ELUVEITIE - Ategnatos

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VÖ: 05.04.2019
Bandinfo: ELUVEITIE
Genre: Folk Metal
Label: Nuclear Blast GmbH
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Lineup  |  Trackliste  |  Credits

Als ELUVEITIE das letzte Mal in zwei aufeinanderfolgenden Jahren zwei Alben ("Evocation I - The Arcane Dominion" und "Everything Remains As It Ever Was") veröffentlicht haben, begann das gaulische Getriebe allmählich zu stocken. Was später, genauer gesagt im Jahre 2016, in einem drastischen Cut endete, der u.A. den Abgang einer Identifikationsfiguren à la Anny Murphy (Vocals, Hurdygurdy) und wichtigen Bausteinen wie Ivo Henzi (Gitarre) und Merlin Sutter (Drums) zur Folge hatte, zeichnete sich über die Jahre dazwischen graduell ab. Sowohl "Helvetios" als auch "Origins" rangierten zwar immer noch über dem Folk Metal-Durchschnitt, mussten dafür aber offenbar immer wieder mit Entscheidungsschwierigkeiten ob der musikalischen Ausrichtung der Alben und damit womöglich auch in Bezug auf den Fortbestand der Band zu ringen, was man z.T. auch von außen registrieren konnte, wenn man nicht ausschließlich Konsum-fixiert lauschte. Da ist es kein allzu großes Wunder, dass man auf "Ategnatos", dem neuen Metal-Album, das in derselben Besetzung, die "Evocation II - Pantheon" (hier geht's zur Review) schon sehr gut gemeistert hat, aufgenommen wurde, das Motto der Wiedergeburt ausgibt. Und das zieht sich durch alle Teilaspekte des Albums.

Das Songwriting: "Ategnatos" bzw. die Mische aus schwedischem Melodic Death Metal und keltischem Folk klingt, während zumindest ich bei den beiden Vorgängern desöfteren das Gefühl hatte, man würde stilistisch zwischen den Stühlen stehen, weil man das Visier für eine möglichst große Zielgruppe öffnen wollte, wieder in sich schlüssiger, ausgeglichener. Bestes Beispiel dafür: Während ein "Call Of The Mountains" durch seinen doch arg poppigen Charakter im Kontext von "Origins" angeeckt ist, fügt sich "Ambiramus" ebendiesem besser, weil es sich trotz diverser Parallelen nicht so aufdringlich positioniert. Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass "Ategnatos" sowohl in den metallischen Momenten deutlich härter als auch in den folkigen Momenten deutlich folkiger ausgefallen ist, was dem Werk bei vertrautem Klangbild Frische gibt. "Mine Is The Fury" ist quasi ein moderner ARCH ENEMY Song in deutlich besser und "Worship" (inkl. Gastvocals von LAMB OF GOD Fronter Randy Blythe), "Threefold Death" (inkl. Djent-Sektion) sowie "Rebirth" üben mächtig Druck aus. Auf der anderen Seite stehen das teils stimmungsvoll-ritualistische, teils poppige "The Raven Hill", das meiner Meinung nach alles überragende, an "Spirit"-Zeiten erinnernde und melancholische "Breathe" sowie die gewohnt dazwischen platzierten Zwischenspiele à la "Trinoxtion" (mit "Samon"-Zitat) und "The Silvern Glow", die ELUVEITIE für den Bestand der Grundatmosphäre einfach benötigen und immer noch fantastisch umsetzen.

Die Lyrics: In einigen Songs beschwören Chrigel und Fabienne fast schon demonstrativ die Wiedergeburt von ELUVEITIE (immerhin ist "Ategnatos" das gallische Wort für wiedergeboren); was mir persönlich aber viel mehr zusagt, sind die vielen clever eingewobenen, nicht zu bedrängenden Selbstreferenzen und - ganz besonders - die in mythologischen Metaphern verborgene Sozialkritik, die sich immer wieder bissig mit der Neuzeit auseinandersetzt und dabei Analogien zu dem von ELUVEITIE besungenen Zeitalter herstellt. Am auffälligsten geschieht das noch in "Worship", das sich u.A. mit dem Personenkult um autoritäre Machthaber beschäftigt, aber auch im restlichen Verlauf gibt es etliche subtilere Allusionen zu entdecken. Es lohnt sich also definitiv, sich mit dem Textkonzept zu befassen.

Der Sound: Ich mache keinen besonderen Hehl daraus, dass ich kein großer Fan von "Helvetios" und "Origins" bin und das lag, bei aller Kritik an der stilistischen Unentschlossenheit, maßgeblich am Soundengineering von Herrn Vetterli. Drucklos, komprimiert, flach, undynamisch, sprich: für ELUVEITIE ungeeignet. Die Band wird das aus den vielen anderen Blickwinkeln womöglich viel besser beurteilen können, aber wenn man sich "Ategnatos" direkt nach seinen Antezessoren anhört, öffnet sich fast schon ein komplett neues Universum. Woran das liegt? An der Rückkehr zu Jens Bogren, der zuletzt große Teile von "Slania" aufgenommen, sowie das gesamte Album produziert, abgemischt und gemastert hat. Man muss sich überhaupt erstmal zutrauen, eine neunköpfige und so vielschichtig instrumentierte Band wie ELUVEITIE anzunehmen, aber selbst wenn der Bass in manchen Situationen untergeht, hat man es hier mit einer erstaunlichen Transparenz zu tun, die selbst den Anschlagsklängen der Hurdygurdy-Tasten (in  "Deathwalker" und "A Cry In The Wilderness" z.B.) noch Raum lässt und eben nicht wegrationalisiert. Der Sound von AMORPHIS' "Queen Of Time" war schon phänomenal und auch hier macht der versierte Schwede keine Ausnahme. Für manch einen mag das aus legitimen Beweggründen zu glatt sein, aber bei einem solch hohen Detailreichtum muss man womöglich auch mal Kompromisse eingehen können, um das insgesamt bessere Ergebnis zu erreichen.

Die Band: Eigentlich der wichtigste Aspekt, der schon auf "Evocation II - Pantheon" Eindruck hinterlassen hat. Während das Bandgefüge anfangs zumindest live noch etwas unterkühlt erschien, kann man auf "Ategnatos" eine beachtliche Harmonie erleben, die einen hoffen lässt, dass diese Konstellation auf die nächsten Jahre bestehen bleiben wird. Mit welchem Selbstverständnis ELUVEITIE hier miteinander agieren und diesen doch relativ schwierigen weil kontrastreichen Stil realisieren, überrascht mich doch ein wenig. Dazu muss man sich als Beispiel einfach nur mal den flüssigen Übergang zwischen den galoppierend-schwungvollen Folkinstrumenten und dem Gitarrensolo in "Black Water Dawn" vorstellen. Die Wiedergeburt ist offiziell vollzogen und besonders erfreulich ist, dass auch Michalina Malisz dieses Mal deutlich mehr Einfluss mit ihrer Hurdygurde hatte. Und wenn ich schon bei einzelnen Akteuren bin: Alain Ackermanns Schlagzeugspiel ist eine immense Bereicherung für die Band. Seine Patterns sind abwechslungsreich, zitieren auch gerne mal aus anderen Genres wie dem Black Metal ("A Cry In The Wilderness"), peitschen "Ategnatos" äußerst dynamisch nach vorne, haben in den ruhigeren Momenten aber auch die nötige Geduld, sich den anderen Instrumenten unterzuordnen. Das größte Lob, das man hingegen an das Gitarrenduo Salzmann / Wolf weitergeben kann, ist, dass ihr Zusammenspiel gleichzeitig vertraut klingt und dennoch Frische (mehr Soli, modernere Riffstrukturen) hinzuaddiert. Matteo Sisti scheint auf instrumentaler Ebene so etwas wie der geistige Bruder von Chrigel Glanzmann zu sein und selbst wenn die Ideen überwiegend von diesem stammen sollten, füllt der Italiener eine Rolle aus, die nach dem Abgang von Sevan Kirder nicht mehr ausgefüllt wurde, von anderen anschließend in Gemeinschaftsarbeit übernommen werden musste und daher beispielsweise wieder mehr Raum für Flötenarrangements in Gesangspassagen ermöglicht. Die wohl vakanteste Position war aber die der weiblichen Identifikationsfigur und Sängerin, die ELUVEITIE in den letzten Jahren bewusst immer stärker betont haben und mit Fabienne Erni fortführen wollten. Nörgler wird es natürlich immer geben, aber viel besser hätte man die Wahl dann auch nicht mehr treffen können. Nicht nur, dass die Dame eine authentisch Bühnenpräsenz offenbat und diese Musik bis in die letzte Haarspitze zu fühlen scheint, nein, auch ihre gesangliche Darbietung, die von zerbrechlich über poppig bis hin zu theatralisch eigentlich alle Facetten bedient, ist wirklich vorzüglich und kann Songs wie die Single "Ambiramus" oder auch "The Slumber" komplett alleine stemmen.

Lange Rede, kurzer Sinn: "Ategnatos" ist für mich das beste (Metal-)Album seit "Slania" und eigentlich genau das Werk, das sich meine Wenigkeit danach gewünscht hätte. Waren die Vorgänger auch in ihrer Spielzeit noch zu lang, weiß die Reinkarnation über die volle Stunde hinweg zu fesseln, weil man sich den Abwechslungsreichtum beibehalten konnte, gleichzeitig aber ein runderes Gesamtbild verwirklicht hat, bei dem man keine plötzlichen Stilbrüche zu fürchten hat. Nach Jahren der Kritik konnte ich mich hier mit ELUVEITIE endgültig wieder versöhnen und an vielen Stellen sogar neu in den keltischen Folk Death Metal, der einst einen großen Teil meiner musikalischen Sozialisierung eingenommen hat, verlieben. Dafür bin ich zutiefst dankbar und ziehe meinen imaginären Hut vor der bemerkenswerten Leistung und dem Mut, eine Zäsur zu vollziehen und, allen Schmähungen zum Trotz, eine neue, funktionierende Formation finden zu wollen bzw. schlussendlich zu finden und daraus mit einem solchen Klasse-Opus zu erwachsen.



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: Pascal Staub (03.04.2019)

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