BEFORE & APACE - The Denisovan

Artikel-Bild
VÖ: 11.05.2021
Bandinfo: BEFORE & APACE
Genre: Progressive Rock
Label: Eigenproduktion
Hören & Kaufen: Amazon
Lineup  |  Trackliste

Wo fange ich hier an? Schwierig. Es existieren immer wieder Ecken in der Welt, die mich bezüglich ihres Outputs an qualitativ hochwertigem Metal, im engeren Sinne Prog, überraschen, beeindrucken, gar Rosenblätter von meinem Balkon auf die Menschenmenge darnieder sinken lassen wie rosarote Schmetterlinge. Vor kurzem hat vor allem der Hadrianswall, südlich wie nördlich, meine Aufmerksamkeit beansprucht. Es ist nicht allzu lange her, da waren es Tasmanien (PSYCROPTIC) und immer ein heißes Eisen Skandinavien (OPETH, etc.). Dass Kanada mit seinen schier unendlichen Weiten, ein Garant immer wieder aufkeimender prog-affiner Brillanz ist, bewiesen etwa BEYOND CREATION. Nun liegt ein funkelnagelneues Album, es ist ein Erstling, wahrlich ein Rohdiamant, von BEFORE & APACE auf meiner Festplatte. „The Denisovian“, witziger Titel, denke ich, weil diese einstigen Weltbewohner in Tibet und Umgebung gesichtet wurden. Devin Martyniuk wählte, laut seinen Angaben, den Titel, weil der Denisovia-Mensch sich genetisch mit anderen Hominiden mischte und schließlich ausstarb, was Martyniuk an das Abgehen von Bandmitgliedern erinnerte, dessen Esprit immer noch gegenwärtig ist.

Mein Problem bei der Platte ist, dass ich es nicht richtig auf die Reihe kriege, wie diese vier Pisser aus Saskatchewan, the middle of nowhere, so ein großartiges, diffiziles Werk aus dem Eise gehack(el)t haben, als gäbe es kein Morgen. By the Way, ein kleiner Tipp unter Freunden: Never eat yellow snow. Scherz beiseite, der Cheffe meinte, ich dürfe pro Review einen misslungenen Scherz anbringen. Fun Fact am Rande. (Jeder Weitere kostet 50,- Euro in die Bierkassa, da sind wir streng!, Anm. d. Red.) Devin Martynuik, sozusagen der Chef von BEFORE & APACE, ist eigentlich Lehrer für Mathematik und Musik. Zumindest die vertrackten Taktsorten ließen sich damit erklären.

Bei „The Denisovian“ ist, ähnlich wie bei LUNA´S CALL mit „Void“, zu  erkennen, auf welche Altvorderen die Band sich beruft, etwa TOOL oder MESHUGGAH. Laut eigenen Angaben wurde die Band sehr von den frühen Werken der SMASHING PUMPKINS inspiriert. Wieder wurde nicht abgekupfert, sondern aus metallurgischen Ingredienzien einen eigenständige Legierung kreiert, gülden leuchtend, widerstandsfähig und gleichsam nicht zu spröde. Dass es sich bei „The Denisovian“ um ein Konzept-Album handelt, lässt sich nur unschwer erahnen, das Album beinhaltet nur vier (4?) Lieder die interessanter nicht sein könnten.

Zeno“, ist die musikalische Ausformung einer Theorie, der ein Trugschluss, zu Grunde liegt, ein alter Grieche Zenon von Elea ist dafür verantwortlich. Der für seine Schnelligkeit bekannte Läufer Achilles würde eine Schildkröte nie einholen, wenn er startet, wenn die Schildkröte bereits ein Drittel des Weges zurückgelegt hat. Das Ganze wurde nach einer falschen geometrischen Reihe abgehandelt. Eigentlich geht es um die Relativität von Zeit. Das Intro ist sehr ausladend, mehr als eineinhalb Minuten, das abrupt in einen sehr schweren Metal-Teil mit geilen Artificial-Harmonic-Tönen mündet. Der gesangliche Teil, mit Klampfen-Begleitung und fragiler Intonierung steht im Kontrast dazu. Nach fünfeinhalb Minuten folgt ein sehr bass lastiger Teil, der wie unter Wasser gespielt klingt. Erinnert ein wenig an „The God that Failed“ von METALLICA. Dieser Teil wird abgeändert elaboriert bis zum bitteren Ende nach elf Minuten und 14 Sekunden getragen und es ist wunderbar. All die Wendungen, die nicht zu erwarten sind und wirklich bestens ausgeführt wurden, lassen einem beim ersten Mal hören, ständig erstaunt Aufhorchen. Ehrlich gesagt, ist „Zeno“ einer der besten Opener, den ich seit Jahren hörte und ich musste das gesamte Album ohne Uterbrechung durchhören, weil sich ständig neue, Wendungen, Finten, Kreuzungen auftaten.

Ontogeny“, die erste Auskoppelung des Longplayers, liegt eine biologische Theorie zu Grunde, die der Biologe Ernst Hackel entwickelte. Martyniuk entwickelte ein musikalisches Konzept, die die menschliche Evolution vom Embryo zum Erwachsenen, die Hackel kongruent der Entwicklung von einfachen Zellen bis zum Homo Sapiens bzw. Denisovia-Mensch sieht. Eigentlich ist es eine versuchte Kongruenz von Makokosmos (Planetensystem) und Mikrokosmos (Atome) und, um es etwas zu verkomplizieren, was ist der Mensch, wo ist sein Platz in der Welt?

Limbics“, bezieht sich auf das Limbische System im menschlichen Gehirn. Es ist sozusagen das emotionale Zentrum. Bryce Holcomb, der Gitarrist von BEFORE & APACE  hegte mal sehr negative Gefühle gegen einen seiner Mitmenschen, welche wir hier in musikalischer Ausformung lauschen dürfen.

Simultanagosia“, ist, vereinfacht formuliert, der Zustand, sich für das Besondere, nicht aber für das Allgemeine zu interessieren, das ausgeblendet wird, etwa, wenn man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. Eigentlich liegt eine sehr persönliche Erfahrung von Martyniuk zu Grunde, die Krebs-Erkrankung seiner Mutter bzw. wie die westliche Medizin vs. ganzheitliches System darauf reagierte. Endlich sind wir wieder bei der Fibonacci-Folge angelangt, die TOOL bereits mit „Lateralus“ wunderbar musikalisch intonierte. Martyniuk, der Mathematik- und Musik-Lehrer ist, erweiterte das ganze um das Pascalsche Dreieck.

Abstriche sind kaum zu finden. Ein Versuch: Die Gitarren klingen manchmal nicht fett genug, sondern nur metallisch hohl, es wurde für meinen Geschmack zu viel Hall beigemengt. Der gescreamte Gesang schießt einige Male über das Ziel hinaus, so dass er in den Ohren klingelt.  Das sind aber nur kleine Details am Rande. Das Album ist von einer grazilen Harmonik, immer wenn „The Denisovian“ läuft, tanze ich wie eine junge Gazelle durch Raum und Zeit.  

Am Ende möchte ich noch anfügen, dass BEFORE & APACE neben der Musik, Texten, Infos über die Band, Entwicklung und sehr spannend, Ideen zur musikalischen Ausformungen ihrer Lieder mit rüberwachsen ließen und das ist für jemanden, der selbst mal dilettantisch Musik und Texte gestaltete, einen überaus reichhaltiger Fundus, der viele Aha-Effekte hinterließ und wofür ich mich sehr bedanken will, darum war „The Denisovian“ die reizvollste Review, die ich bis jetzt geschrieben hab.

Ich bin kurz davor, mir wegen BEFORE & APACE eine High-End Anlage zu checken, nur um hören zu können, was sich noch alles in dem wunderbaren Album aufspüren lässt, meine Anlage gibt das nicht her.  Das Album ist sehr gut produziert, ja der Martyniuk war's, ein Tausendsassa oder wie wir in der Steiermark sagen: A Hund auf da Geign.    

Zwölf Punkte gehen diesmal an Kanada, die dürfen leider beim Grand Prix de la Chanson nicht mitmachen. Pusteblume. (ein Scherz pro Review! EINER!, Anm. d. Red.)

Ein kleiner Wunsch an das Christkind, die Zahnfee oder Devin Martyniuk: Möge die Band, die sich bereits 2000 formierte, für das nächste Album weniger als zwei Dekaden benötigen.

 



Bewertung: 5.0 / 5.0
Autor: Richard Kölldorfer (07.05.2021)

ANZEIGE
ANZEIGE