MICHAEL SCHENKER GROUP - Immortal
Bandinfo: MICHAEL SCHENKER GROUP
Genre: Hard Rock
Label: Nuclear Blast GmbH
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Lineup | Trackliste
Erstaunlich, wie produktiv der 65-jährige Michael Schenker noch immer ist; wo nimmt der Mann nur all die Ideen her? Vielleicht hat der Flitzefinger an der Gitarre erneut genügend Feuer zum heftigen Abrocken gefangen durch die sehr guten Reaktionen zu seinen jüngsten Veröffentlichungen mit MICHAEL SCHENKER FEST, namentlich „Resurrection“ (2018) und „Revelation“ (2019). Vielleicht hat ihn auch sein 40. Jahrestag als Solokünstler sowie sein 50. Jubiläum als Musiker motiviert.
Vermutlich ist es aber eher der pure Spaß am Musizieren und Gitarrenspiel, die ihn dazu gebracht hat, zusammen mit Michael Voss (MAD MAX) ein neues Album unter dem Etikett MICHAEL SCHENKER GROUP zu produzieren – und damit einen Nachfolger zum 1999er-Dreher „The Unforgiven“. Zumindest lassen die Äußerungen von Schenker diesen Schluss zu: „Im Kopf bin ich immer noch 16“, wird er von seiner Plattenfirma zitiert. „Ich wollte nie Ruhm oder Erfolg. Ich war zufrieden, wenn ich mich wie ein Kind im Sandkasten mit dem beschäftigen konnte, was ich am meisten mochte. Ohne Konkurrenz, ohne Vergleiche, einfach die pure Freude an der Kreativität. Und das geht nun mal nicht besser als mit einer Gitarre. Sie ist einfach das beste Instrument, um etwas auszudrücken. Es gibt keinen vollständigeren Klang.“
Für „Immortal“ hat sich Schenker wieder eine Batterie voll Musiker ins Studio geholt (womit sich aber auch die Frage stellt, wo nun der Unterschied zu MICHAEL SCHENKER FEST sein soll): Barry Sparks (DOKKEN) am Bass, Keyboarder Steve Mann, die drei Schlagzeuger Bodo Schopf, Simon Phillips (ehemals TOTO) und Brian Tichy (ehemals WHITESNAKE), Keyboarder Derek Sherinian (DREAM THEATER, BLACK COUNTRY COMMUNION). Und als Sänger: Der Chilene Ronnie Romero (u. a. RAINBOW), Ralf Scheepers (PRIMAL FEAR), Joe Lynn Turner (u. a. DEEP PURPLE), Michael Voss (MAD MAX), Gary Barden (u. a. MSG, GARY MOORE), Robin McAuley (u. a. MCAULEY SCHENKER GROUP), Doogie White (u. a. YNGWIE MALMSTEEN, DEMON'S EYE, RITCHIE BLACKMORE'S RAINBOW).
Bei so viel zusammengerufener Kompetenz ist es kaum ein Wunder, dass „Immortal“ nur so vor Qualität strotzt. Jede Note wird technisch überragend gesungen mit viel Gefühl und dem richtigen Timing. Die gesamte Sängertruppe ist in der Lage, ihre Intonation und Stimmlage dem jeweiligen Song ein Stück weit anzupassen und somit zum Gelingen des Materials beizutragen. Zudem haben Voss und Schenker den Sängern die Songs auf den Leib geschneidert. So passt die schrille Power-Stimme von Scheepers wunderbar zum Double-Bass-Feger „Drilled To Kill“, während Romero beim ebenfalls sehr flotten „Knight Of The Dead“ und beim hymnenhaften Mid-Tempo-Storyteller „Sail The Darkness“ schöne Erinnerungen an DIO hochkochen lässt. Hmmm, das mundet! Aber auch die anderen Sänger glänzen. Voss etwa bei der gefühlvollen Hymne „After The Rain“, der noch nach über ein Dutzend Durchgängen das Potenzial für Gänsehaut innehat. Auch „The Queen Of Thorns And Roses“ ist eine schöne, sehr melodische Mid-Tempo-Nummer geworden, die zeitlos – weder modern, noch altbacken – wirkt. Die Gesangslinien haben Ohrwurmcharakter und ein Mal mehr sorgt vor allem zum Ende des Songs die Gitarrenarbeit von Schenker für offene Münder. Besser kann man die sechs Saiten wohl kaum zum Klingen bringen.
Schenker hat aber nicht nur eine ganze Reihe Songs von Weltklasse-Format komponiert. Das Album klingt durchaus überraschend trotz der verschiedenen Sänger nicht wie eine Compilation einzelner Songs. Nein, das wirkt alles wie aus einem Guss. Das liegt zum einen an dem überaus warmen Sound, der zusammen mit den über weite Strecken im Hintergrund bleibenden, sehr songdienlichen Keyboards wie Kleber die einzelnen Tracks zu einem wunderbaren Ganzen zusammenleimen. Zum anderen sind die Songs, trotz verschiedener Sänger und Tempi, stilistisch nicht so weit auseinander, dass irgendwelche Brüche entstehen könnten. Die Handschrift des Songwriters Schenker ist jederzeit zu erkennen. Hier und da kommt zu dem klassischen Hard Rock der Marke RAINBOW, alten SCORPIONS, alten GARY MOORE oder halt MSG ein etwas härter Einfluss aus dem Metal hinzu (wie beim Opener „Drilled To Kill“), was aber eher als gelungene Variation wahrgenommen wird, statt Verwunderung auszulösen. Und dann natürlich sorgt ein immer wieder kehrendes Element für den Zusammenhalt, nämlich das sagenhafte Gitarrenspiel Schenkers. Das blitzt immer wieder mit Genialität und viel Gefühl hervor, ohne sich zu sehr in den Vordergrund zu drängen.
Warum es nicht zur Höchstnote gereicht hat? Weil es auch schwächere Songs auf „Immortal“ gibt: „Don‘t Die On Me Now“ mit Joe Lynn Turner am Mikro ist einer der ganz wenigen Songs, der einen nicht packt und keine sonderlichen Momente hat, sondern nur okay ist. Auch „Sangria Morte“ kann nicht so recht überzeugen und langweilt aufgrund vieler Wiederholungen des Refrains sogar ein wenig. Etwas besser ist das flotte und bissig-gesungene „Devil's Daughter“, auch wenn die Nummer nicht an die Klasse der weiter oben genannten Songs heranreicht. „Come On Over“ ist ein vorwärts groovender Rocker, der nicht zu den Höhepunkten des Albums gehört, aber sich auf keinen Fall zu verstecken braucht. Allein das Gitarrenspiel ist erneut eine Wucht.
Als überaus gelungenen Abschluss gibt’s „In Search Of The Peace Of Mind“, eine Neuaufnahme des allerersten Stückes, das Schenker jemals geschrieben hat. „Dieses Stück habe ich in der Küche meiner Mutter geschrieben als ich 15 war“, blickt er ein halbes Jahrhundert zurück: „Das Solo in diesem Stück ist so perfekt, da würde ich bis heute keine einzige Note ändern. Für mich ist es das wichtigste Stück der letzten 50 Jahre. Damit hat alles angefangen.“ Als es 1972 auf dem SCORPIONS-Debüt „Lonesome Crow“ erschien, war Michael Schenker schon zu UFO weitergezogen. Und ja, den Worten von Schenker kann nur noch hinzufügen, dass sich diese Neueinspielung mehr als gelohnt hat – grandios!
Mit „Immortal“ ist Schenker ein Glanzstück gelungen, selbst wenn es zwei, drei schwächere Songs gibt. Das Album ist wie aus einem Guss, mit wunderbar warmem Sound, tollen Melodien, die durch starke Sänger geschmackssicher intoniert werden. Dass Schenker zu seinem 50.-Jubiläum als Musiker noch immer so viele Ideen hat, ist beeindruckend. Ebenso wie seine Fähigkeit, sein außergewöhnliches Gitarrenspiel gekonnt in zum Teil hymnenhafte, zum Teil rockende Songs zu integrieren und zum rechten Zeitpunkt brillieren zu lassen. Sollte man gehört haben!