SÓLSTAFIR - Endless Twilight Of Codependent Love

Artikel-Bild
VÖ: 06.11.2020
Bandinfo: SÓLSTAFIR
Genre: Post-Metal
Label: Season of Mist
Hören & Kaufen: Amazon
Lineup  |  Trackliste  |  Credits

Wann immer die Musik von SÓLSTAFIR und ich aufeinandertreffen, steigen unwillkürlich Erinnerungen an mein (vorerst) letztes Live-Erlebnis mit der Band auf, als die Isländer beim Summer Breeze Open Air 2018 auf der T-Stage all ihren Schmerz in die Melancholie geschwängerte, in tiefblaues Bühnenlicht getauchte Nacht hinaus musizierten und mir bei "Fjara" (wie so oft) die Tränen in die Augen schossen. Very emotional...

Während ich diese Zeilen tippe, endet gerade "Her Fall From Grace". Ich befinde mich mitten in "Endless Twilight Of Codependent Love", der brandneuen und mittlerweile siebenten Scheibe des Quartetts aus Reykjavík. Und ich bin verliebt. So verliebt, wie seit dem Hören der unumstrittenen musikalischen SÓLSTAFIR-Karriere-Höhepunkte "Svartir sandar" (2011) und "Ótta" (2014) nicht mehr. 

"Endless Twilight Of Codependent Love" ist die grandiose Rückkehr in die klanglichen Gefilde dieser Meilensteine, wobei SÓLSTAFIR allerdings auch den vor drei Jahren auf dem Vorgänger zum aktuellen Output, "Berdreyminn", eingeschlagenen Weg weiter beschreiten. Der neue Longplayer ist also, auch wenn durchaus immer wieder Reminiszenzen an die frühen Jahre ("Masterpiece Of Bitterness" und "Köld") zu vernehmen sind, nicht komplett Back-To-The Roots. "Endless Twilight Of Codependent Love" ist vielmehr ein Rückschritt nach vorn geworden, eine Verschmelzung von Vergangenheit und Gegenwart, mit Blick in die Zukunft. Und genau das macht das neue Album so spannend und aufregend.

SÓLSTAFIR starten selbstbewusst gleich mal mit einem Zehnminüter - "Akkeri" ist der längste Track auf "Endless Twilight Of Codependent Love". Der Beginn des Stückes erscheint wie eine Hommage an das göttliche "Fjara", doch spätestens mit der ersten Explosion der krätzig sägenden Gitarren sind die Isländer im Jahr 2020 angekommen und "Akkeri" klingt erfrischend neu und gleichzeitig auch alt vertraut. Frontmann Aðalbjörn zieht bereits im Opener (fast) alle Register seiner stimmlichen Bandbreite, und auch musikalisch findet der Hörer bereits hier die verschiedensten Versatzstücke zwischen langsam und schnell, aggressiv und melancholisch, groovend und atmosphärisch. Sehr gelungener Einstand!

Bei "Drýsill" bauen SÓLSTAFIR in knapp neun Minuten einen Spannungsbogen von zart bis hart, "Rökkur" ist die pure Zerbrechlichkeit. In "Her Fall From Grace" verarbeitet Aðalbjörn textlich die Erlebnisse einer Bekannten, während die Musik ein Paradebeispiel für facettenreichen, düster-melancholischen Postrock darstellt (schöne Grüße an "The Sound Of Silence" von SIMON & GARFUNKEL). Dagegen ist "Dionysus" die blanke Katharsis, so wütend hat man SÓLSTAFIR schon lange nicht mehr gehört. Musikalisch darf hier streckenweise sogar der Begriff Black Metal in den Raum geworfen werden. Und direkt nach dieser Explosion setzt die Band einen erneuten Counterpart - "Til Moldar" ist ein rein akustischer, äußerst zarter, emotionaler Song zum Runterkommen.

"Alda Syndanna" fährt wieder eine größere musikalische Bandbreite auf und kommt regelrecht eingängig daher (für SÓLSTAFIR-Verhältnisse). Das großartige "Or" hingegen zeigt, wie Postrock klingt, wenn er mit Jazz-Elementen und whiskygetränktem Blues kombiniert wird. Der Albumcloser "Úlfur" erinnert anfangs ähnlich wie der Opener "Akkeri" an "Fjara", ehe sich das großartige Finale des aktuellen Longplayers von der Vergangenheit löst und uns wieder SÓLSTAFIR Stand 2020 präsentiert.

 

Fazit:

 

Entgegen vieler Kritiker empfand ich 2017 den Vorgänger "Berdreyminn" nicht als schlechter, sondern als anders. Und erneut anders klingen SÓLSTAFIR auch wieder auf "Endless Twilight Of Codependent Love". Man ist wieder härter geworden, rauer und etwas sperriger im ersten Durchlauf. Aber eingängige Mitsing-Hit-Alben war auch noch nie die Sache der Isländer. Die neue Scheibe ist ein unglaublicher Grower - nach dem dritten, vierten Durchlauf weicht so manche Vertracktheit bereits dem Genuss. Und zehn, fünfzehn Rotationen später erst, offenbart sich die gesamte Klasse von "Endless Twilight Of Codependent Love", dann aber so gewaltig, daß man regelrecht erschlagen wird, von all den kleinen und großen, offensichtlichen und versteckten Höhepunkten, die der siebte Full-Lenght-Release dem Hörer zu bieten hat, wenn er bereit ist, sich wirklich und wahrhaftig auf die einzigartige SÓLSTAFIR-Klangwelt einzulassen.

 

 

 



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: Ernst Lustig (16.11.2020)

ANZEIGE
ANZEIGE