MARDUK - Viktoria

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VÖ: 22.06.2018
Bandinfo: MARDUK
Genre: Black Metal
Label: Century Media Records
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Lineup  |  Trackliste

Als ich mir die ersten ernsthafteren Gedanken zu dieser Rezension von MARDUKs "Viktoria" gemacht habe, merkte ich einmal mehr, dass ich mich offenbar gerne in haarige Situationen begebe. Auf dem Cover prangt (mutmaßlich) ein Wehrmachtssoldat, die Farben wurden schön provokativ in Schwarz-Weiss-Rot gehalten, im Teaservideo trägt man den Leibstandarte Adolf Hitler Pin auf der Lederjacke zur Schau und dann erscheint das gefühlt hundertste Album der schwedischen Black Metal-Legende auch noch am 22. Juno 2018, also exakt 77 Jahre nach dem Beginn vom "Unternehmen Barbarossa", den Überfall auf die damalige Sowjetunion. Habe ich noch irgendetwas vergessen? Achja, die erste Single "Werwolf" natürlich, die von der gleichnamigen nationalsozialistischen Freischärlerbewegung, die gegen Ende des zweiten Weltkrieges ohne nennenswerten Effekt für Terror hinter feindlichen Linien und auch in heimischen Gefilden gesorgt haben soll, handelt. Mir wurde aus bislang unbestätigten Quellen zugetragen, dass es in der Vergangenheit schon Bands gegeben haben könnte, die weitaus subtiler mit Kriegsästhetik umgegangen sein sollen. Aber setzt sich nicht genau daraus der clevere Marketingschachzug zusammen, mit dem man einem extremen Metalalbum zusätzliche Publicity beschert?

Ob Morgan Steinmeyer Håkansson nun ein rechter Sonderling oder nur ein eigenwilliger Kriegsfanatiker ist, vermag ich per Ferndiagnose aus dem heimischen Sessel jedenfalls nicht zweifelsfrei zu beurteilen, weswegen ich das gerne dem Internet, das ja neuerdings auch Fredrik Widigs bei eher geringfügiger Beweislast (im Grunde steht Aussage gegen Aussage bzw. nebulöses Beweismittel gegen Dementi) irgendwelche Aktivitäten bei einem Nazi-Versandhäuschen unterstellt, überlassen würde. Eine Frage hätte ich dazu aber doch: Welchen Effekt soll diese Herangehensweise eigentlich haben? Ist es das Streben nach Genugtuung durch das anvisierte Zufallbringen einer schwedischen Black Metal Band (welch Errungenschaft...), die - nicht ganz genreuntypisch übrigens - mit extremen Themen kokettiert? Sarkasmus beiseite: Daraus wird ein Problem, wenn sich etwas nicht eindeutig be- oder widerlegen lässt (mehr dazu im letzten Absatz). So schaffen es MARDUK, just in dem Moment, als ich den Untergang der Provokation im Black Metal fast schon sicher glaubte, tatsächlich erneut, mit simplen aber durchaus gut kalkulierten und effektiven Methoden, erwachsene Menschen zu denkwürdigen Kommentaren à la „Das werde ich dem Summer Breeze Open Air Team melden, damit die diese scheiß Naziband aus dem Line-Up kicken“ (frei aus dem Gesichtsbuch übersetzt) zu verleiten und mit der zusätzlichen Publicity - viel wichtiger - ihr neues Album zu bewerben. Ich klatsche Beifall.

Angesichts dessen und der eher geringen Spielzeit von knapp 33 Minuten hatte ich schon befürchtet, dass sich "Viktoria" als reiner Blender, der sich bewusst als Reizthema inszeniert, entkleiden könnte, aber auch das hat sich als falsch herausgestellt. Einen geistigen Nachfolger zu "Frontschwein" sollte man aber trotzdem nicht erwarten und auch mit "Panzer Division Marduk" kann man das vierzehnte Werk von MARDUK (zu diesem Zeitpunkt habe ich die genaue Anzahl dann doch mal nachgeschlagen) nicht wirklich vergleichen. Mit der letzten Frage wäre zudem auch die für viele Fans wohl wichtigste abgearbeitet. Nun aber zum musikalischen Inhalt: Wie viele andere Personen vor mir bereits richtig angemerkt haben, ist "Werwolf" mit seiner punkigen Attitüde und dem drei Kind starken Kinderchor ein vergleichsweise untypisches Stück im MARDUK-Kosmos und damit sicherlich ein noch untypischerer Opener. Trotzdem kann man daran schon erkennen, dass man auf "Viktoria" ein noch minimalistischeres Leitmotiv gewählt hat, nach dem man nicht nur weitestgehend auf Samples verzichtet (einzig die kurzen Intros von "The Devil's Song" und "Silent Night" bilden die Ausnahme), sondern auch eine schnörkellose, trocken-rumpelnde Produktion ausgewählt hat.

Die Songs sind aber, wenngleich ein echter Smashhit im Stile eines "The Blond Beast" dieses Mal fehlt, so eklig grau und wunderbar eindimensional, wie sie auf einem Black Metal-Album mit diesem thematischen Background nur sein können. Dazu giftet Mortuus pausenlos eine abstoßende Zeile nach der anderen in seinen Feldfunker (man beachte beispielsweise die krude geschrieenen Singalongs in "June 44"), die den Krieg atmosphärisch genauso gut wie Håkanssons charakteristisch-karge Tremolos und Semi-Melodien (z.B. in "Equestrian Bloodlust" oder "Narva") widerspiegeln. Darüber hinaus wird das klassische Arsenal (klassischer als im Titelsong geht es quasi nicht mehr) auch auf diesem Album wieder um schleppendes Schwerstgerät ("Tiger I", der Einstieg von "The Last Fallen" und das abschließende "Silent Night") erweitert, das zur Erfüllung der Mindeststandards im Bereich Abwechslungsreichtum beiträgt.

Ansonsten gibt es zu "Viktoria" auch nicht mehr allzu viel zu sagen. Natürlich weichen die Schweden nur minimal von ihrem bisher eingeschlagenen Weg ab und agieren hier höchstens noch ein Stück puristischer als zuvor, aber all das ist auch ihr gutes Recht. Es gibt kaum eine oder gar keine Black Metal Institution, die annähernd durchgängig Songs schreiben kann, die gleichzeitig prägnant, eingängig, brutal, simpel und stimmig sind, wie das MARDUK auf den meisten ihrer Alben tun. Zu allen anderen Themen sollte ich nahezu alles erwähnt haben, was mir auf der Zunge lag, weswegen ich dazu nur noch folgendes anfüge: Man muss nicht zwanghaft aus allem ein Politikum machen, auch wenn man manch einen Künstler für streitbar und die eigene Meinung dazu für erwiesen und daher allgemeingültig hält. Stetes Hinterfragen fernab von manifestiertem Schwarz-Weiss-Denken ist heutzutage sicherlich wichtiger denn je, stellt uns aber auch vor einen größeren Umbruch - medial und in der Denkweise eines jeden Einzelnen. Wie man die Person Morgan Steinmeyer Håkansson betrachten sollte, lässt sich hier demnach ohne persönliche Erfahrungen nicht abschließend aufklären, zumal er in Interviews (wie in dem kürzlich vom geschätzten Kollegen Seidinger geführten), wie viele andere Black Metal Künstler eben auch, gerne ausweicht oder nur sehr vage antwortet. Das lässt natürlich einen immensen Interpretationsspielraum zu, was wiederum immer noch nicht zu Diffamierungen und Generalverdacht berechtigt, da es nunmal auch ein Teil der DNA dieser Subkultur, die sich per definitionem seit jeher als anti und extrem sieht und zudem in einem anderen, ungleich politisch wie gesellschaftlich vergifteteren Zeitalter entstand, ist, die viele aus nachvollziehbaren Gründen nicht aufgeben möchten, weil das u.A. auch einem partiellen Identitätsverlust eines autarken Musikstils gleich käme. Zumal es immer noch ein gewaltiger Unterschied ist, ob man in seinen Texten eindeutig Stellung bezieht oder geschichtliche Ereignisse in einem künstlerischen Rahmen abbildet. So muss jeder für sich selbst ermessen, ob er einer Band wie MARDUK die Unterstützung zu- oder versagt und - vor allem - welche Mittel er dafür wählen möchte. 



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Pascal Staub (15.06.2018)

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