Exitus Begebenden und dann tritt uns Niklas mit einer herben Abfahrt empathielos kalt ins Gemächt. Das ist wirklich knapp am Prädikat "brilliant"!

Man kann "X - Varg Utan Flock" als Kopie sehen, sich fragen, wie oft man den f60.31-Paarhufer denn noch durch´s Dorf treiben muss und das bisweilen schon arg an der Selbstkarikatur schrammende Gewinsel suboptimal finden. Was bleibt ist eine ganz starkes Album, das zwar keine Neuerung im Gesamtwerk SHININGs darstellt aber auf einem Niveau daherkommt das man auf jeden Fall honorieren muss.

Ich gebe zu, ich war skeptisch nach den ersten Durchläufen, aber "X - Varg Utan Flock" wächst tatsächlich und bleibt, so man sich darauf einlässt, lange beim Hörer präsent. 

 



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Christian Wiederwald (12.01.2018)

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