ORANSSI PAZUZU - Mestarin kynsi

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VÖ: 17.04.2020
Bandinfo: ORANSSI PAZUZU
Genre: Space Rock
Label: Nuclear Blast GmbH
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Lineup  |  Trackliste

Gelegentlich, also beispielsweise bei stilistisch besonders speziellen Alben, stellt man sich als Musikrezensent gerne die Frage, ob überhaupt der Künstler selbst sein eigens fabriziertes Werk adäquat in Worten beschreiben könnte, wenn man ihn darauf anspräche. Nicht dass dies zwingend nötig wäre, spricht doch selbst dann jeglicher Klang für sich, aber ORANSSI PAZUZU, die überraschend frühzeitig nach dem gemeinsamen außerirdischen Rauschmittelexperiment um The Shaman, The Possessor und The Seeker mit dem finnischen Kollegium von DARK BUDDHA RISING solo zurückkehren und sich heuer in der autoritären Klaue des Meisters wiederfinden, sind eine solch außergewöhnliche Konstellation, bei der höchstwahrscheinlich nicht wenige der immer wieder ob der wahnwitzigen Soundcollagen staunenden Fanbase gerne mal genau diese Frage stellen oder gar nur ein einziges Mal heimlich den Songwriting- und Aufnahmeprozessen mitten im schwindelerregenden Wurmloch beiwohnen würden.

Selbst wenn man sich hier also auf Genrebegrifflichkeiten à la Psychedelic Black Metal festlegen wollen würde, um der Leserschaft einen groben Umriss der zu erwartenden Soundscapes vorgeben zu können, wäre das gemessen an dem, was auf "Mestarin kynsi" geschieht, immer noch zu kurz gegriffen und daher schon nahezu beleidigend profan gegenüber den fünf orangen Dämonen. Wie schon seit dem debütierenden "Muukalainen puhuu" schweben ORANSSI PAZUZU auch mit dem Fünftwerk der Diskografie gemäß der Doktrin ihres eigenen Multiversums, in dem man das Quintett zwar immer wieder unstreitbar wiederkennt, trotzdem aber jedesmalig neuerlich entdecken wird - einen geistiger Nachfolger des famosen "Värähtelijä" wird man hier also nicht vorfinden. Grandios, göttlich oder einfach nur erhaben ist "Mestarin kynsi" in seiner eigenen Couleur allerdings dennoch, was sich wohlgemerkt nicht nur darin begründet, dass ORANSSI PAZUZU ihren dedizierten Kosmos erschaffen haben, sondern diesen auch wiederholt vollumfänglich auszufüllen wissen, ohne sich zu wiederholen. Gab es auf dem Vorgängerwerk beispielsweise noch eindeutigere Black-Metal-Reminiszenzen, sollte man sich zu "Mestarin kynsi" gar nicht erst auf die hochmotivierte Expedition danach begeben, denn dann würde man nur enttäuscht zurückkehren, weil man höchstens im hyperaktiven Finisher "Taivaan portti" Spuren davon vorfinden würde.

Die banale Suche nach Genres oder Einflüssen war und ist allerdings auch nie der Auslöser der Faszination, die aus dem dunklen Sog strömt, gewesen; viel mehr ist es die Atmosphäre, die Stimmung, in die das Publikum mit der unkonventionellen Klangmischung versetzt wird. Mittels einer Vielzahl an trippigen Keyboard-Layern, spannend-anbrupten Laut-Leise-Wechselbädern sowie dröhnenden Stoner-Gitarren und -Bassläufen erbauen "Ilmestys" und "Tyhjyyden sakramentti" innerhalb von knapp siebzehn Minuten ein bedrohlich wie zugleich einladend wirkendes Bildwerk, während Jun-His' kratzige Gesangsriten direkt aus dem sehnenden Vortex dunkler Materie nach dem Zuhörer greifen. Was es sonst noch zu entdecken gibt? Ganz einfach: Leiernde Tape-Sounds, Dark Ambient, fiebrige Percussion und schiefe Synth-Trompeten ("Kuulen ääniä maan alta"). Finstere Industrialvibes, catchy Space-Rock-Sphären inkl. gesampelten Frauengesangs, mal donnernde, mal rockige Saitentöne - und wieder Dark Ambient ("Uusi teknokratia"). Ach ja, und dann - natürlich - auch noch schräge Digital-Streicher sowie eine achtminütige kosmische Synthesizer-Implosion ("Oikeamielisten sali").

Hier muss ich nun aber unterbrechen und mich selbst restriktieren, denn ironischerweise ist das bei weitem noch nicht alles, was durch "Mestarin kynsi" in die Gehörgänge strömt. Anderen Künstlern knüpft man aus einer ähnlichen Fülle umgesetzter Ideen einen strafend-vorwurfsvollen Strang, weil man entweder zu megaloman damit umgesprungen ist oder sie nicht zu zusammenhängenden Kompositionen verketten konnte. Aber bei all dem vermeintlich unkontrollierten Wahnsinn und der ausufernden Kreativität, die ORANSSI PAZUZU seit jeher begleiten, spürt man stets einen unsichtbaren Einfluss, der das skurrile Chaos für Normalsterbliche ordnet und übersetzt, den Zugang simplifiziert und gleichzeitig das gesamte, geniale Potenzial enthüllt. Illusionen sollte man sich ob dieser Äußerungen jedoch keine machen, denn ein gemütlich abzuflanierender Bummel durch das Universum ist "Mestarin kynsi" trotzdem nicht - und selbst die wachsende Anhängerschaft der Band sollte einkalkulieren, dass man hier zunächst wieder knapp über Null beginnen könnte und sich sukzessive voranarbeiten müsste. Origineller (und besser) als ORANSSI PAZUZU zu sein ist unter diesen Umständen ein nahezu undenkbares Szenario. Um beim finnischen Vokabular zu bleiben: "Mestarin kynsi" = Mestariteos. Oder zu Deutsch: Meisterwerk.



Bewertung: 5.0 / 5.0
Autor: Pascal Staub (18.04.2020)

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