SUBWAY TO SALLY - HEY!

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VÖ: 08.03.2019
Bandinfo: SUBWAY TO SALLY
Genre: Experimental Metal
Label: Subway To Sally (Universal)
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Lineup  |  Trackliste

Auch wenn bereits stolze fünf Jahre seit dem Release von "MitGift" vergangen sind, hallt der Stilwandel in den alternden Gemäuern des Mittelalter Rock/Metal immer noch nach - was wohl auch daran liegen wird, dass SUBWAY TO SALLY daran anknüpfend auch noch ihre erfolgreiche Akustik-Formel, die sie ein paar Jahre zuvor mit "Nackt" ausgefüllt haben, um moderne Electronica ausbauten und in "Neon"-Farben tauchten. Während die Kollegschaft mit Gemeinschaften aus Deutschrock und Dudelsack also die Zugbrücke zur Massentauglichkeit heruntergelassen haben (was nicht unbedingt schlecht sein muss), waren die Potsdamer eher damit beschäftigt, ihre eigenen Anhängern zahlreiche Herausforderungen gegenüberzustellen. So oder so: die einst so verträumte und mystische Abspaltung vom Gothic und ihre Zugpferde haben sich dem Romantizismus längst vergangener Zeitalter größtenteils losgesagt und stehen der hässlichen Visage der Moderne unbeugsam gegenüber. Sie sind im Hier und Jetzt angekommen, was wahrscheinlich nicht nur am aktuellen Weltgeschehen, sondern eben auch daran, dass sich die mittelalterlichen Geschichten längst schon abgenutzt haben, liegt.

Und wenn die drei vorab veröffentlichten Singles "Königin der Käfer", "Imperator Rex Graecorum" und "Messias" eines gezeigt haben dürften, dann dass "HEY!" noch einige größere Schritte weiter als sein Vorgänger gehen dürfte. Für den ein oder anderen langjährigen Verfolger der Band, der schon zu "Bastard"-Zeiten mürrisch die Rückkehr zu den Wurzeln forderte, dürfte das anstrengend, nein, regelrecht überfordernd werden. Für die Band selbst erscheint mir dieser Sprung nach 29 Jahren Bestehen aber nur allzu logisch und an dieser Stelle muss ich direkt ein erstes Kompliment übermitteln: Lange habe ich mir auszumalen versucht, wie ein SUBWAY TO SALLY nach "MitGift" wohl klingen könnte und ob man die Experimente vielleicht sogar wieder drosseln würde, aber genau diese Erwartungen hat das Septett definitiv nicht bedient und dafür bin ich dankbar.

Denn "HEY!" hat mir eingangs genau das abverlangt, was ich gerade in dieser Subsparte, in der häufig der pure Fanservice (mit greller Leuchtreklame ausgeschildert) als absolutes Nonplusultra propagiert wird, zuletzt schmerzlich vermisst habe: es fordert mich, spielt spöttisch mit meinen Erwartungen und meidet Genrekonventionen aus Überzeugung. Hätte ich diese Rezension nach nur einem Hördurchgang verfasst, liessen sich hier weitaus bissigere Worte und eine deutlich niedrigere Bewertung lesen. Nach vielen Durchgängen aber muss ich bei jedem weiteren permanent schelmisch grinsen, weil sich die Ideen und Intentionen dahinter immer weiter aufschlüsseln und für Hörgenuss sorgen. Komplett unberührt davon blieb der Opener "Island", der aus zweierlei Gründen wirklich umgehend in Wohlgefallen aufging (und trotz seiner Varianz nur ein vager Vorbote für das ist, was im weiteren Verlauf noch folgen soll): Die Mischung aus wuchtigen Gitarren, Synthie-Bläsern, mittelalterlicher Drehleier-und-Geigen-Choreo und dröhnendem Elektro wurde blendend austariert UND der Gastbeitrag von LORD OF THE LAST Vokalist Chris Harms, dessen Screams sich nicht nur überraschend gut einfügen, sondern auch die Catchphrase des Jahres, „Dann wander' doch nach Island aus und änder' deinen Namen, denn sonst schicken wir dir Karten“ (sorry für den Spoiler, aber diese Passage ist ein richtiges Highlight), perfekt intoniert.

Danach beginnt aber die berüchtigte Achterbahn der Gefühle, da man stetig mit Gratwanderungen konfrontiert wird, die das eigene Schubladendenken, von dem man dachte, dass man es längst verbannt hätte, immer wieder beschwört und seziert. Man fragt sich zwangsläufig: „Was hat das noch mit Mittelalter, mit der Band, die ich früher kennen und lieben gelernt habe, zu tun?“ Genau darin liegt aber der Denkfehler. Wen interessiert das überhaupt? Darf man etwas, das nicht den Erwartungen entspricht, nicht gut finden, darf man diesem keine Chance geben? In einer Zeit, in der SUBWAY TO SALLY gerne auch mal dafür gerügt werden und wurden, dass sie in Sachen Lyrik stark abgebaut haben sollen, bin ich wiederum von der Courage begeistert, mit der sie auf verschiedensten Ebenen innere Dispute hervorrufen und mit Songs à la "Messias" nicht nur den aktuellen Zeitgeist um Smartphones, digitale Währungsformen etc. karikieren, sondern mit dem stilistischen Wandel zwischen MARILYN MANSON'eskem Industrial Rock/Metal, stadion-tauglichen Wohohos und Mittelalter gleichzeitig auch den Hörer beanspruchen. In "Imperator Rex Graecorum" sind diese Kontraste zwischen Carmina Burana und modernem, elektronisch unterbautem Rock/Metal sogar noch ein bisschen stärker.

Generell ist es bemerkenswert, wie viel sich SUBWAY TO SALLY auf "HEY!" zutrauen und - vor allem - wie viele unterschiedliche Stile sie dabei einbinden. Diese Vielschichtigkeit geht einerseits sicherlich zu Lasten eines erkennbaren roten Fadens wie noch auf "MitGift" beispielsweise, befreit gleichzeitig aber auch auch von konzeptionellen Zwängen und schafft dadurch eine Vielzahl an Möglichkeiten; zumal irgendwo auf diesem Werk auch so etwas wie ein Konsens herrscht, und sei dieser nur im kontinuierlichen Experiment verborgen. Die Möglichkeiten jedenfalls nutzt man aus, bedient sich in "Königin der Käfer" z.B. an einer fast schon avantgardistischen Struktur, in der man zuerst dem recht poppigen Refrain sowie wabernden Synths entgegengestellt und später erst von einem vertrackten, metallischen Break aufgerüttelt wird. "Am tiefen See" (der Nachfolger von "Die Rose im Wasser" inkl. dem Intro "Anna's Theme" aus dem Film "The Red Violin") angelangt, muss man zunächst gar zeitgemäße Trapdrums und düstere Beats ("Selbstbetrug" mit OOMPH!-Sänger Dero lugt auch Richtung Hiphop) verarbeiten, ehe man sich überhaupt mit dem interessanten Twist, dass QNTAL-Sängerin Syrah ihre Passagen zeitweise auf einem mittelalterlichen Fundament singt und Eric auf einem eher moderneren Unterbau agiert, auseinandersetzen kann. Im Übrigen ist das ein Duett, welches ich mir schon seit vielen Jahren erhofft habe - enttäuscht wurde ich nicht. Ein weiteres gutes Beispiel ist auch "Bis die Welt auseinanderbricht", das in den Strophen einzig auf unheildrohende Electronica setzt, sich im Refrain voll und ganz auf Trademarks verlässt und gegen Ende, ähnlich wie zuvor schon in "Königin der Käfer", in ein metallisches Gewitter mündet.

Trotz all der Stilversuche, die sie auf "HEY!" letztlich erfolgreich unternehmen, passen SUBWAY TO SALLY zum Abschluss des Albums aber auch drei geradlinigere, im weitesten Sinne "traditionellere" Stücke in den Kontext ein und lockern damit, wie schon mit dem hymnischen "Die Engel steigen auf" an fünfter Stelle, die experimentelleren Phasen auf, runden diese ab. Was alle drei gemeinsam haben? Sie sind ungemein rifflastig. Die Unterschiede? "Alles was das Herz will" implementiert nur zaghaft Folk-Elemente, "Aufgewacht" baut diese aus und hat zudem enormes Live-Potenzial und das abschließende "Ausgeträumt" kreuzt Industrial Metal mit einem klassischen Refrain, schweren Synthesizern und Geigenklängen. 

Und nun kommt das Fazit, vor dem ich mich - man merkte es vielleicht schon am Rede- bzw. Schreibfluss - möglichst lange drücken wollte, weil ich selbst nach etlichen Hördurchläufen immer noch nicht hundertprozentig sicher bin, wo ich "HEY!" für mich persönlich einordnen soll. Das wiederum liegt aber ausschließlich darin begründet, dass ich bisher, bis auf das im Nachhinein doch sehr biedere "Kreuzfeuer", eigentlich mit jedem SUBWAY TO SALLY Werk sehr viel anfangen konnte/kann und dabei jede Entwicklung, jeden Stilwandel begrüßt habe. Jede Passage habe ich bis dato definitiv noch nicht vollständig durchblickt, aber wenn mich die bisherigen Auseinandersetzungen mit "HEY!" eines gelehrt haben, dann dass enormes Grower-Potenzial in ihm schlummert. Man hört diesem Album einfach an, dass das Septett und seine Gäste im Studio enorm viel Spaß daran hatten und damit möchte ich auch den Gedanken zum 29-jährigen Bestehen, den ich oben bereits angedeutet habe, final abschließen, denn nichts Anderes als das Entfachen neuer Motivation und Begeisterung sollte nach all diesen Jahren von höherer Priorität für einen Künstler sein. "HEY!" ist also ein richtig gutes, kreatives und leidenschaftliches Album im erweiterten Metal-Kosmos, das wahrscheinlich ähnlich wie seinerzeit "Engelskrieger" polarisieren wird, aber ebendieses ist nach einer gewissen Eingewöhnungsphase ja auch enorm in der Gunst der Fans gestiegen. 



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Pascal Staub (07.03.2019)

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