AURI - Auri

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VÖ: 23.03.2018
Bandinfo: AURI
Genre: (stilübergreifend)
Label: Nuclear Blast GmbH
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Lineup  |  Trackliste

Auch wenn sich NIGHTWISH speziell ab "Dark Passion Play" viel Zeit für neue Alben gelassen haben, kennen der Werdegang und die Protagonisten des finnischen Megasellers eigentlich keine Pausen - und das trotz zweier, für solch eine Band schwerwiegender Besetzungswechsel am Mikrofon. Gigantische Welttourneen reihten sich an intensive Festivalsommer reihten sich an aufwändige Studioarbeiten reihten sich an aufwändige Promotionarbeit und dann floss die Zeit einiger Mitglieder hin und wieder auch noch in Nebenprojekte wie beispielsweise Tuomas' "The Life and Times of Scrooge", RASKASTA JOULUA oder auch TAROT, die wiederum seit einiger Zeit auf Eis liegen. Man bräuchte also keine besonders blühende Fantasie, um sich vorstellen zu können, dass Floor Jansens Babypause eigentlich recht gelegen gekommen sein könnte und dennoch: die Herren Holopainen und Donockley liessen diesen Anlass offenbar nicht ungenutzt, da das selbstbetitelte Debütalbum des neuen Spielzeugs AURI bereits kurz nach der eher lieblosen Best-Of-Compilation "Decades", die wohl eher dazu gedacht war, eine weitere überdimensionale Tour loszubrechen (oder habe ich irgendein besonderes Jubiläum verpasst?), in den Startlöchern steht.

Liest man da schon leise Kritik heraus, bevor es überhaupt um "Auri" ging? Nunja. Gewissermaßen überschneiden sich die Problemzonen. Aber: Orchester und sonstiges Brimborium müssen ja irgendwie finanziert werden. Zum Minuspunkt wird das, wenn sämtliche dieser Untensilien zunehmend eine relativierende Rolle, die vergeblich ein Loch in der Zuleitung zum früher mal endlos zu sprudeln scheinenden Kreativitätsbrunnen des Masterminds zu flicken versucht, für sich einnehmen. Was auf "Imaginaerum" noch zum thematischen wie konzeptionellen Rahmen passte, wirkte auf "Endless Forms Most Beautiful" wie ein aufgeblasener, aufgesetzter Dunstschleier über weitestgehend inspirationslosen, manchmal gar erschreckend gesichts- und zahnlosen Arrangements, als hätte sich da jemand schlichtweg komplett überarbeitet und zusätzlich in einer größenwahnsinnigen Vision verloren.

Immerhin: Ohne Orchester kommen AURI auf ihrem Einstand aus. Und trotzdem ist mir "Auri" schon nach dem fünfminütigen "The Space Between" viel zu überfrachtet, um eine „Imagination, die verheißungsvoll in der Luft schwebt“, zu erwecken. Obwohl Johanna Kurkela, deren Stimmfarbe nicht unwesentlich an Anette Olzon erinnert, bereits hier sehr angenehme Töne wählt (und auch im weiteren Verlauf einen fabelhaften Eindruck hinterlässt), wird mir anhand der Drums, den Flöten, den Streichern, den mehrfachen Keyboadlayern und sonstigen Spielereien bewusst, dass ich der vermeintlichen Vision einfach nicht mehr folgen und das musikalische Utopia, das Tuomas Holopainen offenbar zu erstreben versucht, nicht mal ansatzweise erblicken kann. Wenn das wehmütige Flötenspiel zu Beginn von "I Hope Your World Is Kind" keine Gänsehaut erzeugt, die Akustikgitarre und die Vocals von Troy Donockley in "Desert Flower" viel zu oberflächlich erscheinen und die von "Islander" berüchtigten, epischen Folk-Einflüsse in "Night 13" fast schon wie recycelt klingen, entsteht zumindest nach meinem Hörverständnis eine größere Kluft.

Ob das nur an mir liegt? Womöglich. Bin ich dem gesamten Kosmos entwachsen? Eher unwahrscheinlich, schließlich kriege ich von "Angels Fall First" bis einschließlich "Imaginaerum" auch teils viele Jahre danach immer noch nicht genug und habe dabei stets den Eindruck, ein in sich stimmiges, rundes Kunstwerk zu erleben, bei dem zwischen Vision und künstlerischem Potenzial kein Ungleichgewicht herrschte. Mit "The Life and Times of Scrooge" änderte sich das und "Auri" kämpft oftmals mit denselben Dämonen: zähe Passagen ("Underthing Solstice" und "Desert Flower"), die die "gefühlte Spielzeit" enorm strecken, überladene Arrangements (Beispiele dafür wurden bereits genannt) und einige seltsame Stilbrüche wie etwa im orientalischen "See" und dem lebhaften "Aphrodite Rising", die absurderweise sogar meine Highlights des Albums darstellen und damit gleichzeitig recht anschaulich demonstrieren, dass ein roter Faden fehlt - nicht unbedingt im Sinne eines stringenten musikalischen Konzeptes, sondern eher im Sinne der Atmosphäre, aus der man des Öfteren grundlos gezerrt wird.

Mehrere Stunden habe ich mich mit einer geschätzten Kollegin zu AURI bzw. deren Debütalbum ausgetauscht und am Ende haben wir einen gemeinsamen Nenner gefunden, der mich zumindest glauben lässt, dass ich nicht die einzige Person auf diesem doch recht voluminösen Erdball bin, die diese ganze Darbietung einerseits zwar als ganz nett (und zu keinem Zeitpunkt als mittelmäßig oder gar schlecht), andererseits aber zuweilen auch - dem überlasteten Klanggerüst zum Trotz - als arg ermüdend empfindet. Ihre Lösung: dem süßen Baby taugt's bei natürlich verantwortungsvoll eingestellter Lautstärke offensichtlich zum Einschlafen. Meine Lösung: Zunächst nicht mehr hören und irgendwann vielleicht doch noch einmal probieren. So richtig kann ich mich ohnehin nicht ärgern, weil prinzipiell keine Erwartungen in mir bestanden und speziell in diesem Fall selbstverständlich die Möglichkeit besteht, dass es schlichtweg nicht meine Welt ist, während andere viel lieber in diese eintauchen und sich nur allzu gerne von der überaus überzeugenden Johanna Kurkela durch ebendiese führen lassen werden - ein zugegeben schmaler Grat, weswegen eine Wertung im eigentlichen Sinne überflüssig ist. Trotzdem werde ich persönlich das Gefühl nicht los, dass "Auri", also abgesehen von der famosen Gesangsleistung, kaum über emotionalen Tiefgang verfügt und dadurch auch das Portal in diese Welt verriegelt bleibt. Aber: Herr Holopainen wird schon wissen, was er da tut, nur holt mich das in diesem Status quo einfach nicht mehr wirklich ab. Er wird damit leben können und ich vermutlich auch.



Ohne Bewertung
Autor: Pascal Staub (19.03.2018)

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