ANGRA - Omni

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VÖ: 16.02.2018
Bandinfo: ANGRA
Genre: Progressive Melodic Metal
Label: earMusic
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Lineup  |  Trackliste

Und schon wieder ein personeller Abgang bei ANGRA. Wie den meisten bekannt sein dürfte, ist der langjährige Saitenhexer und Co-Songwriter Kiko Loureiro nun vollwertig bei MEGADETH eingestiegen und lässt eine große Lücke zurück. Nun gut, mit Rafael Bittencourt und dem erfahrenen Fabio Leone stehen ANGRA nach wie vor fähige Musiker und Songwriter zur Verfügung. Und da das letzte Album "Secret Garden" eines der besten der gesamten Diskografie ist, geht es nun darum, auch ohne Loureiro einen draufzulegen. Das ist durch ein paar einfache Schnitzer aber dummerweise nicht ganz geglückt, obwohl "Ømni" bei Leibe kein schlechtes Album ist.

Im Gegenteil, es finden sich auf dem neuen Output einige großartige Power-Prog-Kompositionen, welche den Stil von "Secret Garden" logisch weiterführen und ergänzen. "Travelers Of Time" zum Beispiel ist ein urtypischer ANGRA-Song, welcher auch auf "Rebirth" neben "Millenium Sun" gepasst hätte. Komplett mit den typischen brasilianischen Percussions und Rhythmen, veredelt durch die sensationelle Gitarrenarbeit Bittencourts (welcher auf "Ømni" fast alle Parts selbst eingespielt hat und teilweise die Lead Vocals übernimmt) und einem wunderschönen, symphonischen Chorus. Noch ein wenig ausgefeilter, im Laufe des Stückes aber noch eingängiger gestaltet sich das majestätische "Caveman". Ein richtiges Prog-Highlight ist "Magic Mirror", bei dem gekonnt mit DREAM THEATER-Zitaten jongliert wird, ohne den Song an sich aus dem Auge zu verlieren. Das ist es auch, was "Ømni" im Schnitt besser macht als ähnlich gelagerte Alben wie "Aqua" oder "Aurora Consurgens". Bei aller Progressivität, die heuer federführender ist als je zuvor, ist das Werk dennoch durchzogen von absoluten Widerhaken, fast jeder Chorus sitzt auf Anhieb und ist ein kleines Kunstwerk. Die Melodien driften zwar hier und da in allzu süßliche Gefilde, allerdings setzt das einen tollen Kontrast zu den schwer zugänglichen Mittelteilen der Songs.

Und dann gibt es da wohl den größten Hit ANGRAs seit "Nova Era" namens "Black Widow's Web". Angereichert durch Gastauftritte von Alissa White-Glutz und Sandy (Brasilianischer Folklore MEGAStar) ist der Song eine Weiterentwicklung von "Final Light" auf dem Vorgänger. Modern, groovend und schiebend, mit einem sensationellen Refrain, welcher schon jetzt um den Titel für den besten Ohrwurm des Jahres mitspielt. Hammer!

Warum ist "Ømni" dennoch nicht so gut wie der Vorgänger? Das liegt an insgesamt drei Stücken, welche den Gesamteindruck deutlich schmälern. Zum einen ist das der Opener "Light Of Transcendence". Im Prinzip handelt es sich um einen typischen Melodic-Metal-Opener, wie ihn ANGRA schon seit geraumer Zeit häufig verwenden. Er basiert auf einem simplen, aber ungemein effektiven Gitarrenlick, welches sich allerdings als einzige Stärke des Songs herausstellt. Denn im restlichen Song ist viel zu viel RHAPSODY vorhanden. Auch diese Band (in welcher Inkarnation auch immer) wusste bzw. weiß, eingängige Hymnen zu schreiben, verzettelt sich aber teilweise in symphonischen Fingerspielchen, die den Hörgenuss schmälern. So wurde auch dieses Stück entweder mit Lione im Hinterkopf oder gar von Lione selbst mit übermäßigem Skalenversatz zugedonnert. Eine simple Hook, die dem Gitarrenlick entgegenstünde, wäre die richtige Zutat gewesen. Stattdessen haben wir im Chorus gleich vier Tonartsprünge zu verzeichnen, was an anderer Stelle sinnvoll und effektiv, in diesem Song aber überflüssig kompliziert und nervig ist.

Zum anderen ist das aus zwei Teilen bestehende Titelstück gemessen an der Größe des restlichen Materials eine Enttäuschung. Der erste Teil, "Silence Inside" ist für sich gesehen ein sehr guter Song. Düster, progressiv, drückend und schnell. Nicht eingängig, was in der Erwartung eines Grande Finales mit dem zweiten Teil "Infinite Nothing" aber auch nicht sein müsste. Leider entpuppt sich dieses "Infinite Nothing" aber gar nicht als Song an sich, sondern lediglich als symphonisches Outro. Eine Art Abspann, welcher die markantesten Hooks des Albums noch einmal im orchestralen Gewand wiedergibt. Das hat NIGHTWISH mit "Imaginaerum" schon nicht gut gestanden. Und das Schlimmste an der Sache: ANGRA haben genau das gleiche auf "Temple Of Shadows" schon einmal gebracht, und schon damals war es enttäuschend. Mit so einem Antiklimax verpufft eben auch der erste Teil nachträglich als ziemlich unspektakulär.

Fazit: "Ømni" ist ein gutes ANGRA-Album mit schwachem Anfang, enttäuschendem Ende und einem famosen Mittelteil. Es bleibt ein leicht bitterer Nachgeschmack, weil das Ding mit einem richtigen Finale ein wahrhaftes Meisterwerk hätte werden können. Dennoch bleiben 80% sensationell gutes Songwriting übrig, somit darf man auch dieses Werk getrost als Erfolg verbuchen.




Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Christian Wilsberg (15.02.2018)

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