NIGHTWISH - HUMAN. :II: NATURE.

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VÖ: 10.04.2020
Bandinfo: NIGHTWISH
Genre: Symphonic Metal
Label: Nuclear Blast GmbH
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Lineup  |  Trackliste

Dass die Finnen von NIGHTWISH seit dem festen Beitritt seitens der sympathischen Niederländerin Floor Jansen im Jahre 2013 mehr Live Releases als Studioalben veröffentlicht haben, das liegt natürlich zum einen daran, dass sich derartige Releases einfacher verwirklichen lassen und zum anderen daran, dass NIGHTWISH grundsätzlich viel Zeit in einen neuen opulenten Release stecken. 2020, fünf Jahre nach "Endless Forms Most Beautiful" sollte es nun soweit sein und mit "Human. :II: Nature." erscheint das nunmehr neunte Studioalbum. Zwei Discs umfasst dieses Werk, was das ein oder andere NIGHTWISH Herz sicherlich höher schlagen lässt, doch seid gewarnt! CD2 ist bis auf diverse Sprachpassagen komplett instrumental und Metal-frei, was für eventuelle Ernüchterung sorgen könnte. Ich möchte vorwegnehmen, dass sich meine Rezension vollkommen auf CD1 konzentriert, da CD2 meiner persönlichen Ansicht nach unter einem anderen Banner von Mastermind Tuomas Holopainen hätte veröffentlicht werden sollen. Der essentielle Teil findet sich auf CD1, die wir in der Folge näher beleuchten möchten. 

Ein Konzeptalbum?
Laut Bandleader Holopainen stellt "Human. :II: Nature." ausdrücklich kein Konzeptalbum dar, sondern jeder Song kann für sich selbst betrachtet werden. Im Großen und Ganzen betrachtet das Werk den Menschen, der sein Potenzial nicht in voller Gänze auszuschöpfen scheint oder der sein Leben nicht als das Geschenk betrachtet, das es ist. Die Lyrics sind wie so oft sehr poetisch veranlagt und arbeiten sowohl mit Metaphern als auch Zitaten, siehe "Shoemaker", was am Ende mit einem Zitat aus Shakespeares Romeo und Julia aufwartet. Zugegeben: Wir finden hier keine 08/15 Lyrics vor, die sich nebenbei entschlüsseln lassen und auch als Redakteur hatte bzw. habe ich so meine Schwierigkeiten, alles greifbar zu machen. Dementsprechend dankbar bin ich für den Input eines guten Kollegen aus der Redaktion. Lasst euch gesagt sein, dass es sicherlich keine Grundregel gibt, nach welcher sich die Texte betrachten lassen. Musik und Lyrics fließen ineinander und ich kann euch nur empfehlen, euch in einer ruhigen Stunde mit Kopfhörern ins Bett oder auf die Couch zu legen und das Album in seiner Gänze auf euch wirken zu lassen. So wird jeder seine eigene Interpretation finden, die weder richtig noch falsch ist. Sie spiegelt lediglich völlig individuell das wider, was euch das Album mit auf den Weg gibt und das ist sicherlich auch irgendwo die Kunst, die ein Mr. Holopainen erschaffen wollte. Am Ende setzt sich der Mensch mit dem Menschen auseinander und dem ein oder anderen werden vielleicht auf neue Art und Weise die Augen geöffnet.

Musikalisch typisch NIGHTWISH?
Neben den Lyrics ist der markante und wichtige Part natürlich die Musik als solches, wo wir die Texte mal Texte sein lassen. Ich habe mich dabei erwischt, wie ich nach dem ersten Durchgang der Platte völlig enttäuscht zurückgelassen wurde. Keine Regung, kein Gefühl. Ich habe schlichtweg nicht greifen können, was dieses Album von mir "will". Und dennoch, auf völlig magische Weise, wollte ich zurückkehren. Ob es der durchaus gradlinige Opener "Music" ist, der allein im ausladenden Intro für diverse Gänsehautmomente sorgt und einen grandiosen wie epischen Aufbau hinlegt oder das strukturell komplexe "Shoemaker", das im Endteil durch den aufwühlenden Operngesang seitens Floor Jansen und einem Zitat für große Emotionen sorgt. NIGHTWISH bringen hier all das unter, was ihre Diskografie so hergibt. "Noise" zum Beispiel wurde nicht umsonst als Single gewählt, so verkörpert jener Song sicherlich einen der absolut klassischen NIGHTWISH Tracks wie man sie fast erwarten würde. Für mich ist es hier weniger die Hook, die den Song ausmacht, sondern die wuchtigen Orchesterparts, die in der Leadmelodie gewissermaßen an das opulente Game Of Thrones Intro erinnern. Sicherlich der zugänglichste Track der Platte, der aber vor allem nach dem emotionalen Beginn durch "Music" eine starke Energie mitbringt. "Harvest" zeigt die folkloristische Bandbreite der Truppe, welche Mr. Troy Donockley sicherlich am stärksten beeinflusst hat. Dementsprechend ist es auch er, der hier die Lead Vocals übernimmt und uns durch einen melancholischen Track führt, der leise beginnt und am Ende ganz viel Energie und Wärme an uns heranträgt. Natürlich ist der gute Mann kein absolutes Gesangswunder, aber seine Stimme hat Charakter und diesen Charakter überträgt er auf den Song, der unscheinbar wirken mag, für mich aber zu den Geheimfavoriten der Platte gehört. "Pan" ist wieder was für die alte NIGHTWISH Garde und könnte auch einem der monumentalsten Werke der Bandhistorie entspringen, "Century Child". Hier stehen starke orchestrale Arrangements im Vordergrund und eine gradlinige Struktur, die es dem Hörer einfach macht, sich dem Song anzunähern. Zwischen progressiv angehauchten Tracks wie "Shoemaker" oder "Procession" braucht es aber auch Tracks, die sich in ihrer "Einfachheit" erschließen. Das ebenfalls folkig angehauchte "How's The Heart?" ist in meinen Augen der unspektakulärste Song der Platte, macht sich aber aus genau diesem Grund sehr gut. Keine großen Experimente, sondern eine straighte Nummer, die sofort zeigt, was sie hat und was sie kann.

"Procession" und "Tribal" könnten den ein oder anderen gen Ende nochmal etwas mehr fordern. Ersterer besteht im Prinzip aus einer durchgehenden Strophe bzw. Melodie, steigert sich nur in seiner Intensität und der Art und Weise, wie die atemberaubende Floor Jansen ihre Sangeskunst zur Schau stellt. Floors Stimme allein ist vollkommen ausreichend, um dieses Stück zu tragen und dennoch findet man hier viele musikalische Details vor, die dieses Stück so einzigartig machen. "Tribal" umgibt sich mit einer düsteren Atmosphäre und offenbart eine Härte, die man in den Gefilden von NIGHTWISH eher selten antrifft. Dem gut informierten Metalliebhaber wird nicht entgangen sein, dass Floor Jansen vielseitig einsetzbar ist und so bekommen wir hier ihre Screaming-Kunst präsentiert, was dem Album nochmal eine neue Seite mit auf den Weg gibt. Das Drumming wirkt hier ebenfalls sehr experimentell und durchaus exotisch, ummantelt den Song mit einer außergewöhnlichen Dynamik, die mir sehr zu gefallen weiß. Es ist einer dieser Songs, die du mit Worten kaum an den Leser heranzutragen vermagst, aber für mich ist es schlichtweg die Wundertüte des Albums. Zum Abschluss erklingt mit "Endlessness" der emotionale Höhepunkt der Scheibe und mein persönlicher Favorit. Endlich darf Marko Hietala zeigen, was er kann und wenn es um Emotionen geht, weiß mich der Mann zu packen. Eingeleitet wird das Ganze von einer wunderschönen Melodie, die von der Leadgitarre getragen wird. In der Folge verändert der Song aber seine Marschroute und stampft mit einer gewissen Bestimmtheit durch die Strophe, während die Hook wieder einen Hauch von Melancholie versprüht. Irgendwie vermisse ich die Melodie, die wir zu Beginn bestaunen durften, doch siehe da! Den Abschluss bildet eben jene Melodie gepaart mit Markos unvergleichlicher Stimme. Bevor alles verstummt, hören wir noch seichte Streicher, die uns aus diesem Album entlassen.

Was bleibt am Ende?
Ich ärgere mich heute noch über die Wertung, die ich seinerzeit "Endless Forms Most Beautiful" habe zukommen lassen, denn in der Nachbetrachtung und mit etwas Abstand zählt jener Output für mich zu den schwächsten, die NIGHTWISH jemals veröffentlicht haben. Sei's drum. "Human. :II: Nature." zählt mit ganz großer Sicherheit nicht dazu, denn es weiß mich zu ergreifen, zu berühren. Ich würde durchaus behaupten, dass es zu den komplexeren Outputs der Bandgeschichte gehört, doch auch wenn es nach Durchgang eins überfordernd wirken mag oder euch langweilt, so lässt sich kaum bestreiten, dass es das gewisse Etwas ausstrahlt, das euch mit Nachdruck dazu verleitet, zu diesem Album zurückzukehren. Wer dem Album diese verdiente Zeit einräumt, der wird hier seine völlig eigene Geschichte erleben, denn Lyrics und Musik machen es möglich. Die zweite CD klammere ich hier zwar aus, aber vielleicht bietet ja auch jene eine gute Untermalung für die ein oder andere Beschäftigung. Für mich ist und bleibt CD 1 der essentielle Teil des Albums und der will von mir bewertet werden. Ich bin dankbar für die Reise, die ich durch dieses Werk bestreiten durfte und noch weiterhin bestreiten werde. Lasst euch fallen!



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: Sonata (15.04.2020)

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