CARNATION - Where Death Lies

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VÖ: 18.09.2020
Bandinfo: CARNATION
Genre: Death Metal
Label: Season of Mist
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Lineup  |  Trackliste  |  Credits

Gute Alben und Startups sind im Death Metal keine Seltenheit - Bewertungen oberhalb der berühmten vier Punkte hingegen schon. Das aufstrebende belgische Jungunternehmen CARNATION markierte mit seinem Album-Einstand "Chapel Of Abhorrence" eine Ausnahme und rang mir seinerzeit stolze 4,5 von fünf Punkten ab. Eine sehr beachtliche Wertung, die ich auch rückblickend vorbehaltlos unterschreiben kann und beim flüchtigen Durchspielen meiner bisherigen Genrebegegnungen allenfalls noch für die aktuelle REVEL IN FLESH-Scheibe herausrücken würde (oder möglicherweise hätte herausrücken sollen). Dieses Album wusste wirklich zu überzeugen - und weil sich Simon Duson und Co. auch live zu meinen absoluten Highlights der letzten Jahre gemausert hatten, waren die Erwartungen an das Nachfolgewerk hoch - sehr hoch.

Genialer Einstand - und jetzt?

Zwei Jahre später steht mit "Where Death Lies" nicht nur das zweite Album der Band, sondern auch die Antwort auf die brennende Frage ihrer Nachhaltigkeit in den Startlöchern. Und wenn sich schon das Artwork des Zweitwerks schon bis auf die Farbgebung kaum von dem des Vorgängers unterscheidet, könnte man durchaus darauf spekulieren, dass CARNATION einfach mit dem weiter machen, was sie gut können und dabei "nur" das Niveau ihres Debuts halten. Es wäre ein leichtes Spiel und eine sichere Bank, bliebe aber klar hinter dem zurück, was die Truppe tatsächlich auf dem Kasten hat. Denn wenn ich aus "Where Death Lies" eine Folgerung ableiten kann, dann, dass diese talentierte Band äußerst passioniert und einfallsreich, aber auch akribisch und ehrgeizig zu Werke geht. Diese Eigenschaft hebt sie von vielen Ihrer Marktbegleiter ab - und das Ergebnis überzeugt erneut.

Man analysiere zum Beispiel die urgewaltige Produktion der neuen Platte. Wie schon bei "Chapel Of Abhorrence" entstand ein Großteil des Sounds in Eigenregie und erhielt den letzten Schliff aus prominenter Hand. Gitarren, Bass und Gesang wurden wieder in Bert Vervoorts Project Zero Studio aufgenommen, das Mixing übernahm erneut Yarne Heylen. Für die Drums verpflichtete man die u. a. durch ihre Arbeit mit BEHEMOTH und VADER bekannten Wieslawski-Brüder und vertraute Jens Bogren das Mastering an (beim Debut übernahm Dan Swanö diese Aufgabe). "Chapel Of Abhorrence" klang schon sehr formidabel, aber "Where Death Lies" legt in fast allen Disziplinen einen drauf. Die Drums wurden verfeinert und hörbar organischer gestaltet, der Sound als Ganzes wurde mit seinem Plus an Transparenz, Volumen und Fülle mehrdimensionaler und fühlbarer - man ist "mittendrin statt nur dabei". Der markante Axtsound blieb indes erhalten - wenn auch in etwas sauberer Form. Alles in allem ein starkes Team mit einem sehr überzeugenden Ergebnis!

In puncto Songwriting führen CARNATION die Tradition ihres Debuts mit harter Hand und typischen Songs fort - und verfeinern das Ganze mit einer Reihe kompositorischer Extravaganzen - allen voran den vermehrt eingespielten Soli, vgl. "Iron Discipline", "Sepulcher Of Alteration" oder "Spirit Excision". "Sepulcher Of Alteration" reißt mit seiner überwältigen Symbiose aus Brutalität und Eingängigkeit mit und der Titelsong kommt fast einem zweiten "Hellfire" gleich. Es geht Schlag auf Schlag, eine Granate jagt die nächste, Lückenfüller sind nicht auszumachen und auch das oft angeführte Attribut der Beliebigkeit kann man sich getrost an den Hut stecken. CARNATION fahren klare Linie ohne zu kopieren, beweisen Liebe fürs Detail, spielen ihre Stärken gewitzt aus und führen ihren Sound zur Perfektion. Viel besser kann man Death Metal nicht spielen.

Und während viele Bands ihr Pulver mit den ersten drei bis vier Songs verschossen haben, drehen die Belgier im zweiten Teil erst richtig auf. Während "Malformed Regrowth" das bekannte Gefüge mit VADEResken Riffs und Melodeath-Anleihen aufpeppt, wagen sich die Belgier mit "Reincarnation" erstmals komplett aus der Komfortzone hinaus. Das Stück, dessen Titel mirakulöserweise den Bandnamen enthält, schlägt musikalisch ein neues Kapitel auf: von Keyboards eingeläutet, von atmosphärischer, erhabener, gar majestätischer Natur, rührt dieses Schwergewicht von Song selbst gestandene Strongmen, Finanzvorstände und auch den Verfasser zu Tränen. Es bringt genau den richtigen Impuls, den man für eine glaubwürdige Evolution braucht. Es ist zweifelsfrei der ungewöhnlichste und mutigste, aber gerade deswegen auch der womöglich stärkste Song ihrer bisherigen Karriere. "ReinCARNATION" - ich komme aus dem Schwärmen nicht mehr raus...soll es sich hierbei womöglich um den zukünftigen Bandsong handeln, der ganz im Stile von MOTÖRHEADs "Overkill" auf keinem Konzert fehlen darf? Die Zeit wird es zeigen, aber mein Tipp steht fest!

Aus großer Kraft folgt große Verantwortung

Wenn zu den melancholischen Schlusstakten von "In Chasms Abysmal" schließlich Klargesang ertönt, hebt man noch einmal überrascht die Augenbraue, atmet tief durch und lässt das Gehörte sacken. Und danach steht eines fest: die größtmögliche Sorge, dass "Where Death Lies" dem Debut nicht das Wasser reichen könnte und die hohe Wertung von "Chapel Of Abhorrence" ein Einmaleffekt gewesen wäre, ist nach dieser Machtdemonstration zweifelsfrei vom Tisch. Viel mehr noch: mit meinem Fazit lehne ich mich weit aus dem Fenster und behaupte, dass der zweite CARNATION-Langspieler mit das Beste ist, was das Genre in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Bleibt nur zu hoffen, dass die Belgier dem Rat eines altgedienten Schreibtischtäters Folge leisten und sich nicht von ihrem wohlberechtigten Erfolg korrumpieren lassen. Denn so sehr CARNATION den werbewirksamen Titel "the new death metal overlords" auch verdient haben - solange sie einfach nur auf dem Teppich und sich selbst treu bleiben, kann diesem gloriosen Meisterwerk nur noch sein eigener Nachfolger gefährlich werden.



Bewertung: 5.0 / 5.0
Autor: Lord Seriousface (12.09.2020)

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